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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weltuntergangsuhr neu gestellt Noch 100 Sekunden bis zur Apokalypse
Die Gefahr eines Atomkriegs ist gering. Stattdessen drohen neue Albtraumszenarien. Zum 75. Mal haben Wissenschaftler die "Weltuntergangsuhr" gestellt: Die Menschheit steht demnach kurz vor dem Abgrund.
Es ist rund eineinhalb Minuten vor Mitternacht. Ganz egal, in welcher Zeitzone, in welchem Land oder auf welchem Kontinent man lebt. Das besagt die "Weltuntergangsuhr", die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Donnerstag zum 75. Mal aufgezogen haben. Es ist ihr Weckruf an die Menschheit: Es bleibt kaum Zeit, um die Apokalypse zu stoppen.
Bereits im vergangenen Jahr schlug das internationale Forschungsteam hinter der "Weltuntergangsuhr" den Alarm bei 100 Sekunden vor zwölf. Der Zeiger hat sich seitdem weder vor- noch zurückbewegt. "Die Uhr hat sich nicht gerührt, doch das ist alles andere als eine gute Neuigkeit", fasst Sharon Squassoni die Situation zusammen.
"Wir stecken fest"
Sie ist Forschungsprofessorin an der George Washington University in Washington D.C. und arbeitet gleichzeitig für das Fachjournal "Bulletin of the Atomic Scientists", das jährlich die sogenannte "Doomsday Clock" neu stellt. "Der Stillstand zeigt: Wir stecken fest. Und zwar in einer gefährlichen Situation, die mit Stabilität und Sicherheit so gar nichts zu tun hat."
Leere Versprechen im Kampf gegen die Klimakrise, der kurzsichtige Umgang mit der Corona-Pandemie, ein drohender Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und zahlreiche andere Trends seien höchst beunruhigend. Die Wissenschaftler räumen zwar auch positive Entwicklungen ein. Doch könnten diese die starken negativen Ereignisse nicht ausgleichen.
Der Informationskrieg lähmt alles
Als besonders großes Übel identifiziert das Team hinter der "Weltuntergangsuhr" in diesem Jahr auch die strategische Desinformation, die in vielen Gesellschaften um sich greife: "Das ist ein Informationskrieg", so Squassoni. "Es wird versucht, die Menschen so zu verwirren, dass sie nicht mehr in der Lage sind, Fakten von Falschinformationen zu unterscheiden. Das ist besonders bedrohlich."
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Im deutschen Kontext lässt das gerade an die Verschwörungserzählungen von Impfgegnern denken. Doch ohne Faktengrundlage ist keine Debatte möglich, ohne Debatte kein Konsens darüber, wie der positive Wandel zu schaffen ist. Die Menschheit steckt fest – "100 Sekunden vor Mitternacht".
Die Gefahr ist größer als im Kalten Krieg
Stand die Uhr 2018 und 2019 noch auf 2 Minuten vor Mitternacht, wurde ihr Zeiger 2020 erstmals auf 100 Sekunden vorgeschoben. Die Gefahr, dass sich die Menschheit durch einen Atomkrieg oder die Klimakrise selbst auslösche, sei so groß wie nie zuvor seit Erfindung der Uhr, hieß es zur Begründung. Mitternacht würde den Weltuntergang bedeuten.
Allerdings gab es auch schon optimistischere Zeiten in der Geschichte der "Doomsday Clock": Nach Ende des Kalten Krieges stand die Uhr 1991 auf 17 Minuten vor der vollen Stunde – die weiteste Entfernung von Mitternacht in der Geschichte der "Weltuntergangsuhr".
"Die Illusion, dass Zehntausende Atomwaffen eine Garantie für die nationale Sicherheit seien, ist über Bord geworfen worden", hieß es damals. Seitdem aber rückt der Sekundenzeiger tendenziell immer weiter auf zwölf Uhr vor.
Atomwaffentests von Indien und Pakistan, die Unvorhersagbarkeit der US-Politik unter Ex-Präsident Donald Trump, nordkoreanische Raketentests und fehlende Abrüstungsverhandlungen trugen in den vergangenen Jahren unter anderem dazu bei.
Hört überhaupt jemand zu?
Die "Weltuntergangsuhr" ist kein wissenschaftliches Instrument, sondern ausschließlich ein Symbol. Seit 1947 wird sie von der Fachzeitschrift der Atomwissenschaftler, dem "Bulletin of the Atomic Scientists", herausgegeben. Schon seit Jahren beteiligen sich neben Kernforschern auch Forscher aus vielen anderen Disziplinen an der Initiative.
Die Herausgeber des "Bulletin" betonen dabei ihre Unabhängigkeit. Man sehe sich in der Rolle von Ärzten, die eine Diagnose erstellten, eine parteipolitische Agenda habe man nicht. Dennoch erntet die Uhr neben viel Aufmerksamkeit auch einiges an Kritik.
Die Risiken sind menschengemacht
Der größte Knackpunkt scheint zu sein, dass die Mahnung der Wissenschaftler jährlich erneuert wird. "Nach einer gewissen Zeit hören wir da alle nicht mehr zu", vermutet beispielsweise Andrew Lathem, Wissenschaftler aus Minnesota, im Gespräch mit der "New York Times". Trotzdem habe die Uhr ihren Sinn.
"Einmal im Jahr erinnert sie uns, dass einige der größten Gefahren da draußen menschengemacht sind. Das heißt auch: Wir können sie wieder rückgängig machen", so Latham. Für die Klimakrise dürfte diese Einschätzung allerdings nur sehr bedingt gelten.
Erfindung der Atombombe veranlasste "Doomsday Clock"
Das Design der "Doomsday Clock" geht auf die US-Künstlerin Martyl Langsdorf zurück. Für den "Bulletin of the Atomic Scientists" sollte sie knapp zwei Jahre nach den verheerenden Atombombenabwürfen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ein Titelbild entwerfen, das die Bedrohung durch die neue Waffentechnik verdeutlichte.
Langsdorf, deren Ehemann Alexander am amerikanischen Nuklearwaffenprogramm beteiligt gewesen war, entschied sich für das obere linke Viertel einer Uhr, der Zeiger auf sieben Minuten vor Mitternacht. Seitdem bewerten Wissenschaftler und Herausgeber des Fachjournals jedes Jahr aufs Neue, wie nah die Menschheit sich auf ihre eigene Auslöschung zubewegt.
- Videoschalte der Fachzeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" (20.01.2022): The 2022 Doomsday Clock Announcement
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa (17.01.2022): "Weltuntergangsuhr' warnt seit 75 Jahren - aber hört noch jemand zu?"