Drei fruchtlose Runden Brexit: EU-Politiker sehen "Moment der Wahrheit"
Brüssel (dpa) - Nach drei fruchtlosen Runden fordert EU-Unterhändler Michel Barnier nun greifbare Fortschritte in den Verhandlungen über ein Handels- und Partnerschaftsabkommen mit Großbritannien.
"Eine entscheidende Woche liegt vor uns", twitterte Barnier am Dienstag zum Auftakt der vierten Verhandlungsrunde. EU-Politiker appellierten an London, sich zu bewegen. Sonst drohe ein harter Bruch zum Jahresende. Die britische Regierung sieht dagegen die EU in der Pflicht. Britische Fischer drängen Brüssel ebenfalls zum Einlenken.
Vier Monate nach dem Brexit sieht bisher sieht keine Seite echte Fortschritte in den Gesprächen über die künftigen Beziehungen. Die EU bietet ein umfassendes Handelsabkommen, fordert aber von Großbritannien weitreichende Zusagen. Diese einwöchige Runde per Videokonferenz ist auch deshalb besonders wichtig, weil schon Ende Juni eine Einigung zum Thema Fischereirechte stehen soll. Zudem soll entschieden werden, ob die Verhandlungsfrist verlängert wird. Bisher ist der britische Premierminister Boris Johnson strikt dagegen.
"Wir stehen kurz vor dem Moment der Wahrheit", erklärte der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange in Brüssel. Sollte wichtigen Fragen wie Wettbewerbsbedingungen, Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz, Sicherheit und Fischerei nichts erreicht werden, "müssen wir uns auf einen ungeregelten, einen harten Brexit zum 1. Januar 2021 einstellen".
Auch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber mahnte die britische Seite zum Kompromiss. "Andernfalls wird es eng mit einem Abkommen bis Jahresfrist", meinte Ferber. Ohne klares Bekenntnis Londons zu fairen Wettbewerbsregeln könne es kein Abkommen geben. Von beiden Seiten forderte Ferber mehr Augenmerk auf die Zusammenarbeit bei Finanzdienstleistungen. "Es kann nicht sein, dass tagelang über Details der Fischereiabkommen gebrütet wird, die Finanzstabilität aber keine Rolle spielt", erklärte Ferber.
Wie viel EU-Fischer künftig in britischen Gewässern fangen dürfen, ist aber inzwischen hochpolitisch. Johnson will mit dem Brexit unbedingt die Kontrolle über die reichen Fischgründe des Landes bekommen. Die EU macht ihrerseits eine Einigung in dieser Frage zur Bedingung für ein Handelsabkommen.
Das kritisiert die britische Fischerei-Industrie scharf und fordert, Fragen rund um den Fischfang nicht mit Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zu verbinden. Das wäre die schlechteste Lösung, erklärten Branchenvertreter. Schiffe aus der EU fischten sechs Mal so viel in britischen Gewässern wie die eigenen Schiffe.
Großbritannien ist Ende Januar aus der EU ausgetreten. Bis zum Jahresende gilt noch eine Übergangsphase, in der praktisch alles beim Alten bleibt. Sollte in dieser Frist kein Abkommen gelingen, müssten Zölle und andere Handelsbeschränkungen eingeführt werden. Eine Verlängerung der Übergangsfrist um bis zu zwei Jahre wäre möglich, müsste aber noch im Juni beschlossen werden.
Der europapolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Michael Georg Link, forderte Johnson auf, sich darauf einzulassen. "Für ein gutes Abkommen braucht es mehr Zeit als bis Dezember", meinte Link. "Eine maßvolle Verlängerung der Verhandlungen wäre der beste Weg aus dem drohenden No-Deal-Szenario."
Eckpunkte für die künftige Partnerschaft hatten beide Seiten bereits in einer Politischen Erklärung vom Oktober vereinbart. Barnier wirft Großbritannien vor, davon abzurücken. Die britische Seite bestreitet dies und beklagt ihrerseits, die EU wolle das Land auf Dauer enger als gewünscht an sich binden und EU-Regeln unterwerfen.
"Es ist klar, dass die EU ihre Position weiterentwickeln muss, um eine Einigung zu erreichen", erklärte ein britischer Regierungssprecher zur vierten Verhandlungsrunde. "Wir werden nicht irgendwelchen EU-Forderungen zustimmen, unsere Rechte als unabhängiger Staat aufzugeben."
Dahinter steckt der Streit um die EU-Forderung, dass Großbritannien auch künftig ebenso hohe Umwelt- und Sozialstandards zusichert wie die EU. Die britische Regierung sagt, sie wolle keine Senkung der Standards, könne aber auch keine Vorgaben aus Brüssel akzeptieren.