Hilfskonferenz Jahrestag der Explosion in Beirut - Geber sagen Geld zu
Beirut (dpa) - Am ersten Jahrestag der gewaltigen Explosion im Beiruter Hafen haben die Hinterbliebenen wütend und unter Tränen eine Klärung der Ursachen gefordert.
Unterdessen sagte die internationale Gemeinschaft bei der inzwischen dritten Hilfskonferenz für den Libanon mehr als 300 Millionen Euro zu. Das Geld soll unter anderem Bildung, Gesundheit und die Wasserversorgung in dem Krisenstaat fördern.
Gastgeber und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warf der libanesischen Politik dabei Versagen auf allen Ebenen vor. Human Rights Watch präsentierte neue Beweise für den Vorwurf, dass die Regierung die Explosion hätte verhindern können.
"Es ist ein trauriger Tag für alle Libanesen - obwohl wir diese massive Explosion überlebten, sind wir innerlich tot", sagte Rita Hassan, deren Zuhause bei der Katastrophe zerstört wurde. "Seit gestern spüre ich am ganzen Körper Schmerz, als hätten sich die Narben meiner Wunden wieder geöffnet", sagte Enaam Kajal, die schwer verletzt wurde und mit mehr als 200 Stichen genäht werden musste. Am Hafen und im Stadtzentrum Beiruts versammelten sich Angehörige sowie Ärzte, Krankenschwestern und Demonstranten mit Nationalflaggen.
Tote, Verletzte, Zerstörung
Bei der Explosion waren am 4. August 2020 mehr als 190 Menschen getötet und rund 6000 verletzt worden. Die Hinterbliebenen sprechen sogar von 218 Todesopfern. Große Teile des Hafens und der anliegenden Wohngebiete wurden massiv zerstört. Die Lage im Libanon, der seine schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten durchlebt und mit der Corona-Pandemie ringt, wurde durch die Explosion weiter verschärft.
Tausende zogen durch das Stadtzentrum und zum Hafen, darunter Angehörige sowie Ärzte, Krankenschwestern und Demonstranten mit Nationalflaggen. Am Hafen wurde ein großer Gottesdienst und eine Schweigeminute in Gedenken an die Opfer abgehalten. Am Parlament kam es zu Zusammenstößen, die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein. Mindestens 21 Menschen wurden dem Roten Kreuz zufolge verletzt.
Präsident Michel Aoun versprach am Dienstagabend Gerechtigkeit für die Opfer. "Die Wahrheit wird zum Vorschein kommen und jeder Schuldige wird seine Strafe erhalten", sagte Aoun in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Du wirst wieder auferstehen", sagte er an die "geliebte Hauptstadt Beirut" gerichtet.
Frankreich, als frühere Mandatsmacht eng mit dem Libanon verbunden, lud zur erneuten Geberkonferenz. Allein aus Frankreich kommen auch knapp 100 Millionen Euro der neuen Hilfszahlungen. Bei den ersten beiden Konferenzen waren nach Angaben aus Paris insgesamt mehr als 530 Millionen Euro zusammengekommen.
Die dabei geforderten umfassenden Reformen blieben bisher allerdings aus. "Es wird keinen Blankoscheck für das politische System geben", versicherte Macron. Hilfsgelder sollten direkt der Bevölkerung zu Gute kommen und ihr Einsatz sollte überprüft werden. In einem Abschlussstatement forderte die internationale Gemeinschaft erneut tief gehende Veränderungen.
Krise "zum Großteil menschengemacht"
Bundesaußenminister Heiko Maas bezeichnete die Krise als "zum Großteil menschengemacht". Jede weitere Unterstützung - abgesehen von Soforthilfe und Unterstützung für Reformen - werde von der Bildung einer funktionierenden, rechtmäßigen Regierung und der Erstellung eines glaubwürdigen Reformprogramms abhängen, sagte Maas.
Deutschland sagte weitere 40 Millionen Euro für die Bevölkerung zu. Auch US-Präsident Joe Biden nahm an der Konferenz teil und sicherte aus den USA mehr als 80 Millionen Euro Hilfe zu.
Geschäfte und öffentliche Einrichtungen wurden in Beirut am Mittwoch geschlossen, Flaggen auf halbmast gesenkt und Programme in TV- und Radiosendern angepasst. Ein großer Gottesdienst war am Abend im Hafen geplant, auch in Krankenhäusern gab es eigene Gottesdienste. Papst Franziskus rief bei seiner ersten Generalaudienz nach der Sommerpause erneut zu Hilfen auf. Der 84-Jährige wiederholte dabei auch seinen Wunsch, den Libanon zu besuchen.
Viele Hinterbliebene sind empört über die schleppende Aufarbeitung. "Wir wollen einfach Gerechtigkeit sehen", rief die Schwester eines bei der Explosion verstorbenen Feuerwehrmanns. Auch Familien weiterer Feuerwehrleute, die ums Leben kamen, zogen zum Hafen. "Geiseln eines mörderischen Staates" stand auf einem riesigen Banner.
Human Rights Watsch erhebt Vorwürfe
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) legte neue Beweise für den Vorwurf vor, dass die Regierung die Explosion hätte verhindern können. Trotz mehrfacher Warnungen vor der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die die Explosion im Hafen ausgelöst haben soll, habe die Regierung nicht gehandelt, schreibt HRW in einem 127 Seiten langen Bericht. Fast sechs Jahre habe das Material in einem schlecht belüfteten und unzureichend gesicherten Hangar gelegen - inmitten einer dicht besiedelten Gewerbe- und Wohngegend.
Ein Jahr später ist Beirut noch stark von dem Unglück gezeichnet und vielen Menschen fehlt es am Nötigsten. 70 Prozent der Haushalte hätten Unterstützung angefragt, teilte das UN-Kinderhilfswerks Unicef mit. 98 Prozent von ihnen bräuchten bis heute Hilfe, vor allem Geld für Lebensmittel. Der Weltbank zufolge verursachte die Explosion Schäden in Höhe von schätzungsweise bis zu 4,6 Milliarden Dollar (3,8 Mrd. Euro).