Nach "barbarischem Angriff" Großbritannien ist wieder im Terrormodus
Großbritannien wurde 2005 von einem besonders schweren Terroranschlag getroffen. Dann passierte zwölf Jahre zumindest keine große Attacke - bis zu diesem Jahr. Kommt jetzt der Terror wieder?
Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Exakt zwei Monate nach dem Terroranschlag in der Nähe des Londoner Parlaments reißt eine Explosion zahlreiche Menschen in den Tod: Dieses Mal trifft es die Besucher eines Popkonzerts in Manchester. Ein lauter Knall - und mindestens 22 Menschen sterben, mehrere Dutzend erleiden Verletzungen. Viele der Opfer sind Kinder und Jugendliche.
Körper liegen regungslos auf dem Boden. "Sie waren ganz mit Blut bedeckt und wirklich sehr schwer verletzt", berichtet ein Mann. Auf der Flucht zu den Ausgängen werden Konzertbesucher niedergetrampelt. Unbegleitete Kinder schreien in Panik. Die Polizei ist bereits kurz nach der Tat davon überzeugt: Es ist ein Terroranschlag.
Erst London, jetzt Manchester
"Es gibt jetzt keinen Zweifel daran, dass die Bevölkerung Manchesters und dieses Landes Opfer eines eiskalten terroristischen Angriffs geworden ist", sagt auf Premierministerin Theresa May in London vor ihrem Dienstsitz Downing Street No. 10. "Alle Terrortaten sind feige Angriffe auf unschuldige Menschen. Aber dieser Angriff sticht heraus wegen seiner abstoßenden, abscheulichen Feigheit." Absichtlich habe man auf unschuldige, wehrlose Kinder und junge Menschen gezielt.
Was den Briten besonders weh tut: Die Wunden vom Terroranschlag vor zwei Monaten sind noch nicht mal vernarbt. Verwelkte Blumen finden sich noch hier und dort nahe des Londoner Parlaments. Ein Attentäter steuerte im März ein Auto absichtlich auf einer Themse-Brücke in Fußgänger und erstach dann einen Polizisten. Der Täter war schon zuvor als gewaltbereiter Extremist aufgefallen und zum Islam konvertiert. Die blutige Bilanz: sechs Tote und Dutzende Verletzte.
Anschläge von 2005 als Zäsur für Geheimdienste
Davor hatten die Briten gut zwölf Jahre lang Ruhe. Ein besonders schwerer Anschlag erschütterte das Vereinigte Königreich im Juli 2005 Damals zündeten vier Muslime mit britischem Pass in der U-Bahn und in einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen starben, etwa 700 wurden verletzt.
Seitdem haben die Geheimdienste viele Pläne von Terrorgruppen durchkreuzt. Mit der Polizei-Operation "Kratos" sollten nach den Anschlägen von 2005 potenzielle Selbstmordattentäter ausgeschaltet werden - versehentlich wurde jedoch ein unbescholtener Mann aus Brasilien erschossen. Mit verantwortlich war damals Cressida Dick, die kürzlich ernannte, erste Polizeichefin von Scotland Yard. Ihr konnte aber kein Fehlverhalten nachgewiesen werden.
Nach dem Attentat am Parlament vor zwei Monaten hatte die Polizei deutlich sichtbar ihre Präsenz erhöht. Es wurden noch mehr Sperren für Fahrzeuge errichtet, Hubschrauber kreisten über Tage im Parlamentsviertel. Scotland Yard und die Geheimdienste melden zudem regelmäßig stolz die Festnahmen von Terrorverdächtigen. In Sachen Videoüberwachung ist Großbritannien ohnehin bestens gerüstet.
Bisher kein Wahlkampfthema
Kein Wunder also, dass Kampf gegen den Terrorismus im Wahlkampf derzeit keine große Rolle spielt. Am 8. Juni lässt Premierministerin Theresa May ein neues Parlament wählen. Das Vereinigte Königreich hatte bislang andere Sorgen jenseits des Terrorismus, vor allem die Scheidung von der EU und die große Schere zwischen Arm und Reich.
Doch nun wird der Wahlkampf der Parteien vorübergehend ausgesetzt. May hat stattdessen am Dienstag umgehend eine Krisensitzung in London einberufen. Viele Fragen müssen noch geklärt werden, zum Beispiel ob der Täter in Manchester einem Netzwerk angehörte. Und auch zeitliche Zusammenhänge müssen sicherlich überprüft werden.
So fand der jüngste Anschlag exakt zwei Monate nach der Terrorattacke in Westminster und am vierten Jahrestag der Ermordung des britischen Soldaten Lee Rigby in London statt. Der 25-jährige Rigby wurde am 22. Mai 2013 vor seiner Kaserne mit einem Auto angefahren und mit Messern und einem Fleischerbeil getötet. Die Täter wollten Rache nehmen für Muslime, die angeblich von der britischen Armee getötet worden sind.