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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Walfang in Europa Das Schlachten auf dem Meer geht weiter
Früher war mehr Wal. Das gilt für die Ozeane genauso wie für den Speiseplan der Norweger. In Europas letztem kommerziellen Walfangland landen die getöteten Meeressäuger deshalb inzwischen im Hundenapf.
Kein Protest konnte sie bisher stoppen, auch kein internationales Verbot: Jedes Jahr stechen die norwegischen Walfänger wieder in See. An Bord haben sie Gummistiefel, Ortungssysteme und eine Harpune, die mit Sprengstoff bestückt ist. 503 Wale erlegten die Jäger 2020. In diesem Jahr waren es noch mehr.
"Fast 600 Zwergwale wurden in der diesjährigen Saison geschlachtet", sagt Astrid Fuchs von der Organisation Whale and Dolphin Conservation Deutschland (WDC). Es sei die höchste Zahl seit fünf Jahren und das europäische Norwegen damit Walfangland Nummer eins. Noch vor Japan, das Wale nach 31 Jahren Pause nun ebenfalls wieder kommerziell jagt.
Kaum noch Appetit auf Wal
Doch während die Schlachtmengen steigen, sinkt der Appetit auf Walfleisch und -speck in der norwegischen Bevölkerung. Das zeigt zumindest eine repräsentative Umfrage von WDC und einigen anderen Naturschutzorganisationen. Island, lange eines der bekanntesten Walfangländer, hat seine Aktivitäten in den vergangenen zwei Jahren bereits gänzlich auf Eis gelegt: Die Jagd lohne sich nicht mehr.
Norwegens Regierung sieht das anders – die Produkte des "Hvalfangst“, wie der Walfang dort heißt, seien weiterhin stark nachgefragt. Im Gesamtbild mag das stimmen: Ein Großteil des Fangs wird nach Japan und auf die dänischen Färöer-Inseln exportiert, wo Walfleisch ein traditionelles Lebensmittel ist. Der Rest endet in Kühltheken von Touristenläden, auf den Tellern von Kreuzfahrtgästen – und in Hundemägen.
Tierfutter statt Delikatesse
Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass mehrere norwegische Unternehmen Walfleisch und -öl auch als Hundefutter verkaufen. "Seit Jahren versucht die norwegische Regierung, den Walfang profitabel zu machen, indem sie Subventionen für seine Förderung gewährt. Dass Zwergwale als Hundefutter enden, zeigt das Scheitern dieser Strategie", so Siri Martinsen, Tierärztin bei Norwegens größter Tierschutzorganisation NOAH. Dass es außerdem ein internationale Walfangverbot gibt, scheint die Regierung in Oslo ebenso wenig zu kümmern.
Schon seit 35 Jahren dürfen Wale nicht mehr für kommerzielle Zwecke gejagt werden. Die Entscheidung, die meisten Fanglizenzen auszusetzen, war eine Notbremse: Vor Einsetzen des Moratoriums wurden allein im 20. Jahrhundert mehr als 3 Millionen Großwale erlegt, viele Arten standen dadurch am Rande der Ausrottung.
Riesige Schlupflöcher bei Jagdverbot
Doch das Moratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC) gilt nicht für Mitgliedsstaaten, die dagegen Einspruch erhoben oder Vorbehalte angemerkt haben. Aktuell ist das allein Norwegen, nachdem Island die Jagd aus wirtschaftlichen Gründen ausgesetzt hat.
Dass die norwegischen Wal-Trawler durch ihr Veto ganz legal unterwegs sind, liegt an der Geschichte der IWC. Denn sie ist längst kein Naturschutzgremium. Ursprünglich von Walfangländern dominiert, die Walbestände vor allem für zukünftige Jagdzwecke schützen wollten, hat die Kommission auch heute noch eine klare Prägung. An vielen Stellen ihrer Maßnahmen klaffen Schlupflöcher.
Kein Schutz für Delfine
So wird illegaler Walfang – wie ihn Japan seit Austritt aus der Kommission 2019 betreibt – nicht sanktioniert. Das Moratorium selbst ist kein permanentes Verbot, sondern muss immer wieder neu verhandelt werden. Delfine und andere sogenannte Kleinwale dürfen weiter zu Tausenden gejagt werden. Viele Walschützer fordern anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Internationalen Walfangkommission im Dezember 2021 deshalb große Reformen.
