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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Rede im EU-Parlament Diese Worte sind eine Ohrfeige
Der Kanzler wirbt für neue Partnerschaften von Europa mit der ganzen Welt – und das auf Augenhöhe. Die Idee ist richtig. Zuerst aber sollte der Kanzler sein Verhältnis zu den anderen EU-Staaten kitten.
Olaf Scholz ist aktuell viel auf Reisen. Gerade erst hat der Kanzler eine mehrtägige Afrika-Reise hinter sich. Warum, wurde am Dienstag in Straßburg deutlich. Anlässlich des Europatags hielt der Kanzler im EU-Parlament eine Grundsatzrede – und sprach für seine Verhältnisse deutliche Worte:
"Europa muss sich der Welt zuwenden." Beim Handel könnten die künftigen Partner etwa Mexiko, Indien, Australien oder Kenia heißen. "Fair" und auf "Augenhöhe" müsse die EU die Abkommen mit diesen Ländern halten, betont Scholz immer wieder. Ansonsten diktierten bald andere Staaten die Regeln.
Damit hat der Kanzler recht. Im Wettbewerb mit Staaten wie China oder Russland müssen die EU und Deutschland immer wieder beweisen, dass eine Kooperation nach demokratischen Prinzipien die bessere Alternative ist.
Absage an Macron
Zugleich aber muss Scholz aufpassen, dass er die anderen EU-Staaten auf diesem Weg nicht zurücklässt. So mag er potenziell neuen Partnern in der Welt viel Respekt entgegenbringen – auf EU-Ebene aber ließ die Bundesregierung diese Tugend zuletzt öfter vermissen. Stichwort: Das Aus für den Verbrenner, auf das sich alle bereits geeinigt hatten und aus dem dann doch nichts wurde. Denn Deutschland torpedierte es auf Drängen der FDP.
Und auch um die deutsch-französische Partnerschaft, jene Freundschaft, die viele als Motor der EU bezeichnen, stand es schon mal besser. Das zeigte auch Scholz' Rede: Ohne den französischen Präsidenten direkt zu erwähnen, nutzte er die große Europa-Bühne, um Emmanuel Macron abzuwatschen. "Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit."
Was der Kanzler meint, ist klar: Macrons Äußerungen nach seiner China-Reise. Dort hatte der französische Präsident vor kurzem – ohne sich entsprechend abzustimmen – gesagt, dass sich die EU neben den USA als eigenständige Supermacht zwischen den USA und China positionieren solle, vor allem mit Blick auf den Taiwan-Konflikt. Die jüngsten Worte des Kanzlers wirken da wie eine Ohrfeige.
Das wird Macron nicht vergessen
Zwar könnte man Scholz auch in diesem Punkt zugutehalten, dass der angesprochene Alleingang des französischen Präsidenten in der Tat wenig hilfreich war. Dennoch: Macron, der sich selbst schon immer als großen Europäer gesehen hat, wird ihm das wohl so schnell kaum vergessen.
Das ist schlecht für die EU, denn eigentlich müssten beide, Macron, aber auch Scholz, genau wissen: Ohne den jeweils anderen werden die vielen großen Ideen, die der Kanzler abermals für die EU formulierte, niemals zur Realität werden. Denn Europa braucht ein funktionierendes deutsch-französisches Verhältnis.
Doch für Scholz ist das nicht die einzige Baustelle in Europa: Nicht nur in Brüssel und Straßburg wunderte man sich schon häufiger über die Alleingänge der Bundesregierung. Der "Doppelwumms", mit dem Scholz im vergangenen Herbst kurzerhand ein milliardenschweres Paket zur Abfederung einer möglichen Energiekrise schnürte, sorgte an vielen Stellen für Ärger.
Mehr als handwerkliche Fehler
Andere EU-Staaten nämlich konnten sich ein ähnliches Hilfsprogramm fürs eigene Volk, für die heimische Industrie nicht leisten – und damals wiederum war es Scholz, der kein Interesse daran zeigte, seine EU-Partner im Vorfeld über die deutschen Pläne zu informieren. Ein anderes Beispiel: die Waffenlieferungen an die Ukraine. Die zögerliche Haltung des Kanzlers hat Deutschland bei zahlreichen osteuropäischen Ländern viel Vertrauen gekostet.
In der Summe ist Scholz' EU-Politik nicht überzeugend und inkonsistent. Die Bundesregierung macht handwerkliche Fehler, sie verprellt teils fahrlässig die Chefs anderer EU-Staaten.
Wer immer wieder von Augenhöhe und Respekt spricht, sollte bei den engsten Verbündeten gerade das besonders beherzigen. Auf EU-Ebene funktionieren Dinge selten, wenn nicht alle Staaten bei den Entscheidungen mitgenommen werden. Angela Merkel wusste das. Bei Olaf Scholz muss diese Einsicht offenbar noch reifen.