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Griechenland-Wahlen: Neues Parlament – Stillstand oder Aufbruch?


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Mitsotakis, Tsipras oder Varoufakis
Wer macht das Rennen bei der Griechenland-Wahl?

Von Marian Wendt, Konrad-Adenauer-Stiftung

Aktualisiert am 21.05.2023Lesedauer: 5 Min.
Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands: Er sprach von beauftragten Schlägern, die den Angriff auf ihn verübt hätten.Vergrößern des Bildes
Yanis Varoufakis: Der frühere Finanzminister Griechenlands will wieder über die Geschicke seines Landes mitbestimmen. (Quelle: PETER NICHOLLS/Reuters)
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Griechenland wählt ein neues Parlament. Kann Premierminister Kyriakos Mitsotakis seinen Reformkurs fortführen – oder kommen Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis wieder zurück?

Nachdem erst am vergangenen Sonntag die Türkei gewählt hat und das finale Ergebnis um die Präsidentschaft in einer Woche feststehen wird, wählen am Sonntag dazwischen die Griechen ebenfalls ein neues Parlament sowie einen neuen Regierungschef. Nicht nur der Zeitpunkt ist dabei etwas Besonderes, sondern auch die Tatsache, dass dieses Mal keine vorgezogenen Neuwahlen stattfinden.

Während in den letzten Jahrzehnten die Wahltermine vom jeweils regierenden Ministerpräsidenten meist nach taktischen Erwägungen oder Umfragen bestimmt wurden, hatte Amtsinhaber Mitsotakis schon zu Beginn seiner Amtszeit 2019 versprochen, einen regulären vierjährigen Turnus zu absolvieren. Er hat sein Versprechen gehalten und dadurch eine Form von politischer Stabilität erreicht, die innerhalb des Landes anerkannt wird und einen neuen Stil kennzeichnet.

Insgesamt fällt die Bilanz des Regierungschefs, der mit seiner christdemokratischen Partei Nea Dimokratia (ND) 156 von 300 Abgeordneten im Vouli stellt und damit alleine regieren kann, positiv aus. Die angestoßenen Reformen, die auch durch die Troika und EU gefordert wurden, zeigen heute Erfolge – insbesondere bei der Sanierung der Staatsfinanzen, der Neuausrichtung der Wirtschaft, beim Wandel vom Energieimporteur zum -exporteur und bei der Digitalisierung der Verwaltung.

Griechenland geht es wirtschaftlich gut

Dieser Wandel ist ein Erfolg von Mitsotakis, der die Maßnahmen vor allem konsequent umgesetzt und implementiert hat. Und diese Ergebnisse sind auch in Zahlen messbar: Die Wirtschaft wächst stärker als im EU-Durchschnitt, und dank eines Primärüberschusses kann das Land sogar Schulden abbauen.

Nach aktueller Prognose soll die Staatsverschuldung von ihrem Höchststand im Jahr 2021 in Höhe von 212 Prozent (Verschuldung im Verhältnis zum BIP) auf 142 Prozent bis 2028 zurückgeführt werden. Zudem ist die Digitalisierung der Verwaltung in Griechenland inzwischen so weit vorangeschritten, dass viele deutsche Politiker sich vor Ort etwas abschauen können.

Und auch die Zahl der Touristen und die entsprechenden Einnahmen erreichen neue Höchststände. Menschen kommen wieder oder erstmalig in großer Zahl gerne an die Ägäis. Das Griechenland-Bild wird positiver und ist nicht mehr von den Verwerfungen der 2010er-Jahre geprägt.

Zugunglück von Tempi riss alte Wunden auf

Entsprechend gut war bis zuletzt auch die Stimmung im Land. Dann jedoch brachen mit dem Zugunglück von Tempi im Februar 2023 viele alte politische und gesellschaftliche Wunden wieder auf. War doch Mitsotakis vor vier Jahren mit dem Versprechen gewählt worden, die Einflussnahme der Parteien auf den Staat zurückzudrängen und die Mentalität, "den Staat sich zur Beute zu machen", zu beenden.

(Quelle: Tobias Koch)

Marian Wendt (CDU) war bis 2021 Mitglied des Bundestags, wo er mehrere Jahre Vorsitzender des Petitionsausschusses war. Seit 2022 leitet er in Athen das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung für Griechenland und Zypern.

Die Ursache des Unglücks liegt in einer Mischung aus dem Versagen staatlicher Strukturen und der Aufsichtsbehörden sowie einem veralteten Leitstellensystem auf dem Stand der 1970er-Jahre, wobei bereits über 6 Milliarden Euro in die Sanierung der Eisenbahninfrastruktur investiert wurden – und alle sich fragen, wie das Geld eigentlich verwendet wurde. All diese "alten Probleme" kamen wieder hoch und zeigen, dass Griechenland zwar auf einem guten Weg ist, aber noch viele Aufgaben vor sich hat.