"Die Internationale Walfangkommission ist nicht fit für die Zukunft", heißt es von der Meeresschutzorganisation Ocean Care. Dort befürchtet man, dass weiterhin die Walfangländer den Ton angeben könnten. "Während das Walfanglager klare Vorstellungen für die Zukunft der IWC hat, vermisst man eine europäische Vision für den internationalen Walschutz und ambitionierte diplomatische Initiativen", so Fabienne McLellan, Leiterin des Programms zur Einstellung der Waljagd bei Ocean Care.
Es fehlt an Geld und Weitsicht
Neben einer Aufrechterhaltung des Moratoriums hofft sie auf bessere Schutzmaßnahmen für die weltweiten Walpopulationen, die auch zunehmend darunter litten, dass giftige Chemikalien die Meere verschmutzen, es in den Ozeanen bald mehr Plastikmüll als Fisch gibt und die Erderhitzung einige Meeresregionen für Wale unbewohnbar machen.
Vor allem mangele es an einem "stabilen und ambitionierten Budget" für den Walschutz der IWC, kritisiert Ocean Care. Dabei sei mehr Geld für Schutzmaßnahmen nicht nur im Interesse der Wale, sondern helfe gleichzeitig, die Klimakrise zu stoppen.
Wale könnten Erderhitzung verlangsamen
"Es ist eine bittere Ironie, dass die größte Gefahr für die Erholung der Waltierbestände heute der Klimawandel ist – genau jene Bedrohung, zu deren Eindämmung sie beitragen könnten", sagt McLellan. Tatsächlich können Wale – ähnlich wie Wälder und Moore – als natürliche Klimaschützer zählen.
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Ganz ohne Technik oder teure Investitionen speichern sie riesige Mengen CO2 in ihren Körpern. Laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) kann ein einziger Wal bis zu 33 Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases aufnehmen. Zum Vergleich: Ein Baum absorbiert pro Jahr nur rund 22 Kilogramm CO2. Und die Meeressäuger tun noch mehr für den Planeten.
Ihre Ausscheidungen fördern das Wachstum von Phytoplankton. Diese winzigen Pflanzen leben in den oberen Wasserschichten der Ozeane und produzieren dort mehr als die Hälfte des weltweiten Sauerstoffs. Dabei nehmen sie knapp 40 Prozent des globalen CO2 auf – so viel wie 1,7 Billionen Bäume. 18 Mal mehr als alle Bäume in Deutschland.
Tausende tote Wale bis zum nächsten Treffen
Dass die Wale nicht besser geschützt werden, ist für Astrid Fuchs von Whale and Dolphin Conservation Deutschland daher nicht nur ein Tierschutzskandal: "Wale sind unsere Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel. Ihre mutwillige Schlachtung ohne Sinn und Verstand ist eine Geste der Achtlosigkeit gegenüber den kleinen Inselstaaten und Ländern, die schon jetzt massiv vom Klimawandel betroffen sind."
Bereits seit zwei Jahren ist die Internationale Walfangkommission, an der auch Astrid Fuchs regelmäßig teilnimmt, wegen der Corona-Pandemie nun nicht mehr zusammengekommen. Das nächste Treffen ist für September 2022 angesetzt. Tausende zerlegte Groß- und Kleinwale später als ursprünglich geplant.
- Eigene Recherche
- Schriftliche Anfrage an die Walschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation (WDC)
- Pressemitteilung der Meeresschutzorganisation Ocean Care (30.11.2021): Walschutz in der Krise, IWC am Scheideweg
- Bericht der norwegischen Nachrichtenagentur NRK (21.10.2021): "Billigdisken, søppeldynga og Japan – her ender det norske hvalkjøttet"
- Umfrage von Norstat Norway im Auftrag von WDC und anderen Organisationen (2019): Attitudes to Whaling - Norway 2019
- Internationaler Währungsfond (2019): Nature's Solution to Climate Change - A strategy to protect whales can limit greenhouse gases and global warming
- Ankündigung der Internationalen Walfangkommission (2021): 68th Meeting of the International Whaling Commission (IWC68)