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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auto Flucht ins Biker-Paradies
„Holy cow!“ entfährt es Leon Herzog in seinem Barrett Junction Café etwa zwölf Meilen östlich von San Diego: 75° Fahrenheit (rund 24° Celsius) Anfang des Jahres bringen sogar einen Kalifornier zum Staunen. Seit 1888 ist Leons Mischung aus Saloon und Tanzcafé ein Rastplatz für Reisende. Erst Postkutschen, später immer mehr Autos und Motorräder machen seit jeher Halt hier am „Historic Highway 94“, um die legendären Klapperschlangeneier oder den berühmten frittierten Fisch zu kosten.
Die 94 teilt ihr Schicksal mit vielen alten Highways, allen voran der weltbekannten Route 66: Früher Hauptverkehrsader vom Osten an die sonnige Westküste, heute wird die zweispurige Landstraße eher auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten oder schönen Kurvenstrecken befahren.
Beides findet man reichlich im Hinterland der Pazifikküste zwischen Los Angeles und San Diego – und genießt umso mehr die milden Temperaturen, die selbst zum Sonnenuntergang hin oft noch 20° Celsius betragen. Leon ist das nur recht, denn parallel zur stark bewachten Grenze zwischen USA und Mexiko machen dann umso mehr Biker Rast bei ihm. Neben landestypischen Speisen findet man im Barrett Junction Café auch uramerikanischen Trödel: Von alten Werbetafeln bis hin zu Vinyl-Kostbarkeiten für 45 und 33 U/min. Leon Herzog empfiehlt, unbedingt Highway 94 weiter Richtung Osten bis Campo zu fahren, >>
wo auf dem Freigelände des „Motor Transport Museum“ zahllose alte Lastwagen und Pickups vor sich hin rosten. Wie Pkw-Oldtimer glänzen auch die historischen Nutzfahrzeuge mit netten Kühlerfiguren und unzweckmäßigem, aber hübschem Design. Überall begegnet man der US-amerikanischen Freiheit auf zwei und vier Rädern.
Den Traum vom Cruisen mit einer Harley durch Kalifornien kann man sich bei einem US-Aufenthalt leichter erfüllen, als Motorradfahrer aus Europa meist denken. Schon ab 100 Euro pro Tag kann man den Supertourer Electra Glide mieten – samt großer Verkleidung, Kofferset und Audioanlage. Nahe dem Flughafen LAX startet die Tour, und eine von tausenden Radiostationen liefert von nun an den Soundtrack zur Tour entlang dem Pacific Coast Highway No 1.
Längere Mietperioden senken den Preis pro Tag, aber eine Motorradtour lohnt sich hier selbst für nur einen Tag. Bike-Vermieter wie der Marktführer Eaglerider haben auch Modelle von BMW oder Honda auf Lager. Aber für Rundtouren oder auch >>
„one way“ wie im Kultfilm „Easyrider“ von Los Angeles nach New Orleans mieten fast alle Biker stilgerecht eine Harley mit knatterndem V2-Motor.
Versüßt wird dem Europäer das exzessive Meilenfressen durch die US-Spritpreise von rund 75 Euro-Cent pro Liter. Das 414 kg-Dickschiff Electra Glide ermöglicht zwar dank Hubraum und Drehmoment satt eine niedertourige Fahrweise. Dennoch gönnt sie sich schon beim entspannten Cruisen immerhin rund 6,5 l/100 km. Aber angesichts dieser Spritpreise: Was soll's? Als Anlaufstelle zum Übernachten eignet sich San Diego bestens, nicht nur laut seiner Bewohner „America's finest city.“ Unzählige Touristenattraktionen tragen dazu ebenso bei, wie das für die Winterflucht ideale Klima. Erschwingliche Hotels wie das mit hunderten Palmen gesäumte „Town & Country Resort“ am Rande der City sind bikerfreundlich und liegen ideal für einen Besuch Downtown sowie tagsüber für die Motorradtouren. Und für alle Fälle: Eine riesige Shopping Mall liegt in Fußreichweite.
Im Lucky Bastard Saloon mitten im traditionellen Gaslamp Quarter (840 Fifth Ave.) tobt im Herzen von San Diego das Nachtleben, wie es sich ein Harley-Fan nur wünschen kann. Besitzerin Nicole Dahm hat ihre 1942er Flathead ins Schaufenster gestellt, um V2-Freunden den Weg ins Burger- und Pizza-Paradies im Inneren des Saloons zu weisen. Besonders Spezialität für die Gäste, die auf mehr als drei Dutzend Bildschirmen im gigantischen 70 Zoll-Format Sport und Musikvideos sehen können: Der unwiderstehliche Schokokuchen, den das ehemalige Playboy-Playmate Nicole Dahm nach geheimem Familienrezept selbst anrichtet. Derartiges Eintauchen ins Nachtleben von San Diego verbessert nicht gerade das Leistungsgewicht, aber mit dem 1,7 Liter-Dampfhammer der Miet-Harley lässt sich das verschmerzen.
Tag zwei in Südkalifornien bringt einen Mix aus fahrerischen und kulinarischen Leckerbissen. „Historic Highway 80“ verwöhnt wie schon tags zuvor Highway 94 mit bergiger Topographie und kurvigem Streckenverlauf – ein himmelweiter Unterschied zu den anfänglichen Fahrten auf bis zu zwölfspurigen Freeways in der 18 Millionen-Region Los Angeles. Die lange Tour durch endlose Palmen- und Obstplantagen erinnert an die Romane von John Steinbeck. Deren Tragik fällt aber schnell wieder vom Biker ab, wenn er nach Julian kommt: In der Welthauptstadt des Apple Pie hängt überall der unwiderstehliche Duft >>
von Zimt und Apfel in der Luft, und an beinahe jeder Ecke lässt sich die köstliche Zubereitung hiesiger Früchte zu fairen Preisen genießen.
Ebenfalls empfehlenswert: Der abwechslungsreiche, mit atemberaubenden Panoramen gespickte Highway 79, der abschnittsweise „Firefighter Steven Rucker Memorial Hwy“ heißt. Ein fast neues Asphaltband schlängelt sich um den „Lake Cuyamaca“ herum. Die Motorrad-Tour durch Südkalifornien lässt sich je nach Zeit- und Geldbudget beliebig ausdehnen: Abstecher nach Palm Springs, Las Vegas, an den Grand Canyon oder ins Death Valley kosten wenig Zeit und bringen zusätzliche Reize. Kälteempfindliche Biker sollten nur bestimmte Ziele im Hinterland meiden, denn teilweise wird es selbst rund um Kalifornien sehr kühl. Das gilt für Höhenlagen oder für 85,5 m unter dem Meerespiegel: Sogar im Death Valley, das für sommerliche Hitze berüchtigt ist, herrschen in den Wintermonaten oft nur einstellige Plusgrade.
„Saisonkennzeichen – wozu soll das denn gut sein?“
Entlang der Pazifikküste dagegen verwöhnen reizvolle Straßen und selbst im tiefsten Winter milde Temperaturen. Auf dem Rückweg nach L.A. liegt mit dem „Ortega Highway“ No 74 ein weiteres Schmuckstück amerikanischen Straßenbaus: Sehr guter Belag, unzählige Kurven und Kehren, und mit „Hell's Kitchen“ einer von vielen Biker-Treffpunkten in Kalifornien. Hier trifft man selbst im Januar auf Gleichgesinnte. Beim Plausch mit dem europäischen Motorradfahrer wundern sich allerdings die beneidenswerten Ganzjahres-Biker aus Kalifornien: „Saisonkennzeichen – wozu soll das denn gut sein?“