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Polen klagt gegen "autoritäre" Klimapolitik der EU


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"Brüsseler Diktat"
Polen zieht gegen "autoritäre" EU-Klimapolitik vor Gericht


19.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Das Kohlekraftwerk Turow in Bogatynia: Polen wehrt sich gegen ein angebliches "Brüssler Diktat" beim Klimaschutz. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de)
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Die polnische Klimaministerin gibt bekannt, dass ihr Land gegen die EU vor Gericht zieht. Es ist die Eskalation im schwelenden Klimakonflikt zwischen Warschau und Brüssel.

Die polnische Regierung hat beim Europäischen Gerichtshof drei Beschwerden gegen klimapolitische Vorhaben der Europäischen Union eingereicht. Konkret gehe es um das weitgehende Verbot von neuen Verbrennerautos ab 2035, das ambitioniertere Ziel beim Senken der Treibhausgasemissionen und die sinkende Zahl an kostenlosen CO2-Zertifikaten, teilte die Klima- und Umweltministerin des Landes, Anna Moskwa (parteilos), auf Twitter mit. Die Vorschläge der EU könnten die Energiesicherheit Polens gefährden, schrieb sie zur Begründung. Das könne man nicht hinnehmen.

"Will die Union autoritär entscheiden, welche Art von Fahrzeugen die Polen fahren werden und dass die Energiepreise in Polen steigen?", fragte Moskwa in ihrer Nachricht. "Die polnische Regierung wird Brüssels Diktat nicht zulassen."

Moskwa ist seit Oktober 2021 im Amt. Zum Zeitpunkt ihrer Berufung war sie für den polnischen Ölkonzern PKN Orlen tätig und verantwortete die Offshore-Windfarmen des Unternehmens.

Polen stimmte als einziges Land gegen Verbot neuer Verbrenner

Auf das weitgehende Verbot von Autos mit Verbrennermotor hatten sich die EU-Staaten Ende März nach wochenlanger Blockade Deutschlands geeinigt. Ab 2035 dürfen keine Neuwagen mehr zugelassen werden, die Benzin oder Diesel tanken. Auf Drängen der Bundesregierung wird es jedoch eine Ausnahme für Fahrzeuge geben, die klimaneutrale synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, tanken.

Moskwa hatte die Klage bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Das Vorhaben sei für alle europäischen Volkswirtschaften ungünstig, sagte die dem Sender Radio Zet. Wenn man heute eine Entscheidung für das Jahr 2035 treffe, müsse man die Folgen für die kommenden Jahre betrachten. Sie hoffe, dass sich andere Mitgliedsstaaten der Klage Polens anschließen würden.

Polen war der einzige EU-Staat gewesen, der gegen die Vorschrift gestimmt hatte. Bedenken meldeten aber auch andere Länder an. Italien, Rumänien und Bulgarien hatten sich bei der Abstimmung enthalten.

Ebenfalls im März hatte die sogenannte Lastenteilungsverordnung den Rat passiert. Sie nun vor, dass in bestimmten Sektoren bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent statt um 30 Prozent sinken müssen. Damit verbunden sind höhere nationale Ziele, die den Mitgliedsstaaten von Brüssel auferlegt werden.

Polen setzt auf Kohlestrom – der soll teurer werden

Die von Moskwa erwähnten CO2-Zertifikate sind Teil des EU-Emissionshandels. Die Idee dahinter ist simpel: Wer klimaschädliche Treibhausgase verursacht, muss dafür eine Art Erlaubnisschein kaufen, die Zertifikate. Jede Tonne CO2 bekommt so einen Preis. Wer viel ausstößt, muss draufzahlen; wer zum Klimaschutz beiträgt, kann sparen.

Die Zahl der Zertifikate ist begrenzt und wird regelmäßig reduziert. So soll die Menge an CO2, die insgesamt in der Atmosphäre landet, reduziert werden. Hier erfahren Sie mehr zum europäischen Emissionshandel.

