Nukleare Sprengköpfe Atommächte modernisieren Arsenale ihrer Nuklearwaffen
Stockholm (dpa) - Weltweit lagern noch immer mehr als 13.000 nukleare Sprengköpfe in den Arsenalen der Atommächte. Die Gesamtzahl der Atomwaffen auf der Erde ist im vergangenen Jahr zwar um etwa 3,5 Prozent weiter zurückgegangen.
Dennoch seien alle Atommächte dabei, ihre nuklearen Waffen weiter zu modernisieren, wie aus dem Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervorgeht.
Es erscheine so, dass alle neun Atomwaffenstaaten an ihren Arsenalen auf unbestimmte Zeit festhalten wollten, sagte der Sipri-Experte Shannon Kile der Deutschen Presse-Agentur. Tatsächlich hätten einige der Waffensysteme, die derzeit entwickelt würden, eine erwartete Lebensdauer bis hinein in die 2080er Jahre.
Weltweit gab es Anfang 2020 insgesamt schätzungsweise 13.400 nukleare Sprengköpfe - das ist weniger als ein Fünftel des Arsenals von etwa 70.000, über das die Atommächte zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges Mitte der 1980er Jahre verfügt hatten. Die beiden Supermächte dieser vergangenen Zeit verringern ihr Kontingent seitdem kontinuierlich, besitzen aber immer noch mehr als 90 Prozent aller Atomsprengköpfe: Bei den USA sind es noch 5800, bei Russland 6375.
Außerdem verfügen Großbritannien (215), Frankreich (290), China (320), Indien (150), Pakistan (160) und Israel (90) über Atomwaffen. Hinzu kommt das Arsenal des abgeschotteten Nordkoreas, dessen Zahl auf 30 bis 40 geschätzt wird und das wegen großer Unsicherheit über diese Ziffer nicht zur weltweiten Gesamtmenge hinzugerechnet wird. Als sofort einsatzbereit gilt jedoch nur ein Teil der Atomsprengköpfe der USA, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs - das bedeutet, dass sie bereits auf Raketen montiert sind oder sich auf aktiven Stützpunkten befinden.
Ein Jahr zuvor hatte der Rückgang bei den atomaren Sprengköpfen knapp vier Prozent betragen. Wie damals ließen sich die erneut rückläufigen Zahlen hauptsächlich darauf zurückführen, dass die USA und Russland alte Waffen ausrangierten, die sie nicht mehr benötigten, sagte Kile. Zudem wiesen er und seine Mitforscher darauf hin, dass in Russland und den USA umfassende und kostspielige Programme liefen, um ihre Atomsprengköpfe, Raketen- und Flugzeugsysteme sowie nuklearen Produktionsanlagen zu ersetzen und zu modernisieren.
Beide Länder räumten Atomwaffen in ihren Militärplänen neue und größere Rollen ein, was einem Trendwechsel im Vergleich zur Zeit nach dem Kalten Krieg entspreche. "Was uns insgesamt beunruhigt, ist die wachsende Bedeutung von Atomwaffen", sagte Kile. "Wir sehen einen entscheidenden Umschwung vom Trend nach dem Kalten Krieg zur allmählichen Marginalisierung nuklearer Waffen. Ich denke, das ist vielleicht die besorgniserregendste Entwicklung."
Der Abbau der atomaren Waffen verlangsamte sich: Waren es im Vorjahr in absoluten Zahlen im Jahresvergleich noch 600 weniger weltweit gewesen, betrug der Rückgang diesmal nur noch 465. Bei China kamen gar 30 Atomwaffen hinzu, ebenso gab es einen geringeren Anstieg bei den Erzrivalen Indien und Pakistan sowie bei Israel und Großbritannien. Zu den Briten merkte Sipri jedoch an, dass diese Bestände bereits wieder zurückgegangen sein könnten.
China befinde sich dagegen eindeutig in einer wesentlichen Modernisierung seines Atomwaffenarsenals, sagte Kile. Dabei gehe es Peking um den Aufbau einer sogenannten nuklearen Triade bestehend aus neuen land- und seegestützten Raketen und atomwaffenfähigen Flugzeugen. Nicht zuletzt wegen dieser Entwicklungen wollten die USA die Volksrepublik dringend bei den neuen Abrüstungsverhandlungen für die Zeit nach dem Auslaufen des New-Start-Vertrags mit Russland im Februar 2021 dabei haben, sagte Kile. China hat einer Teilnahme an solchen Gesprächen bereits wiederholt eine Absage erteilt.
Sipri bezog seine Daten für die 51. Ausgabe seines Jahresberichts erneut aus öffentlichen Quellen, unter anderem von Regierungen. Die Verfügbarkeit von vertrauenswürdigen Informationen über die Atomwaffenarsenale variiere stark, monierten die Friedensforscher. Die US-Regierung von Präsident Donald Trump habe 2019 die Praxis beendet, die Größe des US-Bestände öffentlich offenzulegen.