Nahost-Krieg Netanjahu: Zweite Phase des Gaza-Krieges hat begonnen
Mit der Ausweitung der Bodeneinsätze des israelischen Militärs im Gazastreifen hat nach Angaben von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die zweite Phase des Krieges gegen die Hamas begonnen.
Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten sowie die Herrschaft der Islamistenorganisation zu zerstören und die Geiseln nach Hause zurückzubringen, sagte er Abend in Tel Aviv. Die massiven Luftangriffe der vergangenen Wochen hätten der Hamas einen "schweren Schlag" versetzt. "Allerdings stehen wir erst am Anfang", betonte er. Der Krieg werde "schwierig und langwierig".
Armeeangaben zufolge waren in der Nacht israelische Bodentruppen in den Norden des abgeriegelten Küstenstreifens vorgedrungen. Anders als bei begrenzten Einsätzen dieser Art in früheren Nächten zogen sich die Panzerverbände jedoch zunächst nicht wieder zurück. Beteiligt seien Infanterie, Panzertruppen, Ingenieurkorps und Artillerie, hieß es. Dem Militär zufolge sollen vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen werden.
Zahl der bestätigten Geiseln steigt weiter
Netanjahu war zuvor mit Familien von Geiseln zusammengetroffen. Armeeangaben zufolge wurden die Familien von 230 Geiseln informiert. Erwartet wird, dass die Zahl weiter steigen könnte. Die vier von der islamistischen Hamas bereits freigelassenen Geiseln sind nach Militärangaben bei der Zahl nicht mitgerechnet. Bei den Angriffen von Terroristen der Hamas am 7. Oktober waren in Israel 1400 Menschen getötet und mehr als 200 Menschen entführt worden, darunter auch einige deutsche Staatsbürger.
Vertreter der Angehörigen forderten einen Gefangenenaustausch. Israel solle die Freilassung aller palästinensischen Häftlinge im Austausch für alle Geiseln erwägen. Netanjahu sagte, ein Austausch werde debattiert. Details wollte er nicht nennen. Die Bedingungen eines solchen Abkommens offenzulegen, werde nicht dabei helfen, ihn zu verwirklichen. Der Chef der islamistischen Hamas, Jihia al-Sinwar, behauptete, die Palästinenserorganisation sei bereit, ein Abkommen über einen Gefangenenaustausch sofort abzuschließen.
Israels Militär ruft zu weiteren Evakuierungen auf
Die israelische Armee rief die noch im Norden des Gazastreifens verbliebenen Menschen erneut dringend auf, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Das "Zeitfenster" schließe sich schnell, hieß es. Hilfsorganisationen beklagten, dass der Ausfall fast aller Telefon- und Internetverbindungen die Hilfe für Opfer des Krieges noch schwieriger mache. Es war die Rede von Panik und Chaos.
UN-Hilfswerk besorgt
Das UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA beklagte, zur "großen Mehrheit" seiner Mitarbeiter im Gazastreifen keinen Kontakt mehr zu haben. UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini bezeichnete den Ausfall der Kommunikationsdienste als "einen weiteren Versuch, die humanitäre Antwort für die Zivilisten im Gazastreifen" zu behindern. Das Hilfswerk werde sich davon aber nicht entmutigen lassen.
Die Versorgungslage im Gazastreifen war schon vor Kriegsbeginn sehr schlecht und hat sich durch die laufenden Kämpfe noch verschlimmert. Fast die Hälfte der gut 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen sind Kinder und Jugendliche. Bei den israelischen Gegenschlägen in den vergangenen drei Wochen sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in dem Palästinensergebiet mehr als 7703 Menschen ums Leben gekommen.
UN-Generalsekretär fordert sofortigen Waffenstillstand
UN-Generalsekretär António Guterres rief erneut zu einem "sofortigen humanitären Waffenstillstand" auf. Er sei überrascht über die "beispiellose Eskalation" der Bombardierungen, sagte Guterres. Er forderte auch die bedingungslose Freilassung aller Geiseln und die Bereitstellung von Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen. Dort spiele sich "vor unseren Augen" eine humanitäre Katastrophe ab.
Spannungen zwischen Israel und Türkei verschärft
Nach "harschen Äußerungen" aus der Türkei rief Israel seine diplomatischen Vertreter aus Ankara ab. Sein Land werde eine Neubewertung der Beziehungen zur Türkei vornehmen, schrieb Außenminister Eli Cohen auf der Plattform X. Botschafterin Irit Lillian und weitere Botschaftsmitarbeiter hatten die Türkei bereits verlassen. Israel hatte zuvor auch seine Staatsbürger zum Verlassen der Türkei aufgefordert. Hintergrund war die Sorge vor Anschlägen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel auf einer pro-palästinensischen Demonstration in Istanbul "Kriegsverbrechen" vor. Zuvor hatte Erdogan die islamistische Hamas schon als "Freiheitskämpfer" bezeichnet. Die USA, Europa und Israel stufen die Hamas als Terrororganisation ein, die Türkei nicht.
Bodeneinsatz ausgeweitet
Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte, Israel schreite "in den Kriegsphasen voran". In der Nacht "sind israelische Truppen in den Norden des Gazastreifens vorgedrungen und haben den Bodeneinsatz ausgeweitet". Es seien mehrere ranghohe Kommandeure der islamistischen Hamas getötet worden. Darunter sind nach Militärangaben auch ein Hamas-Marinekommandeur sowie der für Luftangriffe zuständige Hamas-Anführer Asem Abu Rakaba.
Weiter Raketenangriffe aus Gaza auf israelische Städte
Militante Palästinenser schossen auch wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte. In israelischen Ortschaften im Grenzgebiet heulten mehrmals Warnsirenen. Auch im Großraum Tel Aviv gab es erneut Raketenalarm, ebenso in der Küstenstadt Aschkelon. In der Wüstenstadt Beerscheva wurde nach Polizeiangaben ein Gebäude durch eine Rakete getroffen. Israelische Medien berichteten, auch in den Städten Holon, Kiriat Ono und Ramat Gan, alles Vororte von Tel Aviv, seien Raketen eingeschlagen - ähnlich in Aschdod in der Nähe des Gazastreifens. Über Verletzte wurde zunächst nichts bekannt.
Neue Gefechte an Israels Grenze zum Libanon
An Israels Grenze zum Libanon kam es wieder zu Gefechten. Mehrere Panzerabwehrraketen und Mörsergranaten seien vom Libanon aus auf Israel abgefeuert worden, teilte die israelische Armee mit. Israels Militär habe zurückgeschossen und militärische Einrichtungen der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah angegriffen. An der Grenze kommt es seit Beginn des Gaza-Kriegs zunehmend zu Zwischenfällen. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Die Hisbollah ist wie die Hamas mit Israels Erzfeind Iran verbündet.
- Nachrichtenagentur dpa