Im April stimmten EU-Parlament und -Rat für eine weitreichende Reform dieses Systems. Demnach sollen durch den Emissionshandel noch mehr Treibhausgase gespart werden: bis 2030 62 Prozent im Vergleich zu 2005. Zuvor waren 43 Prozent vorgesehen. Dazu sollen Luftfahrt und Industrie perspektivisch keine kostenlosen Zertifikate mehr erhalten, wie es bisher der Fall war. Nur für besonders effiziente Unternehmen soll es die Gratisscheine noch geben.

Insbesondere die CO2-intensive Energieerzeugung durch fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Gas wird mit der Reform somit teurer. Polen gewann 2022 noch rund 73 Prozent seines Stroms aus Kohle, erneuerbare Energien machten lediglich rund 20 Prozent aus. Zum Vergleich: In Deutschland hatte die Kohle im vergangenen Jahr einen Anteil von 32 Prozent, 45 Prozent des Stroms wurden durch erneuerbare Energien erzeugt.

Erste Klage schon vergangene Woche eingereicht

Bereits in der vergangenen Woche hatte Polen gegen einen weiteren Bestandteil des Fit-for-55-Pakets geklagt: Im März wurde die sogenannte LULUCF-Verordnung vom Rat angenommen, die Regeln für die Senkung der Treibhausgas-Emissionen und den Abbau von CO2 bei der Nutzung und Bewirtschaftung von Landflächen und Wäldern vorsieht.

Wie Anna Moskwa ebenfalls auf Twitter erklärte, sei die Brüssel hierbei nicht zuständig. Die EU hingegen verweist darauf, dass die Klimakrise ein grenzüberschreitendes Problem sei. Zudem ergebe sich aus den Verträgen der Union die Zuständigkeit im Bereich der Umweltpolitik.

Polen will Klimavorhaben nur mit Veto-Möglichkeit

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen will als 1990. Unter Maßnahmenpaket "Fit for 55" werden entsprechende Vorhaben vorangetrieben. Polen hat in der Vergangenheit bereits mehrfach Stellung gegen einzelne Maßnahmen wie auch gegen das Paket als Ganzes bezogen.

Nach Meinung Warschaus müssten die Klimavorhaben der EU einstimmig beschlossen werden – dann hätte jedes Mitgliedsland die Möglichkeit, per Veto neue Vorschriften zu stoppen. Tatsächlich haben alle Vorhaben, gegen die Polen nun Klage eingereicht hat, sowohl das EU-Parlament als auch den Rat passiert. Dort reichte allerdings eine qualifizierte Mehrheit.

Wie wichtig es ist, die Emissionen zu reduzieren, hatte zuletzt auch der Weltklimarat betont, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern unter dem Dach der Vereinten Nationen. In ihrem im Frühjahr erschienenen Bericht stellten sie fest, dass die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 halbiert und bis 2035 um zwei Drittel sinken müssen, wenn die 1,5-Grad-Grenze mit einer Chance von 50 Prozent eingehalten werden soll. Auf diese hatte sich die Staatengemeinschaft 2015 in Paris geeinigt, um die Folgen der Erderhitzung in einem zu bewältigenden Rahmen zu halten. Bislang steuert die Welt allerdings auf eine Erhitzung von 3,2 Grad bis 2100 zu.

Verwendete Quellen
  • twitter.com: Profil von Anna Moskwa (@moskwa_anna)
  • notesfrompoland.com: "Poland files legal complaints against 'authoritarian' EU climate policies"
  • euractiv.com: "‘See you in court’: Poland’s political bluff on EU climate laws"
  • bundesregierung.de: "EU-Klimaschutzpaket: Fit For 55"
  • consilium.europa.eu: "Paket 'Fit für 55': Rat verabschiedet Verordnungen über Lastenteilung sowie über Landnutzung und Forstwirtschaft"
  • gov.pl: "Anna Moskwa"
  • statista.com: "Anteil der Energieträger an der Nettostromerzeugung in Polen in den Jahren von 2021 bis 2022"
  • statista.com: "Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2022"
  • Nachrichtenagentur dpa
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