Delta-Variante Was die Neuinfektionen in Israel für Deutschland bedeuten
Die Delta-Variante des Coronavirus treibt die Neuinfektionen in Israel wieder nach oben – auch unter den Geimpften. Warum das so ist, und was Deutschland von Israel lernen kann.
Deutschland hat bisher mit einer Mischung aus Neid und Faszination auf Israels erfolgreiche Impfkampagne geblickt. Gut 55 Prozent der 9,3 Millionen Israelis sind bereits gegen das Coronavirus geimpft. Doch seit rund einer Woche steigen die Zahlen der registrierten Neuinfektionen in dem Mittelmeerland deutlich an. Viele haben sich dabei mit der aggressiveren Delta-Variante angesteckt.
Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen zeigt sich angesichts der Entwicklung in Israel beunruhigt. "Es ist in der Tat besorgniserregend", sagt Zeeb, dass trotz der hohen Impfquote "mit einem sehr gut wirksamen Impfstoff wieder Ausbrüche stattfinden". Könnte das auch Deutschland blühen?
Bennet warnte vor einem "neuen Ausbruch"
Noch Mitte Juni wurden in Israel Corona-Neuinfektionen nur noch im einstelligen Bereich registriert – landesweit. Die Regierung schaffte fast alle Einschränkungen ab. Für viele Israelis fühlte es sich an, als gehöre die Corona-Pandemie der Vergangenheit an. Doch vor rund einer Woche wurden erstmals seit April wieder mehr als 100 Neuinfektionen pro Tag nachgewiesen. Am Donnerstag stieg die gemeldete Zahl auf 227. Am Samstag lag sie bei 113, allerdings wurde dabei deutlich weniger getestet.
In Deutschland mit rund neunmal mehr Einwohnern lagen die Zahlen in den vergangenen Tagen bei mehreren Hundert bis rund 1.000. Die Neuinfektionen pro 100.000 Menschen in sieben Tagen sinken seit Wochen und lagen am Sonntag bei 5,7.
Nach Untersuchungen des israelischen Gesundheitsministeriums haben rund 90 Prozent der Neuinfizierten die aggressivere Delta-Variante – rund die Hälfte davon ist eigentlich gegen das Coronavirus geimpft. Die Variante wurde zuerst in Indien nachgewiesen. Die meisten der Infizierten sind Kinder. Am Freitag führte die Regierung wieder die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen ein. Ministerpräsident Naftali Bennett warnte bereits zuvor vor einem "neuen Ausbruch" des Coronavirus im Land. Die Zahl der Schwerkranken blieb mit 26 zunächst stabil und niedrig.
Corona-Beauftragter: "Quarantäne-Brecher sind das Problem von uns allen"
Warum steigt die registrierte Zahl der Infizierten plötzlich so deutlich an? Das geht offenbar vor allem auf Menschen zurück, die infiziert aus dem Ausland zurückkamen – und sich nicht an die Quarantäne-Auflagen gehalten haben. "Die Einhaltung der Quarantäne ist unsere Achillesferse", sagte der Corona-Beauftragte Nachman Asch dem israelischen Fernsehen. "Quarantäne-Brecher sind das Problem von uns allen – auf diese Weise breitet sich die Krankheit im Moment aus."
Er forderte die Bevölkerung dazu auf, möglichst nicht ins Ausland zu fliegen, besonders nicht mit ungeimpften Kindern. Mehrere Ausbrüche in den vergangenen Tagen waren an Schulen geknüpft, Hunderte mussten in Quarantäne. Zudem hatten wegen der Überlastung von Teststationen Tausende Menschen bei der Einreise ungetestet den Flughafen verlassen.
