EU-Sondergipfel in Brüssel EU-Gipfel sieht trotz Brexit-Einigung noch viele Probleme
Brüssel/London (dpa) - Erstmals in ihrer Geschichte macht sich die Europäische Union bereit für den Austritt eines Mitgliedsstaats. Die 27 bleibenden EU-Staaten billigten das Brexit-Paket mit Großbritannien. Doch erwartet nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel noch hohe Hürden.
"Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns", sagte die CDU-Chefin nach dem Sondergipfel. Auch EU-Ratschef Donald Tusk sprach von einem schwierigen Ratifizierungsprozess. Denn im britischen Parlament ist keine Mehrheit für den Vertrag in Sicht.
Das in monatelanger Kleinarbeit von EU-Chefunterhändler Michel Barnier mit der britischen Seite ausgehandelte Brexit-Paket umfasst einen knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag. Darin sind die Bedingungen der Trennung festgeschrieben - etwa die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und Schlusszahlungen des Vereinigten Königreichs an die EU von schätzungsweise rund 45 Milliarden Euro. Vorgesehen ist außerdem eine Übergangsfrist bis Ende 2020, diese könnte noch bis Ende 2022 verlängert werden. In dieser Zeit soll sich für die Wirtschaft und die Bürger beider Seiten praktisch nichts ändern.
Begleitet wird der Vertrag von der politischen Erklärung über eine sehr enge Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft nach dem Brexit. Die könnte ein Handelsabkommen sowie eine enge Zusammenarbeit bei Verteidigung, Sicherheit, Forschung und Klimawandel umfassen. Details müssten in den kommenden Jahren ausgehandelt werden.
Die EU möchte Großbritannien weiter möglichst eng an sich binden. "Man kann sagen, für einen Drittstaat eine bisher nie dagewesene Intensität von Beziehungen ist in der politischen Erklärung angelegt", sagte Merkel. Tusk kommentierte: "Wir werden Freunde bleiben bis zum Ende aller Tage - und noch einen Tag länger."
Die weitere Entwicklung dürfte nun maßgeblich in London bestimmt werden. Premierministerin Theresa May muss die Zustimmung ihres Parlaments gewinnen. Neben der Opposition wollen viele Hardliner der Konservativen Partei sowie die nordirische DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, den Deal ablehnen. Die Gefahr eines chaotischen Brexits am 29. März ist deshalb weiter nicht gebannt.
Vor Weihnachten soll das britische Unterhaus über die EU-Austrittsvereinbarung abstimmen. May kündigte an, für Zustimmung zu dem Deal zu kämpfen. "Das ist der beste mögliche Deal. Es ist der einzige mögliche Deal", sagte sie in Brüssel. Ihrem Land stehe eine entscheidende Debatte bevor. May hatte noch in der Nacht zum Sonntag in einem für sie recht emotionalen Brief öffentlich an die Briten appelliert, den EU-Austritt zu unterstützen.
Britische Politiker kritisierten das ausgehandelte Vertragswerk scharf. Nach Ansicht des früheren Parteichefs der Konservativen Partei, Iain Duncan Smith, wird es "sehr, sehr schwer" werden, den Deal zu unterstützen. Es sei "viel zu viel an die EU gegeben worden", sagte er dem Sender Sky News. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, sprach von einem "schlechten Deal". Außenminister Jeremy Hunt antwortete in einem BBC-Interview auf die Frage, ob die Regierung im Ringen um den Brexit kollabieren könnte: "Es ist nicht möglich, irgendetwas auszuschließen."
Laut "Sunday Times" arbeiten EU-freundliche Kabinettsmitglieder um Finanzminister Philip Hammond heimlich an einem Plan B für den Fall, dass der Deal im britischen Parlament durchfallen sollte. Ex-Außenminister Boris Johnson hatte zuvor kritisiert, dass das Abkommen Großbritannien zu einem "Vasallenstaat der EU" mache.
Die Chefin der nordirischen Partei DUP, Arlene Foster, drohte May wieder mit einer Aufkündigung der Zusammenarbeit. Ihre Partei werde unter keinen Umständen Mays Brexit-Deal unterstützen, sagte Foster dem Sender BBC. Falls auch das Parlament in London dem Vertragswerk zustimmen sollte, werde man die Zusammenarbeit überprüfen.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte davor, das Brexit- Paket abzulehnen: "Diejenigen, die denken, durch Ablehnung des Abkommens ein besseres zu bekommen, werden enttäuscht sein." In einem am Sonntagabend vorab im Internet veröffentlichten Interview des ZDF-"Heute Journals" ergänzte er: "Wenn dieser Deal nicht die parlamentarischen Hürden schafft, dann gibt es eben keinen Deal."
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wir hoffen nun auf ein verantwortungsvolles Handeln im britischen Parlament, denn noch ist nichts in trockenen Tüchern."
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban gab Juncker eine Mitschuld am EU-Austritt Großbritanniens. "Einer der schwersten Fehler war es, dass die EU einen Kommissionspräsidenten bestellt hat, dessen Person die Briten ablehnten", sagte der rechtsnationale Politiker.
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte deutete an, dass es auch Planungen für ein Scheitern des Ratifizierungsprozesses gebe. "Wir arbeiten auch an einem "No-Deal"-Szenario, denn das kann nicht ausgeschlossen werden. Es gibt also auch einen Plan B - aber wir sind hoffnungsvoll, dass das Parlament das Abkommen akzeptieren wird."