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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Exklusive Umfrage zu europäischen Atomwaffen Diese Debatte spaltet die Deutschen
Sollte die EU über eigene Atomwaffen verfügen? Eine exklusive Umfrage von t-online zeigt: Die Deutschen sind darüber uneins, vor allem je nach Parteienpräferenz.
Dass die Europäische Union selbst einen atomaren Schutzschirm aufbauen sollte, erschien lange bloß wie ein Gedankenspiel. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte einst als Außenminister sogar den Abzug aller in Deutschland stationierten US-amerikanischen Nuklearwaffen. Doch die Unsicherheit über die Verlässlichkeit der US-Amerikaner und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben die Debatten nach Europas atomarer Abschreckung neu aufleben lassen.
EU-Parlamentspräsidentin Katharina Barley (SPD) sagte kürzlich dem "Tagesspiegel", eigene Atombomben der EU könnten auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik "ein Thema werden". Bundesfinanzminister Christian Lindner sprach sich daraufhin für eine engere Zusammenarbeit Deutschlands mit Frankreich und Großbritannien, den beiden Atommächten auf dem europäischen Kontinent, aus.
Die deutsche Bevölkerung ist in der Debatte gespalten. Das zeigt eine exklusive, repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für t-online durchgeführt hat. Demnach stehen 40 Prozent der Deutschen eigenen Atomwaffen für die EU "positiv" oder "eher positiv" gegenüber und befürworten dies also. 44 Prozent hingegen blicken darauf "negativ" oder "eher negativ", lehnen also eigene europäische Nuklearwaffen ab. 16 Prozent der Befragten konnten sich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden.
Vor allem Frauen sind skeptisch
Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Fast die Hälfte aller Männer (47 Prozent) spricht sich für europäische Atomwaffen aus, bei den Frauen hingegen sind es nur ein Drittel der Befragten. Ein ähnliches Bild hatte Anfang des Jahres bereits eine Civey-Umfrage für t-online zu eigenen Atomwaffen für Deutschland ergeben. Hier lesen Sie mehr dazu.
Ostdeutsche blicken deutlich kritischer auf eine mögliche atomare Aufrüstung Europas als Westdeutsche. Eine Mehrheit der Befragten im Osten, 61 Prozent, lehnt europäische Atombomben ab. Im Westen sind es hingegen nur 39 Prozent.
Besonders groß ist die Skepsis an den politischen Rändern
Während Christian Lindner Barleys Überlegungen unterstützte, äußerte CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul Kritik. Barley übersehe "was für ein einzigartiges vertrauensvolles Angebot die nukleare Teilhabe innerhalb der Nato durch die USA an ihre Verbündeten ist", so Wadephul. Die nukleare Teilhabe ist ein Teil des Abschreckungskonzeptes der Nato. Sie sieht vor, dass auch Staaten ohne eigene Atomwaffen im Bündnis in die nukleare Strategie der Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien einbezogen werden. Darunter fällt auch die Stationierung von US-Raketen in Deutschland.
Umso überraschender ist vor diesem Hintergrund, dass ausgerechnet potenzielle SPD-Anhänger im Vergleich zu CDU- und CSU-Unterstützern unentschlossener auf die Frage nach eigenen Atomwaffen für die EU blicken. 56 Prozent der potenziellen CDU/CSU-Wähler sind dafür, bei der SPD sind es bloß 38 Prozent. Am größten ist die Unterstützung für europäische Atomwaffen unter FDP-Anhängern (60 Prozent); unter den möglichen Wählern der Grünen sind es 43 Prozent.
Besonders groß ist die Skepsis an den politischen Rändern: Rund zwei Drittel der Linken- und AfD-Anhänger lehnen jeweils EU-Atomwaffen ab. Unter den Anhängern anderer Parteien sind es 61 Prozent.
Zur Methodik: Die genaue Fragestellung der repräsentativen Umfrage lautete: "Wie würden Sie es bewerten, wenn der EU eigene Atombomben zur Verfügung stünden?" Die Befragten hatten die Antwortmöglichkeiten "sehr positiv", "eher positiv", "unentschieden", "eher negativ" und "negativ". Das Meinungsforschungsinstitut Civey berücksichtigte für das Gesamtergebnis die Antworten von 5.066 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählten Befragten. Die Stimmen wurden zwischen dem 13. und 15. Februar 2024 abgegeben. Der statistische Fehler für das Gesamtergebnis liegt bei 2,5 Prozent, für Teilgruppen liegt er höher.
- Exklusive Meinungsumfrage von Civey
- Nachrichtenagentur dpa