Neuinfektionen lassen Impfzahlen wideransteigen
In Israel haben bereits mehr als 5,5 Millionen der neun Millionen Landesbewohner eine erste Corona-Impfung erhalten, rund 5,2 Millionen davon auch die zweite Dosis. Dabei wird der Impfstoff von Pfizer/Biontech verwendet. In den vergangenen Wochen stagnierten die Impfzahlen allerdings. Eltern zögerten zunächst, ihre zwölf- bis 15-jährigen Kinder impfen zu lassen, nachdem es Fälle von Herzmuskelentzündungen in Verbindung mit der Impfung gegeben hatte.
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Derzeit sind zwar mehr als 90 Prozent der über 90-Jährigen geimpft, aber nur rund 20 Prozent der zehn- bis 19-Jährigen. Mit den Zahlen der Neuinfektionen steigen nun auch insgesamt die Zahlen der Impfungen an. Ministerpräsident Bennett hat Eltern klar dazu aufgefordert, Kinder im entsprechenden Alter zügig impfen zu lassen.
In Deutschland sind ein halbes Jahr nach Beginn der Impfkampagne mehr als die Hälfte der Menschen mindestens einmal geimpft, über ein Drittel (34,8 Prozent) sogar vollständig, wie Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Samstag zeigen. Der Delta-Anteil an den Infektionen ist nach jüngsten RKI-Zahlen noch klein, steigt aber rasch und lag in der zweiten Juni-Woche bei 15 Prozent.
Wieler: Impfungen alleine reichen nicht aus
In Israel wirft der hohe Anteil Geimpfter unter den Neuinfizierten Fragen auf. Der Corona-Beauftragte Asch führt dies schlicht darauf zurück, dass es in Israel so viele Geimpfte gibt. Da sei mit geimpften Infizierten zu rechnen. Studien zufolge hat Delta eine deutlich erhöhte Ansteckungsfähigkeit und eine leichte Immunflucht, also die Eigenschaft, den Schutz nach Impfung oder durchgemachter Infektion zu umgehen. Die Botschaft aus der Fachwelt ist aber: Wer den kompletten Impfschutz hat, ist auch bei Delta vor schwerer Erkrankung geschützt.
Experte Zeeb aus Bremen betont angesichts der Lage in Israel, trotz des Impffortschritts werde es in Schulen in Europa und Deutschland weiter Schutzmaßnahmen wie Aerosolfilter und Masken geben müssen, sowie intensives Testen. "Andererseits bleibt auch richtig, dass schwere Verläufe zum Glück selten bleiben", sagt Zeeb. "Dennoch kann man ein 'Durchrauschen' der Infektion durch die Gruppe der Ungeimpften oder bisher nicht Infizierten nicht wünschen, weil es zu vermeidbarem Leiden und gegebenenfalls auch Langzeitfolgen führt."
Der RKI-Präsident Lothar Wieler sagte am Freitag, zu den Lehren aus der Entwicklung in Ländern wie Israel zähle, dass man nicht zu früh ungezielt lockern sollte. Impfungen alleine reichten nicht aus, um Deutschland vor einem Anstieg der Fallzahlen im Herbst zu schützen. Notwendig seien weiterhin einfache Maßnahmen, wie das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes.
Was Deutschland von Israel lernen kann
Der Impfexperte der Berliner Charité, Leif Erik Sander, sagte am Freitag, er halte die Entwicklung in Israel nicht für beunruhigend, sondern eher für lehrreich. "Wir haben ja in Israel erstaunlich früh erfreulicherweise diese Effekte der Impfung gesehen." Bereits bei einer Impfquote von um 50 Prozent seien deutliche Effekte beobachtet worden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wiederum betonte, Israel sei ein relativ junges Land im Vergleich zu Deutschland. Es zeige sich die Problematik einer nicht ausreichenden Impfbereitschaft bei Jüngeren, die sich eigentlich impfen lassen könnten. Auch hierzulande steige die Bereitschaft, sich immunisieren zu lassen, mit dem Alter. Er könne nur auch bei Jüngeren dafür werben, das Impfangebot wahrzunehmen. Auch das zeige Israel.
- Nachrichtenagentur dpa