Konsequenterweise machte die Bevölkerung alle politischen Parteien, die in den vergangenen 20 Jahren politische Verantwortung getragen haben, verantwortlich für das Bahnunglück. Weder die linke Syriza noch die sozialdemokratische Pasok-Kinal konnten gegenüber der ND in den Umfragen Boden gut machen. Es wurde erwartet, dass Tempi die Wahlen massiv beeinflussen könnte und die Erfolge der letzten Jahre nicht mehr sichtbar wären.

Neues Wahlrecht tritt in Kraft

Mitsotakis jedoch handelte klug: Er übernahm politische Verantwortung, entließ seinen Verkehrsminister und setzte den Wahlkampf aus. Letztlich spielte das Zugunglück von Tempi in den letzten Wochen des Wahlkampfes keine Rolle mehr und die Themen wirtschaftliche Entwicklung, Bekämpfung der Inflation insbesondere durch soziale Maßnahmen und die außenpolitischen Fragen rückten wieder in den Vordergrund der Debatte.

Spannend wird nun werden, wie die neue Regierung aussehen wird. Dabei ist nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch das Wahlrecht entscheidend – und das ist diesmal kompliziert: Das für die Wahl am 21. Mai bestehende Wahlrecht, das noch 2018 von der Syriza eingeführt wurde, ist ein reines Verhältniswahlrecht mit einer 3-Prozent-Hürde.

Der traditionelle Zuschlag für den Erstplatzierten entfällt. Gemäß den aktuellen Umfragen liegt die ND zwischen 31 und 34 Prozent, Syriza bei 25 bis 28 Prozent und die sozialdemokratische Pasok-Kinal bei 9 bis 11 Prozent. Weitere kleine Parteien folgen und man kann von fünf bis sieben Parteien im Vouli ausgehen. Bleibt es bei diesen Ergebnissen, wird keine Partei alleine regieren können.

Tsipras und Varoufakis haben es schwer

Eine Koalition scheint aus aktueller Sicht schwierig zu werden. ND-Chef Mitsotakis und der Pasok-Kinal-Vorsitzende Androulakis haben beide sehr deutlich gemacht, dass sie jeweils nicht miteinander koalieren wollen. Die Gräben und das Misstrauen aus der Vergangenheit – beispielsweise durch eine Abhöraffäre – sind zu stark. Ebenso wird es für Syriza-Chef Tsipras schwierig, eine Koalition aus drei oder vier Parteien im linken Spektrum zu bilden.

Er müsste dann auf ein Bündnis mit den Sozialdemokraten, der Partei seines ehemaligen Finanzministers Yanis Varoufakis, und den Kommunisten setzen; ein mehr als fragiles Konstrukt, das wahrscheinlich nur vom Willen der Abwahl Mitsotakis' getragen wäre, aber kein Projekt mit Zukunft ist. Für Griechenland und Europa wäre es sogar wieder ein Schritt in die Vergangenheit. Solch ein Bündnis ist nicht gänzlich auszuschließen, aber die persönlichen Differenzen im linken Lager scheinen wohl größer zu sein. Deutschland und Europa können an politischer Instabilität in Athen und überbordenden Ausgabewünschen der linken Parteien kein Interesse haben.

Demzufolge ist es Ziel der ND, im Wahlgang am Sonntag einen großen Abstand zu Syriza zu erreichen und damit den eigenen Führungsanspruch zu untermauern. Sollte sich nach diesem ersten Wahlgang keine Regierungsmehrheit finden, wird Staatspräsidentin Sakellaropoulou Neuwahlen ausrufen, bei der dann das 2022 von der ND-Mehrheit verabschiedete neue Wahlgesetz gälte: Hier gibt es wieder einen Zuschlag für die erstplatzierte Partei. Damit kann mit 37 oder 38 Prozent der Stimmen eine Alleinregierung für Mitsotakis möglich sein. Dies ist die Strategie der ND.

Es bleibt also politisch spannend in Hellas. Für die Entwicklung des Landes, auch als Mitglied von EU und Nato, wäre allerdings nur die Weiterführung des bisherigen Stabilitäts- und Reformkurses zu wünschen. Wahrscheinlich erst Mitte Juli wird sich zeigen, ob Mitsotakis sein "Wunder an der Ägäis" fortsetzen und eine stabile Regierung bilden kann. Griechenland ist der Gewinner der letzten Jahre – es bleibt zu hoffen, dass dieser Erfolgskurs weiter beschritten werden kann und es nicht zurück in die Vergangenheit geht.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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