EU-Außenminister Nawalny und die Putin-Proteste - EU berät neue Sanktionen
Brüssel/Moskau (dpa) - Russland drohen wegen des Vorgehens gegen den Kremlkritiker Alexej Nawalny und dessen Anhänger neue Strafmaßnahmen der EU.
Bei einem Außenministertreffen in Brüssel zeigten sich am Montag zahlreiche Teilnehmer schockiert über die Inhaftierung Nawalnys und die Tausenden Festnahmen bei den auch gegen Kremlchef Wladimir Putin gerichteten Demonstrationen in Russland am Wochenende. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte nach dem Treffen, der Rat der Außenminister verurteile die Polizeigewalt als "vollkommen inakzeptabel". Der Rat fordere Russland auf, Nawalny und alle Festgenommenen freizulassen.
Mehrere Mitgliedstaaten forderten, in Reaktion auf die Ereignisse erstmals ein neues Sanktionsinstrument anzuwenden, das im vergangenen Jahr für den Fall von Menschenrechtsverstößen beschlossen worden war. Bundesaußenminister Heiko Maas äußerte sich abwartend zu Sanktionsforderungen - vor dem Hintergrund, dass ein russisches Gericht erst noch entscheiden muss, ob eine Bewährungsstrafe Nawalnys in einem früheren Verfahren in echte Haft umgewandelt wird.
Der Prozess ist für den 2. Februar angesetzt. "Es wird sehr viel davon abhängen, wie dieses Gerichtsurteil ausfällt - ob Alexej Nawalny nach 30 Tagen wieder freikommt oder eben nicht", sagte Maas in Brüssel.
Nawalny soll gegen Meldeauflagen verstoßen haben, während er sich in Deutschland von dem Mordanschlag erholte. Nach seiner Rückkehr am Sonntag vor einer Woche kam der 44-Jährige in Haft - nach einem umstrittenen Verfahren zunächst für 30 Tage. Allerdings drohen ihm eine ganze Reihe neuer Strafverfahren samt Haftstrafen.
Maas forderte mit deutlichen Worten die Freilassung Nawalnys und der festgenommenen Demonstranten. "Auch nach der russischen Verfassung hat in Russland jeder das Recht, seine Meinung zu äußern und zu demonstrieren", sagte der SPD-Politiker. Das Land habe sich zur Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Deshalb erwarte man, dass diejenigen, die friedlich protestiert hätten, unverzüglich wieder freigelassen würden.
Dagegen verglich der russische Präsident die Organisatoren der Proteste mit "Terroristen". Mit Blick auf die vielen Verletzten bei den Demonstrationen und mehr als 3700 Festnahmen meinte Putin, dass sich Bürger und Polizei an die Gesetze halten müssten. Er warf den Organisatoren vor, Minderjährige zur Teilnahme an den Protesten verleitet zu haben. "So handeln Terroristen, die Frauen und Kinder vorschieben", sagte er.
Nawalnys Team rief prompt für den 31. Januar zu neuen landesweiten Protesten auf - für die Freilassung des Kremlgegners und gegen Putin. Schon seit Monaten werden in Russland wegen der Corona-Pandemie aber keine Demonstrationen mehr erlaubt - Menschenrechtler beklagen deshalb einen Missbrauch der Situation um das Corona-Virus, um den Protest zu unterdrücken.
Forderungen gibt es auch immer wieder nach einem Stopp des umstrittenen und besonders von den USA mit Sanktionen bekämpften Gaspipeline-Projekts Nord Stream 2, um die Energiegroßmacht Russland zu treffen. Die Bundesregierung hält aber trotz der Inhaftierung Nawalnys an der Leitung zwischen Russland und Deutschland fest. "Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2 besteht nicht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Haltung der Bundesregierung zu dem Projekt sei unverändert.
Seibert verurteilte im Namen der Bundesregierung das "ganz unverhältnismäßig harte" Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen. "Dieses Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten ist leider ein weiteres Beispiel für den äußerst problematischen Umgang mit Andersdenkenden in der Russischen Föderation", sagte er.
Wegen des Giftanschlags auf Nawalny mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok im August hat die EU bereits Sanktionen gegen ranghohe Funktionäre in Russland verhängt. Nawalny sieht ein Killerkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl hinter dem Attentat. Der FSB und Putin weisen die Vorwürfe zurück. In Brüssel wird davon ausgegangen, dass staatliche Stellen in Russland hinter dem Attentat stehen.
Für eine schnelle und deutliche Reaktion gegen Russland werben vor allem östliche Mitgliedstaaten wie Polen und die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland. Eine Entscheidung über neue Sanktionen wird aber frühestens im nächsten Monat erwartet.
Das neue Sanktionsinstrument der EU ermöglicht es, Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon profitieren. Zudem können Einreiseverbote verhängt werden. Das Instrument könnte gegen vermögende Unterstützer Putins wirksam werden. Diese haben vielfach Luxusanwesen und wichtige Geschäftskontakte in der EU und könnten hart getroffen werden. Nawalny hat dazu eine ganze Liste mit Vorschlägen vorgelegt.
Ein wichtiger Auslöser der Proteste in Russland war auch ein neues Video, in dem Nawalny Putin einen milliardenteuren Palast am Schwarzen Meer zuschreibt. Der Kremlchef reagierte bei einem Online-Gespräch mit Studenten erstmals selbst auf die Vorwürfe. "Nichts von dem, was dort als mein Eigentum gezeigt wird, gehört mir oder meinen engsten Verwandten - und gehörte auch nie. Niemals.", sagte Putin. Das Video kam bereits nach wenigen Tagen auf fast 87 Millionen Aufrufe bei Youtube. Zuvor hatte bereits Putins Sprecher den Film als "Unsinn" bezeichnet.
Die Politologin Tatjana Stanowaja meinte, dass Putin mit seinem Kommentar zu Nawalnys Film anerkenne, dass der "Volkszorn" gerechtfertigt sei. Allerdings stelle sich die Frage, ob die Menschen Putin glaubten. Ohne Antwort dazu, wem der Palast gehört, sei das "lächerlich".
Das Grundstück mit dem Palast am Schwarzen Meer ist dem Film zufolge fast 40 Mal so groß wie Monaco und soll bereits mehr als 100 Milliarden Rubel (1,1 Milliarden Euro) verschlungen haben. Nach Darstellung Nawalnys sind die Besitzverhältnisse verschleiert worden. Finanziert worden sein soll alles aus Schmiergeldern, die Oligarchen und Putins enge Vertraute in den Staatskonzernen gezahlt hätten. In dem Video werden erstmals Drohnenaufnahmen und Dokumente gezeigt.