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Politische Verfolgung in Russland: "Putins Feinde leben kurz"


Nach Treffen mit Biden
Putins Feinde leben kurz


Aktualisiert am 17.06.2021Lesedauer: 8 Min.
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Handschlag zur Begrüßung: Hier sehen Sie die entscheidenden Szenen der Begegnung von Putin und Biden im Video. (Quelle: t-online)

Für Wladimir Putin ist der Gipfel mit Joe Biden ein Erfolg. Er ist wieder auf der internationalen Bühne, sieht sich auf Augenhöhe mit den USA. Doch bei einem Thema wird es auf der Pressekonferenz frostig.

Eigentlich wollte er schon längst den Gipfelort verlassen haben, trotzdem nimmt sich Wladimir Putin in Genf die Zeit, um noch weitere Fragen von Journalisten zu beantworten. Der russische Präsident ist nach dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden am Mittwoch ganz in seinem Element: Er steht auf der Bühne, im internationalen Rampenlicht. Nach dem Ausschluss aus dem Kreis der G8-Staaten kämpft er um Wertschätzung – für sich und für sein Land.

Auf dem Gipfel wurden aber vor allem die politischen Unterschiede deutlich, die Kompromisse zwischen beiden Ländern schwer machen. Ein zentrales Thema in den Gesprächen mit Biden war die Menschenrechtslage in Russland. Die Verfolgung der Opposition hat vor der wichtigen Dumawahl im Herbst stark zugenommen. Politiker, Kremlkritiker und Aktivisten landen im Gefängnis, Demonstrationen werden zerschlagen. Die Kritik an den Praktiken des Kremls und der russischen Justiz kontert Putin mit einer bekannten Strategie: Er zeigt mit dem Finger auf den Westen.

Putin ringt mit der Obama-Wunde

Putin führt auf seiner Pressekonferenz Vergleiche an, die mit dem westlichen Demokratieverständnis nicht vereinbar sind. Demonstranten setzt er mit Kriminellen gleich, Oppositionelle mit ausländischen Agenten. Dabei geht es ihm nicht nur um den eigenen Machterhalt. Die Verfolgung der politischen Opposition in Russland zeigt vor allem eines: Putins Angst vor mehr Demokratie, die seiner Meinung nach mit großen Protesten und Chaos im Land einhergehen würde.

Der russische Präsident nutzt die Chance in Genf, um ein Bild von seinem Land zu skizzieren, das auf Augenhöhe mit den USA verhandelt. Mit Genugtuung wird er es verfolgt haben, dass sein amerikanischer Amtskollege Russland in seiner Pressekonferenz "Großmacht" nannte. Das ist Balsam für die russische Seele, denn die einstige Aussage von Barack Obama, Russland sei eine "Regionalmacht", verletzte den Stolz der russischen Führung. Der damalige US-Präsident hatte sich 2014 zu dieser Provokation hinreißen lassen, nachdem russische Kampfflugzeuge in den Nato-Luftraum über der Ostsee eingedrungen waren.

Das wird der Kreml innenpolitisch als Erfolg verkaufen. Schließlich habe Biden um das Treffen gebeten, betonte Putin immer wieder. Immerhin: Die USA und Russland sprechen wieder miteinander, Botschafter werden wieder entsandt und es soll mehr Dialog in strategischen Fragen zwischen Moskau und Washington geben. Das scheint vor allem Biden zu begrüßen, der mit mehr Dialog mit dem Kreml strategisch verhindern will, dass das Bündnis zwischen China und Russland noch enger wird.

"Die USA haben Russland zu ihrem Feind erklärt"

Trotzdem lässt auch das Treffen keinen Zweifel daran, wo die roten Linien für Putin liegen. Die Fragen nach der politischen Verfolgung gegen Regimekritiker in Russland sind die Momente, in denen die Luft auf der Pressekonferenz zu gefrieren scheint. Der ansonsten auch zu Scherzen aufgelegte Präsident antwortet darauf kalt und harsch. Für ihn ist klar: Der Westen soll sich nicht in die Innenpolitik Russlands einmischen.


Auch Biden musste registrieren, dass sich Putin beim Thema Menschenrechte nicht bewegen wird. Egal, welche Sanktionen kommen, und egal, wie gut die persönliche Beziehung zwischen beiden Präsidenten auch werden möge.

"Die USA haben Russland zu ihrem Feind erklärt, der US-Kongress hat das 2007 beschlossen. Wenn Russland ein Feind ist, welche Organisationen in Russland werden die USA unterstützen?", fragt Putin. Er gibt die Antwort selbst: "Die Organisationen und Menschen, die die Politik in Russland zugunsten der USA beeinflussen."

Geringschätzung für Demokratie und Opposition

Die Botschaft ist klar: Regimekritiker sind Feinde Russlands und handeln im Interesse des Auslands. Für ihn ist die Opposition kein wichtiger Baustein einer Demokratie, in seinen Reden bezeichnet er sie immer wieder als "nicht-systemisch", sie spiele also keine relevante Rolle in seinem Land.

