Auslands-Presse über Diesel-Fahrverbot "Armutszeugnis für das Autoland Deutschland"
Nach dem Dieselurteil des Bundesverwaltungsgerichts wird in Deutschland über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge diskutiert. Die Zeitungen im Ausland bewerten das Urteil kritisch und teilweise verwundert. Ein Überblick.
Die belgische Zeitung "De Tijd" weist darauf hin, dass mit Fahrverboten weitere Probleme entstehen: "Dieselfahrzeuge zu verbieten, bringt jedoch nur eine Teillösung und schafft andere Probleme. Benziner sind auch schädlich, aber auf eine andere Art und Weise. Sie stoßen zwar weniger Feinstaub aus, dafür jedoch mehr Kohlendioxid. Dieselautos durch Benziner zu ersetzen, wäre ein Schritt zurück im Kampf gegen die Erderwärmung. [...]
Dieselautos werden einseitig ins Visier genommen. Den Kampf nur an einer Front zu führen, bringt aber nicht viel. Ein breiteres Herangehen ist erforderlich. Die individuelle Nutzung von Diesel-, Benzin- und auch von Elektrofahrzeugen muss zurückgedrängt werden. Aber das erfordert komfortable Verkehrsalternativen, die den Mobilitätsbedürfnissen der heutigen Menschen entsprechen. Bislang gibt es diese nur in unzureichendem Maße."
"Dieselurteil ist fast ein Kulturschock"
Die Fahrverbote bewertet die Regionalzeitung "Les Dernières Nouvelles d'Alsace" (DNA) aus dem Elsass als "Kulturschock: "Heftiger Kälteeinbruch beim Diesel in Deutschland: Die Richter (des Bundesverwaltungsgerichts) tendieren zu einem Dieselverbot in Städten. Das ist fast ein Kulturschock in diesem Land, das wie wenig andere so mit dem Auto in Verbindung gebracht wird.
Die mächtige Autolobby hatte mit dem Diesel einen bequemen Sichtschutz gefunden. Er wurde aufgestellt, um die Produktionsketten anzukurbeln und das Umweltversprechen zu halten, dieses System stoße weniger Treibhausgas aus. Ein weiteres Geschenk des Himmels: Der Diesel hat die Gewinnspannen erhöht, wie es für eine Qualitätsmarke angemessen ist. Ein System, das die Justiz (nun) auf den Kopf stellt, weil sie die menschliche Gesundheit berücksichtigt."
"Das ist ein Armutszeugnis für das Autoland Deutschland"
Für die "Neue Zürcher Zeitung" gibt es bei dem Urteil zu Dieselfahrverboten viele Verlierer: "Das ist ein Armutszeugnis für das Autoland Deutschland. [...] Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am Dienstag keinen Zweifel gelassen: Fahrverbote für Dieselautos können für Städte ein probates Mittel sein, wenn die Grenzwerte für Stickoxide nicht eingehalten werden. Dieses Urteil mit Signalcharakter hat viele Verlierer.
Da sind zuallererst die Millionen Autobesitzer, die in gutem Treu und Glauben zugelassene Dieselfahrzeuge erworben haben, deren Gebrauch eingeschränkt wird. Da man ein Auto oft ein Jahrzehnt oder länger nutzt, kann man Fahrverbote füglich als Teilenteignung bezeichnen. Da ist es ein schwacher Trost, wenn das Gericht auf Verhältnismässigkeit pocht: Demnach müsste Stuttgart die Fahrverbote gestaffelt nach Abgasnormen einführen, und es soll Ausnahmen geben, etwa für Handwerker."
"Weiterer Nagel in den Sarg der Dieselauto-Industrie"
Die Onlineausgabe der Londoner "Financial Times" stellt den Wertverlust für viele Pkw und Lkw durch das Urteil in den Mittelpunkt: "In den Sarg der Dieselauto-Industrie wurde gerade ein weiterer Nagel getrieben – diesmal in Deutschland, dem größten Automarkt der EU. Das höchste Verwaltungsgericht des Landes entschied am Dienstag, dass Städte das Recht haben, Fahrverbote gegen Dieselautos zu verhängen. Damit hat es den Weg dafür bereitet, dass bis zu zwölf Millionen Fahrzeuge insgesamt um Millionen von Euros an Wert verlieren.
Doch das Urteil könnte weitere Folgen über Deutschland hinaus haben, die Heimat von Volkswagen, BMW und Daimler. Diese Autobauer könnten nun zu teuren Hardware-Nachrüstungen gezwungen werden, um Stickstoffemissionen von Millionen von Fahrzeugen zu reduzieren. Das könnte bedeuten, dass einige der größten Arbeitgeber Europas am Ende Milliarden von Euros in eine überholte Technologie stecken müssen. Und zwar zu einer Zeit, in der ihre strategischen und finanziellen Potenzen auf eine neue Generation von elektrisch betriebenen oder autonomen Fahrzeugen gerichtet sein sollten."
- dpa, AFP