Europäische Union In Griechenland droht "soziale Explosion"
Unmittelbar vor Griechenlands Schicksalswahl an diesem Sonntag hat der renommierte Politikprofessor Menelaos Givalos von der Athener Universität vor einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft gewarnt.
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd äußerte er die Sorge vor einer sozialen Explosion als Folge der Dauerkrise.
Professor Givalos, ganz Europa schaut am kommenden Sonntag nach Athen. Wie beurteilen Sie die Lage in Griechenland?
Professor Menelaos Givalos: Griechenland durchläuft eine Dauerkrise mit offenem Ausgang. Wenn das so weiter geht, dann werden die Menschen bald nicht mehr ihre Grundbedürfnisse decken können.
Nach den jüngsten Wahlen am 6. Mai scheiterten alle Versuche zur Regierungsbildung. Ist Griechenland unregierbar geworden?
Das bisherige politische System steht vor dem Zusammenbruch. Es gibt einen neuen Faktor. Das sind die griechischen Bürger selbst. Sie haben sich dazu entschieden, zu intervenieren. Sie wollen nicht fatalistisch darauf warten, was ihnen das Schicksal zuteilwerden lassen will.
Was meinen Sie damit genau?
Bei den jüngsten Wahlen ging es um die Frage: Bin ich für das Memorandum (die strengen Auflagen von EU, EZB und Internationalem Währungsfonds) oder bin ich dagegen. Das hat die politische Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Memorandum-Politik zur Folge.
Was wird am Sonntag passieren?
Die Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Memorandum-Politik wird sich am 17. Juni zuspitzen. Der Block der Memorandum-Gegner formiert sich jetzt um Syriza, dem «Bündes der Radikalen Linken». Auf der anderen Seite positioniert sich die konservative Neue Demokratie als die politische Kraft, die behauptet, nur eine von ihr geführte Regierung könne Griechenland im Euro halten.
Im Ausland ist die Ansicht weitverbreitet: Wählen die Griechen nicht die Sparbefürworter Neue Demokratie und die Pasok-Sozialisten, dann wollen sich die Griechen de facto selbst vom Euro verabschieden. Stimmt das?
Das sehe ich überhaupt nicht so. Das ist Propaganda. Die Wirklichkeit in Griechenland sieht doch vielmehr so aus: Kein Grieche will aus dem Euro aussteigen.
Am 6. Mai schoss Syriza von gut vier auf 17 Prozent der Stimmen. Meinungsforscher trauen Syriza am Sonntag sogar den Sprung auf mehr als 30 Prozent zu. Wie erklären Sie sich den rasanten Anstieg?
Das resultiert vor allem aus dem rapiden Niedergang der Pasok-Sozialisten. Die Pasok war im linken Parteispektrum über dreißig Jahre lang dominierend. Sie erreichten dabei weite Teile der Mittelschicht. Wir erleben in Griechenland nicht die Revolution des Proletariats, sondern den Aufstand der Mittelschicht. Diese wendet sich Syriza zu.
Aber es ist auch die Neue Demokratie, die seit dem 6. Mai wieder deutlich in der Wählergunst steigt. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Syriza erwartet. Wie ist das zu erklären?
Die Neue Demokratie versucht Wählerstimmen zu gewinnen, indem sie eine starke Polarisierung betreibt. Sie flößt dabei den Menschen Angst ein. Damit will sie konservative Wähler mobilisieren. Sie wirft Syriza konkret vor, das Land aus der Euro-Zone zu führen.
Wie ist die Stimmung in der Gesellschaft?
Die Griechen sind in Panik. Eine Gesellschaft kann so nicht funktionieren und existieren. Es geht nicht an, dass sich täglich Menschen das Leben nehmen, Geschäfte schließen, die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. Es droht die soziale Explosion.
Wie wird die Wahl ausgehen?
Man wird sehen, wer gewinnen wird. Entweder die Angst. Oder die Wut gepaart mit Hoffnung.