Aber die Härte, mit der die russische Regierung den Straßenprotesten gegen Putin begegnet, zeigt, dass der Kreml systemkritische Bewegungen im Keim ersticken möchte und somit ernst nimmt. In den letzten Jahren wurden immer wieder politische Gegner Putins ermordet oder landeten im Gefängnis. Anderen wurde die Erlaubnis entzogen, bei Wahlen gegen Putin und gegen seine Partei Einiges Russland anzutreten.

Vier prominente Beispiele:

  • Die Journalistin Anna Politkowskaja berichtete über Korruption im Verteidigungsministerium und über die Kriegsverbrechen der russischen Armee im Tschetschenien-Krieg. Im Jahr 2006 wird sie im Treppenhaus ihrer Wohnung ermordet. Verurteilt wurden mehrere geständige Tschetschenen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte machte den russischen Geheimdienst verantwortlich.
  • Der Wirtschaftsprüfer Sergei Magnitski klärte im Jahr 2008 illegale Steuerpraktiken von korrupten Beamten im Innenministerium auf. Kurz darauf wurde er selbst wegen Steuerbetrugs verhaftet. Ein Jahr später starb er in seiner Isolationszelle, die Behörden gaben eine Pankreatitis als Todesursache an. Nachdem sich jahrelang das Gerücht hielt, dass Magnitski von Wärtern totgeprügelt geworden sei, gab 2018 die Staatsanwaltschaft an, dass er vergiftet wurde.
  • Boris Nemzow war ein beliebter Politiker und gehörte zu den Hauptkritikern der Rückkehr Putins ins Präsidentenamt 2012. Im Jahr 2015 wurde er in Moskau auf der Straße erschossen. Die russische Justiz präsentierte auch hier tschetschenische Täter und ein islamistisches Motiv. Hintergründe sind aber bis heute unklar.
  • Das prominenteste Gesicht der Opposition ist aktuell Alexej Nawalny. Er deckte vor allem Korruption und die Selbstbereicherung führender Politiker in Russland auf. Wegen Korruption wurde er von russischen Gerichten erst schuldig, danach freigesprochen. Vor den Präsidentschaftswahlen 2018 wurde das erste Urteil erneut bestätigt, sodass er nicht antreten durfte. Nachdem er eine Vergiftung überlebte, sitzt er nun wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen im russischen Straflager. Sein Gesundheitszustand ist kritisch.


Diese im Ausland bekannten Fälle zeigen allerdings nur die Spitze des Eisberges. Vor der Dumawahl hat die Verfolgung der Opposition zugenommen. Es gibt Durchsuchungen in den Büros und Privatwohnungen der Politiker, Demonstrationen werden kurzfristig verboten, Straßen gesperrt. Ende Mai wurde der russische Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow in St. Petersburg von der Polizei aus einem Flugzeug gezogen. Ihm wird die Beteiligung an einer regimekritischen Organisation vorgeworfen. Er erklärte: Zuvor habe die Justiz ihm nahegelegt, Russland zu verlassen oder verhaftet zu werden.

Angst vor dem Chaos, Respekt vor der Jugend

Vor allem der jüngere Teil der Bevölkerung macht dem Kreml Sorgen, viele junge Menschen nehmen an den regimekritischen Demonstrationen teil. Putin will von den Protesten im Zuge des Arabischen Frühling gelernt haben. Die russische Regierung setzt deshalb nicht nur auf Gewalt und Verfolgung junger Regimekritiker, weil sie fürchtet, ältere Generationen könnten sich dann mit ihnen solidarisieren. Vielmehr übt der Kreml auch indirekten Druck aus.

Viele Universitäten und Schulen drohen ihren Studierenden oder Schülern mit Verweisen und Strafen, sollten sie an Protesten teilnehmen, berichten Demonstranten in der Arte-Dokumentation "Aufstand gegen Putin". Putin selbst bedient dagegen das Narrativ, dass junge Menschen von russland-feindlichen Organisationen manipuliert werden würden.

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Aber wovor hat Putin eigentlich Angst? Einerseits gibt es momentan keinen Politiker Russland, der ein ernsthafter Konkurrent für den russischen Präsidenten wäre. Einiges Russland steckt dagegen im Umfragetief, ihr droht bei der Dumawahl ein Ergebnis von unter 30 Prozent. Das liegt vor allem auch daran, dass die Opposition zusammenarbeitet und parteiübergreifend immer für den Kandidaten wirbt, der gegen die Putin-Partei die besten Chancen hat.

