Ausland Brexit-Gespräche: Einigung wird immer unwahrscheinlicher
Brüssel/London (dpa) - Nur vier Monate vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase sind die Verhandlungen über ein Anschlussabkommen fast zum Stillstand gekommen.
Die Chefunterhändler der EU und Großbritanniens zeigten sich nach Abschluss der siebten Verhandlungsrunde am Freitag in Brüssel tief enttäuscht und machten sich gegenseitig schwere Vorwürfe. Die nächste Runde soll in der zweiten Septemberwoche in London stattfinden.
"Ich verstehe einfach nicht, warum wir wertvolle Zeit verschwenden", sagte der EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Es gelte nach wie vor, was er bereits Ende Juli gesagt habe: Es sei unwahrscheinlich, dass ein Abkommen rechtzeitig - also bis Ende Oktober - zustande komme.
Es habe sich diese Woche zu oft so angefühlt, als würde man rückwärts- statt vorwärtsgehen, sagte der Franzose. Zwar endet die Übergangsphase Ende des Jahres, aber ein Deal müsste zuvor vom Europaparlament, von den EU-Staaten und dem britischen Parlament ratifiziert werden.
Der britische Chef-Unterhändler David Frost warf hingegen der Europäischen Union vor, die Verhandlungen zu erschweren. "Wir hatten nützliche Diskussionen in dieser Woche, aber es gab nur wenig Fortschritte", teilte Frost mit. Eine Einigung hält der Brite zwar noch für möglich - "aber es wird nicht leicht zu erreichen sein".
Die EU poche darauf, dass man sich erst in strittigen Bereichen wie der Fischerei einigen müsse, bevor man über andere Felder verhandeln könne. "Das macht Fortschritte unnötig schwierig", sagte Frost. Es gebe noch andere Fragen, die gelöst werden müssten. "Die Zeit ist für beide Seiten knapp." Aus Verhandlungskreisen hieß es, die Atmosphäre bei den Gesprächen sei teils unterkühlt gewesen.
Großbritannien hat die Staatengemeinschaft nach fast einem halben Jahrhundert Ende Januar verlassen. Dennoch gehört das Land noch bis Jahresende zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion. Kommt kein Anschlussabkommen zustande, droht ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen. Angesichts des Verhandlungsstandes sei man sehr besorgt, betonte Barnier.
Die aktuelle Verhandlungsrunde hatten er und Frost am Dienstag mit ihren Teams begonnen. Die EU bietet Großbritannien ein Abkommen an, mit dem britische Waren auch künftig ohne Zölle und Mengenbegrenzung in den Binnenmarkt exportiert werden können. Dafür verlangt Brüssel jedoch gleich hohe Umwelt- und Sozialstandards sowie einheitliche Regeln zur Wirtschaftsförderung, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das Stichwort heißt "Level Playing Field". Großbritannien lehnt die EU-Forderungen hierzu ab.
Er sei enttäuscht, besorgt und auch ein wenig überrascht, sagte Barnier nach den jüngsten Verhandlungen. Denn der britische Premierminister Boris Johnson habe im Juli selbst betont, dass er die Arbeit im Sommer vorantreiben wolle.
Stattdessen habe das britische Verhandlungsteam keinen Willen gezeigt, sich bei den für die EU entscheidenden Themen zu bewegen. Dabei hätten sich die Prioritäten seit 2017 nicht geändert. Ausführlich ging Barnier darauf ein, dass die Standards für britische Unternehmen in der EU nicht abgeschwächt werden dürften. Das "Level Playing Field" sei eine nicht verhandelbare Voraussetzung für den Zugang zum Markt der Europäischen Union mit 450 Millionen Einwohnern. Doch auch bei Themen wie der Fischerei und Strafverfolgung lägen die Positionen noch weit auseinander.
Zugleich erkannte Barnier an, dass es zumindest bei einigen Themen Fortschritte gegeben habe. Er nannte etwa die Zusammenarbeit bei Energiefragen und den Kampf gegen Geldwäsche. Trotz der wenigen verbleibenden Zeit sei ein Abkommen noch möglich, sagte Barnier. Dazu müsse die britische Seite in der nächsten Verhandlungsrunde aber endlich konkrete und konstruktive Vorschläge vorlegen.