Werden die Grenzen jetzt dicht gemacht? Was der Terror von Berlin für Europa bedeutet
Die unerkannte Flucht des Attentäters von Berlin, Anis Amri, über mehrere europäische Grenzen ist Wasser auf die Mühlen der Schengen-Gegner. Steht der freie Reiseverkehr nun vor dem Aus? Ganz so weit wird es wohl nicht kommen. Fragen und Antworten zur Zukunft der Reisefreiheit im Schengen-Raum.
Die Reisefreiheit im sogenannten Schengen-Raum gilt als eine der größten Errungenschaften Europas. Eine Wiedereinführung der innereuropäischen Grenzkontrollen auf Dauer würde unkalkulierbaren wirtschaftlichen Schaden verursachen - allein wegen der Wartezeiten von Lastwagen an den Grenzen. Neben ökonomischen Überlegungen spielt aber auch Symbolik eine große Rolle.
Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS) könnten es als riesigen Erfolg feiern, wenn sie die EU zur Aufgabe der Reisefreiheit zwingen würden. Auch deswegen stellt derzeit kein bedeutender Regierungspolitiker das Schengensystem infrage. Lediglich von nationalistischen Parteien wie der französischen Front National oder der deutschen AfD kommen immer wieder Forderungen nach einem Ende der Reisefreiheit in Europa.
Was könnte der Anschlag in Berlin denn dann für die Sicherheitspolitik der EU bedeuten?
Denkbar ist vor allem, dass Pläne, die nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien entwickelt wurden, nun zügiger umgesetzt werden. Konkret geht es etwa um den Aufbau eines europäischen Ein- und Ausreisesystems. In ihm sollen alle Nicht-EU-Bürger registriert werden, die für einen Kurzaufenthalt ohne Visa in den Schengen-Raum einreisen dürfen. Mit der Datenbank wird es möglich sein, Personen zu ermitteln, die die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten haben oder ohne gültige Ausweispapiere im Schengen-Raum sind. Einreiseverbote werden ebenfalls in dem System erfasst. Das Entry-Exit-System soll das derzeitige Prozedere des Abstempelns von Reisepässen ersetzen, das als zeitaufwendig gilt und keine verlässlichen Daten zu Grenzübertritten liefert.
Ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass US-Bürger und andere nicht visumpflichtige Ausländer ab 2020 nicht mehr ohne Vorab-Registrierung in die EU kommen dürfen. Eine Einreisegenehmigung würde nur dann erteilt werden, wenn eine Computer-Analyse der abgefragten Angaben positiv verläuft. Bei all diesen Maßnahmen geht es um den Schutz der EU-Außengrenzen.
Aber was ist mit den Binnengrenzen? Kann man eine Flucht wie die Amris durch halb Europa verhindern, ohne Schengen aufzugeben?
Nach Auffassung der belgischen Regierung schon. Sie will Reiseverkehrsunternehmen vom kommenden Jahr an verpflichten, Informationen von Passagieren auf internationalen Verbindungen zu speichern - nicht nur bei Flugreisen, auch im Bahn-, Bus- und Schiffsverkehr. Über die belgischen Grenzen sollen dann nur noch Reisende kommen dürfen, die ein auf ihren Namen ausgestelltes Ticket haben.
Hätte eine solche Regelung verhindern können, dass ein Attentäter nach einem Anschlag unerkannt durch EU-Länder reisen kann?
Die Registrierungspflicht hätte ihm die Flucht auf jeden Fall schwerer gemacht. Im Idealfall wäre er bereits aufgefallen, als er von Deutschland in die Niederlande fuhr. Wirkliche Sicherheit können aber auch solche Regelungen nicht bieten. Dafür müssten die EU-Staaten ihre Grenzen komplett abriegeln und Zäune und Mauern bauen.
Warum werden die belgischen Pläne in Deutschland und anderen EU-Ländern kritisch gesehen?
Weil Aufwand und Ertrag nach Meinung vieler Experten nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen. In der EU-Kommission wird zum Beispiel argumentiert, dass die Kontrolle von Tickets und Ausweisdokumenten an Bahnhöfen zu langen Warteschlangen führen dürfte. Diese könnten zu einem neuen Ziel für Selbstmordattentäter werden. Bahn- und Busunternehmen fürchten den zusätzlichen Aufwand für die Kontrollen, der sie zu höheren Ticketpreisen zwingen könnte. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums liegen den deutschen Sicherheitsbehörden zudem keine Anhaltspunkte darüber vor, dass der grenzüberschreitende Hochgeschwindigkeitszugverkehr einer höheren Gefährdung unterliegt als andere Eisenbahnverkehre in Deutschland.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, die Terrorabwehr innerhalb der EU zu verbessern?
Als einer der größten Schwachpunkte gilt die Zusammenarbeit der nationalen Sicherheitsbehörden. Die Bemühungen, den Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten zu verbessern, kommen trotz Aktionsplänen eher langsam voran.