Geplanter Deal EU will Migranten in libyschen Auffanglagern festhalten
Im Sommer könnten Hunderttausende Migranten versuchen, von Nordafrika nach Europa zu kommen.
In der EU gibt es Planungen, den befürchteten Zustrom von Migranten aus Nordafrika mit drastischen Maßnahmen zu verhindern. Ein internes EU-Dokument, das der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) kürzlich an die Mitgliedstaaten versandte, skizziert bereits einen Deal mit einer neuen libyschen Regierung, der die umstrittenen Absprachen mit der Türkei noch übertrifft. Das 17-seitige Papier liegt "Spiegel Online" vor.
In dem Papier beschreiben die Beamten der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, wie eine neue libysche Regierung die Überfahrt von Migranten in Richtung Italien stoppen könnte: In Zusammenarbeit mit der EU könnten die libyschen Behörden "vorübergehende Auffanglager für Migranten und Flüchtlinge" unterhalten. "Dabei muss man auch über Inhaftierungseinrichtungen nachdenken", heißt es in dem Papier.
Die Ideen erinnern an Zeiten, als die EU mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi kooperierte, um den Zustrom von Flüchtlingen über das Mittelmeer zu stoppen. Damals zahlte man Gaddafi Geld und hofierte den Despoten, damit dieser verhindert, dass Flüchtlingsboote an seiner Küste gen Italien ablegen können. Gaddafi baute auch Auffanglager für Migranten, in Wirklichkeit waren es Gefängnisse.
Die aktuellen Überlegungen illustrieren, wie die EU nach der Westbalkanroute nun die zweite große Flüchtlingsroute abriegeln will. Schon im November 2015 schlugen die Europäer beim Gipfel von Valletta vor, "Migrationszentren" in Afrika einzurichten - doch die Afrikaner wollten davon nichts wissen. Mitte April wagte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi einen erneuten Vorstoß. Zusätzlichen Auftrieb bekommt die Idee durch das EU-Abkommen mit der Türkei, das den Migranten-Andrang deutlich gesenkt hat - und bereits als Blaupause für ähnliche Absprachen mit anderen Staaten gilt, vor allem mit Libyen.
Für den Sommer rechnet man damit, dass viele Migranten den gefährlichen Weg von Libyen aus in Richtung Italien wagen wollen. Schätzungen zufolge warten bereits rund 200.000 Menschen in Libyen auf die Abreise, andere Quellen sprechen von einer halben Million.
In der EU sorgt das Szenario für Aufregung. Erst kürzlich tagten die EU-Außenminister dazu in Luxemburg. Von den drastischen Plänen, die Flüchtlinge in Libyen gewaltsam aufzuhalten, war da jedoch keine Rede. Allerdings sagte die EU bereits Unterstützung für die gerade gebildete Regierung der Nationalen Einheit zu, um im Land Fuß zu fassen.
Bisher sitzt die mühsam gebildete Regierung von Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch noch abgeschottet in einer Marinebasis in Tripolis, langsam aber übernimmt sie die wichtigen Ministerien. Von der EU bekam die neue Truppe bereits hochrangigen Besuch, auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege wagten sich schon zu einem Kurztrip nach Libyen, um die neue Regierung symbolisch zu legitimieren.
"Konsequenter Mangel an Klarheit"
Wie die heikle Kooperation mit Libyen funktionieren soll, ist noch unklar. Niemand habe ein klares Lagebild aus dem Land, seitdem sich die internationale Gemeinschaft im Juli 2014 aus Tripolis zurückgezogen hat, heißt es in dem EU-Dokument. Vielmehr herrsche "konsequenter Mangel an Klarheit", welche Schlüsselinfrastrukturen vorhanden sind und welche Fähigkeiten die libyschen Behörden besitzen.
Folglich denkt man in der EU vorerst verstärkt darüber nach, Migranten zu stoppen, kurz nachdem sie in Richtung Europa in See gestochen sind. So ist in dem Dokument des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) davon die Rede, dass die EU-Marinemission "Sophia" im Mittelmeer eine Rolle "beim Aufbau der libyschen Küstenwache und Marine" spielen könnte, zusätzlich zur Hilfe der EU beim Aufbau von Justiz und Polizei.
Für den Ausbau der Mission "Sophia", an der sich die Bundeswehr mit zwei Kriegsschiffen beteiligt, braucht die EU noch die Zustimmung der libyschen Regierung. Als die Außenminister in Luxemburg tagten, war Ministerpräsident al-Sarradsch per Video zugeschaltet, er zeigte sich offen für eine Kooperation. Für Militäroperationen im libyschen Hoheitsgewässer allerdings bräuchte die EU das noch offiziell.
Schleuser riskieren bewusst Leben der Migranten
Bisher greifen die EU-Kriegsschiffe vor Libyen nicht ein, sie klären nur die Schleuseraktivitäten auf. Die Kriminellen aber haben sich bereits angepasst. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf die Linksfraktion setzen die Schleuser aktiv darauf, dass die Migranten schon kurz nach dem Aufbrechen in Libyen entweder von den europäischen Schiffen oder von Hilfsorganisationen aufgegriffen werden.
Das zynische Kalkül der Schleuser beantwortet die EU nüchtern. Seit Beginn der EU-Operation habe "der Einsatz von weniger seetüchtigen Schlauchbooten zugenommen", schreibt die Bundesregierung. Zudem seien die Boote "durchschnittlich mit weniger Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser" ausgestattet. "Eine Passage über das Mittelmeer wäre damit regelmäßig nicht möglich gewesen."
Ein schnelles Ende des Geschäfts ist nicht absehbar. Der Menschenschmuggel sei in Libyen "äußerst profitabel" und das Risiko für Schlepper gering, bilanziert der EEAS. Kriminelle Gruppen und womöglich auch Terroristen würden sich auf diese Weise finanzieren.
Ohnehin werde die Sicherheitslage in Libyen "zunehmend von den Aktivitäten des 'Islamischen Staats' und anderen Terrorgruppen beeinflusst", so der EEAS. Ähnlich äußerte sich am Mittwoch Martin Kobler, Uno-Sonderbotschafter für Libyen. Die Angriffe des IS auf die Ölanlagen Libyens seien ein "schwerer Angriff" auf die Wirtschaft und die Lebensgrundlage von Millionen Libyern, so Kobler.
Doch offenbar hat es nicht nur der IS auf die nahezu einzige Einnahmequelle Libyens abgesehen. Am Montag ließ die "Würde"-Koalition, eine von drei derzeit in Libyen aktiven Regierungen, in Bengasi einen Tanker mit 650.000 Barrel Rohöl befüllen und ablegen - in offener Missachtung der neuen Regierung. Sollte der Kampf ums Öl eskalieren, droht Libyen eine weitere Destabilisierung.