Brexit und Grenzschutz EU fordert von Deutschland 12 Milliarden mehr – pro Jahr
Wie viel Geld soll die EU künftig wofür ausgeben? Haushaltskommissar Oettinger präsentiert seine Vorschläge. Auch auf Deutschland kommen Milliarden Mehrausgaben zu.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger rechnet damit, dass Deutschland künftig zusätzliche Beiträge von elf bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr zum europäischen Gemeinschaftshaushalt leisten muss. Allein bis zu 4 Milliarden seien notwendig, um die Finanzierungslücke zu schließen, die das Ausscheiden von Großbritannien aus der EU hinterlässt. Oettinger will an diesem Mittwoch die langfristige EU-Finanzplanung in Brüssel vorstellen.
Beiträge steigen, Agrarsubventionen sinken
Bereits vor der offiziellen Vorstellung hagelt es deutliche Kritik. Der Grund: Die Ausgaben sollen insgesamt steigen, ebenso wie die Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten. In bestimmten Bereichen wie der Agrarpolitik sollen die Zahlungen allerdings zurückgefahren werden – und beispielsweise an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards geknüpft werden.
Der Vorschlag sei weit davon entfernt, akzeptabel zu sein, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. "Unser Ziel muss sein, dass die EU nach dem Brexit schlanker, sparsamer und effizienter wird", sagte er. Diesem Ansatz trage die Kommission nicht ausreichend Rechnung. Es stünden nun "harte Verhandlungen" bevor. Österreich sei dabei eng abgestimmt mit anderen Nettozahlern wie den Niederlanden, Dänemark oder Schweden.
Bundesregierung zu Mehrausgaben bereit
Die Bundesregierung hingegen ist zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit – allerdings unter dem Vorbehalt, dass die EU sich auf "Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert" konzentriert. Zudem forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Verteilungskriterien für EU-Gelder für strukturschwache Regionen "künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten widerspiegeln" sollten.
Oettinger hingegen forderte von allen EU-Mitgliedstaaten Flexibilität und Kompromissbereitschaft. Er verteidigte im ARD-"Morgenmagazin" das Vorhaben, die Ausgaben insgesamt steigen zu lassen, obwohl sich die EU mit einem Austritt Großbritanniens verkleinert. Die geplanten Kürzungen im Agrarbereich nannte Oettinger moderat. Er räumte aber ein, dass dadurch die Preise für Lebensmittel steigen könnten, weil die Landwirte ihrerseits die Preise erhöhen.
Grüne: "Agrarpolitische Steinzeit" droht
Die Grünen fürchten, dass die EU ihre Richtlinien für Agrarsubventionen aufweicht und damit eine gezielte Förderung der Öko-Landwirtschaft erschwert. "Es droht der Rückfall in eine agrarpolitische Steinzeit", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Die Agrarsubventionen drohen zum milliardenschweren unkonditionierten Selbstbedienungsladen zu werden."
Der Vorschlag des Haushaltskommissars umfasst den Zeitraum 2021 bis Ende 2027. Nach bereits vorab bekannt gewordenen Informationen wird er vorsehen, Mitgliedstaaten künftig deutlich höhere Beitragszahlungen abzuverlangen. Zudem ist zum Beispiel eine Plastiksteuer im Gespräch.
EU muss die Brexit-Lücke schließen
Schwierig ist die Finanzplanung diesmal vor allem wegen des von Großbritannien geplanten EU-Austritts. Das Land zahlte bislang als sogenannter Nettozahler immer deutlich mehr Geld in den EU-Haushalt ein als es wieder herausbekam. Nach Berechnungen Oettingers würden deswegen künftig ohne Zusatzeinnahmen pro Jahr mindestens zwölf Milliarden Euro fehlen. Deutschland müsse davon voraussichtlich 3,5 bis 4 Milliarden schultern – darin inbegriffen sei bereits der EU-Grenzschutz, sagte Oettinger der ARD. Der Rest werde fällig, weil die Inflation ausgeglichen werden müsse.
Klar positiv äußerte sich Österreichs Bundeskanzler Kurz lediglich über das Vorhaben, einen verstärkten Fokus auf den Außengrenzschutz sowie auf Innovation, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Umwelt zu legen. "Die EU muss nach dem Subsidiaritätsprinzip auf Bereiche setzen, wo europäische Zusammenarbeit sinnvoll ist", sagte er. In die "richtige Richtung" gehe auch der Ansatz, die Bürokratie für die Empfänger von EU-Mitteln deutlich zu reduzieren.
Auf Basis des Kommissionsvorschlags werden in den kommenden Monaten die EU-Mitgliedstaaten über den Finanzrahmen verhandeln. Die Entscheidung über ihn muss am Ende einstimmig fallen. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, grundsätzlich zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit zu sein, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die EU sich auf "Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert" konzentriert.
- dpa, AFP, Reuters