Aber Putins Strategie könnte über machtpolitische Erwägungen hinausgehen. Als KGB-Agent erlebte er den Zerfall der Sowjetunion. Das darauffolgende Chaos und der internationale Bedeutungsverlust sollen für ihn eine traumatische Erfahrung gewesen sein. Der Präsident will um jeden Preis Proteste wie bei der Perestroika 1986 verhindern und sieht seine Idee von einem politischen System wohl als Garant dafür, Russland mit seinen vielen unterschiedlichen Kulturen und Ethnien vor einem Auseinanderbrechen zu bewahren.

Russische Opposition im Dilemma

Proteste im Land müssen dieser Logik folgend schnell eingedämmt, erfolgreiche Demokratiebewegungen in Nachbarstaaten verhindert werden. Das von ihm selbst geschürte Chaos in der Ukraine kommt Putin dabei gelegen, um in der eigenen Bevölkerung die Ängste vor Protesten zu nähren.

Für die Opposition sind die Straßenproteste allerdings die einzige Möglichkeit der politischen Partizipation. Exekutive und Judikative in Russland sind mit Putin-Vertrauten besetzt, die Medien staatlich gesteuert. Oppositionelle Parteien bekommen, besonders im Vergleich zu Einiges Russland, kaum Sendezeit im Fernsehen.

Im Prinzip sind die Strukturen von Putins Autokratie so gefestigt, dass politische Gegner kaum eine Chance haben. Der einzige Ausweg für einen Machtwechsel scheint in mittelfristiger Zukunft eine Protestbewegung zu sein, Gewalt ist vorprogrammiert.

Ärger über Nawalny

Doch obwohl Putin kaum politische Konkurrenz hat, werden Politiker wie Nawalny für den Präsidenten zum lästigen Ärgernis. Die Enthüllungen über Korruption in der russischen Regierung greifen das Bild an, das Putin gerne selbst von sich zeichnet: das des gütigen Landesvaters aller Russen, der das Land vom Joch der Oligarchen befreite.

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Nawalnys Videos zeigen dagegen ein anderes Bild. Sein Team berichtet über Putins Urlaubspalast oder über ein Weingut in Frankreich, das angeblich dem ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew gehört. Die Botschaft: Viele Menschen in Russland leben weiterhin in Armut, während Putin-Vertraute immer reicher werden. Das fällt in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden, Nawalnys Beliebtheit nahm in den letzten Jahren zu.

Putin reagierte, wie er oft reagierte. Nawalny sitzt im Straflager, die Justiz verbot vergangene Woche viele Organisationen des Kremlkritikers – darunter auch seine Anti-Korruptions-Stiftung – als extremistisch. Das folgt der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die der Bewegung vorwirft, "die gesellschaftlich-politische Lage im Land" zu destabilisieren.

"Die US-Amerikaner tun uns leid"

Der Schlag gegen Nawalnys Netzwerk ist enorm: Wer weiter für eine der betroffenen Organisationen arbeitet, riskiert seinen Anwälten zufolge nun bis zu sechs Jahre Freiheitsentzug. Verboten sind außerdem die Organisation von Kundgebungen sowie das Ausführen von Finanztransaktionen. Und: Im Zusammenhang mit einem neu erlassenen Gesetz dürfen Nawalnys Unterstützer bei Wahlen künftig nicht mehr antreten – also auch nicht bei der Dumawahl im September.

"Diese Organisation hat öffentlich zu Protesten und Unruhen aufgerufen, auch unter Minderjährigen", erklärt Putin in Genf. Auch die USA hätten in diesem Jahr Unruhen – den Sturm des US-Kapitols durch Trump-Anhänger – und die "Black Lives Matter"-Bewegung erlebt. "Die US-Amerikaner tun uns leid, aber wir wollen nicht, dass das in unserem Land passiert. Wir werden alles tun, um das zu unterbinden."

Putins Täter-Opfer-Umkehr

Der russische Präsident wirft friedliche Demonstranten mit Kriminellen in einen Topf. Er verdreht, wer die Täter und wer die Opfer bei der politischen Verfolgung in Russland sind. Die Aktivisten, die über kriminelle Machenschaften der Politik und über Korruption aufklären, sind laut Putin gewalttätige Agenten. Er, der Demokratie in seinem Land verhindert und sich immensen Reichtum aufgebaut hat, sei dagegen der Präsident, der die Ordnung erhält.

Beim Thema Menschenrechte verfolgt Putin eine alte Strategie, die aber zumindest innenpolitisch in Russland funktioniert. Er sagt immer wieder, dass die USA und der Westen selbst Menschenrechte nicht achten würden. In Genf erinnerte er Biden – der Putin im März noch einen "Mörder" nannte – an den Drohnenkrieg in Afghanistan, an die Folter in Guantanamo oder an Polizisten, die in den USA Menschen erschössen. Das rechtfertigt das Unrecht in Russland nicht, aber das sorgt für ein Glaubwürdigkeitsproblem des Westens, wodurch es für den Kreml einfach wird, sich aus der Verantwortung zu ziehen. "Wer ist hier der Mörder?", fragt Putin auf der Pressekonferenz.

Verwendete Quellen
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