Nach Kritik an Ungarn Orban verlangt Rücktritt von EU-Kommissarin
Seit Jahren gibt es Streit zwischen der EU und Ungarn über den autoritären Regierungsstil von Victor Orban. Der schießt sich jetzt auf EU-Kommissarin Vera Jourova ein – und bricht einseitig alle Kontakte ab.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat wegen Kritik an der Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit in seinem Land den Rücktritt der Vize-Präsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova, gefordert. Jourova habe in einem Interview abfällige Erklärungen zu Ungarn abgegeben, heißt es in einem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das Orbans Sprecher am Dienstag veröffentlichte. Dies sei "ein direkter politischer Angriff" gegen Ungarns demokratisch gewählte Regierung und eine Demütigung des ungarischen Volkes.
Jourova, die EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, hatte sich im "Spiegel" zur Lage der Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Ungarn geäußert: "Herr Orban sagt gern, dass er eine illiberale Demokratie aufbaue", sagte Jourova dem Magazin. "Ich würde sagen: Er baut eine kranke Demokratie auf." Wegen Verstößen in diesen Bereichen steht Ungarn seit Jahren in der EU am Pranger.
Ungarn setzt Kontakte zu Jourova auf Eis
Orban nahm in seinem Brief direkt Bezug auf diese Äußerung. Sie verstoße gegen "die Rolle der Kommission als neutrale und objektive Institution", schrieb er. Jourovas Äußerungen seien "unvereinbar mit ihrem derzeitigen Mandat, deshalb ist ihr Rücktritt unabdingbar". Die ungarische Regierung werde alle bilateralen Kontakte mit ihr aussetzen.
Aus dem EU-Parlament kam deutliche Kritik an dem nationalkonservativen Regierungschef. Die Forderung sei dreist, schrieb der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange auf Twitter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen müsse nun eine "klare Ansage machen".
Der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Dacian Ciolos, sicherte Jourova seine "volle Unterstützung" zu. Die Angriffe auf sie seien "ein weiterer Beweis für die Notwendigkeit eines klaren und unparteiischen Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit". Der niederländische Grüne Bas Eickhout sprach ironisch von einer "guten Nachricht". Die Rücktrittsforderung zeige, dass Orban nervös werde.
Orban hat freie Medien in Ungarn abgeschafft
Wie gegen Polen läuft gegen Ungarn seit Jahren ein Strafverfahren wegen Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit. Es kann bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Die Mitgliedstaaten schreckten aber bisher vor einer solch weitreichenden Sanktion zurück. Derzeit verhandeln die EU-Staaten aber über einen neuen Mechanismus, der bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zur Kürzung oder Streichung von EU-Geldern führen soll.
Orban regiert in Ungarn seit 2010 mit zunehmend autoritären Methoden. Die meisten unabhängigen Medien ließ er durch wirtschaftlichen Druck und Aufkäufe durch regierungsnahe Oligarchen ausschalten. Im Juli brachten Geschäftsleute das letzte große unabhängige Internet-Portal "index.hu" unter ihre Kontrolle. Die von Orban-Getreuen geschaffene Stiftung Kesma gebietet über ein Konglomerat von fast 500 Medien – darunter Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Internet-Portale.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa