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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unbekannte Airlines Flugreisen werden immer öfter zum Glücksspiel
Beim Buchen eines Flugs bevorzugen viele die großen Fluggesellschaften. Am Flughafen stehen Sie dann aber plötzlich doch vor einer unbekannten Maschine.
In der Reiseausschreibung stand noch ein bekannter Airline-Name: etwa Condor oder Eurowings. In der Realität fliegt dann gern Heston Airlines oder Fly Air 41 – Unternehmen, die selbst viele Branchen-Insider nicht kennen. Die ursprünglich gebuchten Fluggesellschaften halten das für ganz normal. Der Verbraucher aber fühlt sich übertölpelt. Mit wem er am Ende reist, wird oft zum Glücksspiel.
Dass die Pandemie vorbei ist, merkt man in den Reiseportalen nicht nur beim Blick in die Preisspalten. Es sind auch immer mehr neue Fluggesellschaften, die sich am Himmel tummeln. Vor allem im Markt der Charter- und Ferienflieger ist viel in Bewegung. Neben den Etablierten Condor und Eurowings Discover fliegt mindestens ein Dutzend Neulinge.
Der Reiseveranstalter Tui setzt ab kleineren Flughäfen wie Münster, Saarbrücken oder Nürnberg Vollcharter von Smartlynx, Enter Air oder Aegean Airlines ein. Dies sei von Anfang an in den Reiseunterlagen ausgewiesen, sagt das Unternehmen.
Die Nachfrage nach Flugreisen steigt
Zu Beginn der Saison wurde zunächst sehr vorsichtig geplant. Seit aber die Nachfrage wie zuletzt nach Türkei- und Ägyptenreisen durch die Decke geht, suchen Veranstalter wie FTI und Tui auch in den entferntesten Ecken der EU nach günstigem Fluggerät. Fündig geworden sind sie vor allem in Bulgarien, auf Malta und im Baltikum.
Ein klassisches Beispiel für solche Helfer bei Nachfragespitzen ist die European Air Charter. Die Bulgaren firmieren neuerdings als Partner-Airline von Condor. Bis 2021 hieß die Fluggesellschaft noch Bulgarian Air Charter, das Kerngeschäft sind weiter Flüge nach Varna und Burgas in Bulgarien.
Mittlerweile wird die Airline von deutschen Veranstaltern aber auch zunehmend zu Urlaubszielen am Mittelmeer eingesetzt. European Air Charter arbeitet unter anderem mit DER Touristik, Schauinsland-Reisen, Alltours, TUI und FTI zusammen.
Dass so viele Neue am deutschen Ferienhimmel auftauchen, hat mehrere Gründe: Zum einen haben bekannte Fluggesellschaften wie Condor die Tätigkeit als Türöffner für ausländische Airlines als lukratives Business erkannt und treten als deren Verkaufsagent bei den deutschen Reiseveranstaltern auf.
Es gibt nicht genug Flugzeuge
Andererseits leidet der Ferienflugmarkt immer noch an heftigen Schwankungen. Und es gibt nach der Pandemie einfach noch nicht wieder genügend Flugzeuge in Deutschland. Reihenweise wurden versprochene Maschinen von Boeing und Airbus nicht rechtzeitig geliefert.
In die Bresche springen Gesellschaften wie Heston Airlines. Die Airline ist seit 2021 in Litauen gemeldet, gehört aber einer australischen Firmengruppe, die eigentlich auf Flugzeugwartung spezialisiert ist und sich in der Pandemie andere Erwerbsquellen suchen musste.
Die fand sie in der Vermietung von Flugzeugen samt Personal an diverse Fluggesellschaften, darunter Condor und Marabu Airlines. Denn immer mehr Fluggesellschaften wollen ein großes Angebot vorhalten, haben dafür aber selbst gar nicht die nötigen Kapazitäten.
Vermietung von Flugmaschinen
In der Airliner-Fachsprache nennt man solche Vermietgeschäfte Wetleases. Die auftraggebende Fluggesellschaft verkauft die Tickets an die Passagiere oder Reiseveranstalter, sie stellt die Flugnummer und meist auch die Bordverpflegung.
Der Wetlease-Nehmer führt den Flug mit seinem Fluggerät und Personal aus. Ursprünglich war Wetleasing nur als schnelle Notlösung gedacht, wenn das eigentlich vorgesehene Flugzeug zum Beispiel einen technischen Schaden hatte. Mittlerweile gehört es aber wohl zum Geschäftsmodell.
Es geht in der Luft längst zu wie am Bau: Manchmal führt sogar erst der Subunternehmer vom Subunternehmer den eigentlichen Auftrag aus. Im vergangenen Dezember gestartet, fliegt Marabu Airlines im aktuellen Sommer von Condor akquirierte Aufträge ab Hamburg und München mit einer eigenen und sechs gemieteten Airbus A320, vorwiegend Richtung Mittelmeer.
Marabu gehört zufällig den gleichen Eignern wie Condor, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Sie fliegt unter estnischer Flagge, und dort sind Piloten, Crews und Steuern erheblich günstiger als in Deutschland. Aber es geht offenbar noch billiger. Auch Marabu setzt nämlich selbst wieder auf Wetlease, zum Beispiel durch Heston Airlines.
Es gibt viele dieser Unternehmen
Andere Wetlease-Gesellschaften heißen Avion und Xfly, Galistair, Leav und Privilege Style. Meistens stammen sie aus dem Baltikum oder aus Malta. Oder aus Kroatien, wie Fly Air 41. Der Gründer Marcos Rossello ist in der Branche bekannt, er hatte 2016 unter tätiger Mithilfe des Reiseveranstalters Schauinsland bereits Sundair gegründet.
Heute gehören sowohl Fly Air 41 als auch Sundair mehrheitlich zu Schauinsland. Die Kroaten haben im Frühjahr zwei Airbusse von Sundair übernommen und fliegen damit in diesem Sommer für Condor. Auch Sundair firmiert als Condor-Partner – man kennt sich, beide Airlines hatten denselben Insolvenzverwalter.
Wer Condor für eine Fernreise gebucht hat, zum Beispiel in die Karibik oder die USA, der macht ebenfalls manchmal Bekanntschaft mit anderen Airline-Namen. Einer davon ist Wamos Air. In diesem Fall handelt es sich um eine spanische Fluggesellschaft, die früher mal Air Pullmantur hieß und dem Kreuzfahrtriesen Royal Caribbean Cruise Ltd. gehört. Seit Januar 2023 fliegt die Airline mit dem IATA-Code EB im Wetlease für Condor, vor allem von Frankfurt nach New York, Toronto und Punta Cana.
Ist das rechtlich erlaubt?
Condor gebucht, Wamos geflogen: Dürfen die das überhaupt? Ja, sagen die Juristen der Fluggesellschaften. Der Passagier erwirbt nach dem Luftfahrtrecht nämlich nur einen Anspruch auf Beförderung gegenüber der gebuchten Fluglinie. Aber nicht auf Beförderung mit einem Flugzeug dieser Gesellschaft.
Die Airline darf sich also, ohne zu fragen, auch der Dienste Dritter bedienen, und muss dann ihre Kunden nur "frühestmöglich" informieren. Einen Rechtsanspruch auf eine konkrete Airline hätte nur, wer das im Reisevertrag zugesichert bekommt. Das ist aber nur sehr selten der Fall.
Es wird an vielen Ecken gespart
Natürlich behaupten alle Fluggesellschaften, dass die Partner sorgfältig und nach strengen Kriterien ausgewählt werden. Dass dies aber auch mal schiefgehen kann, zeigt das Beispiel Smartlynx. Die Fluggesellschaft aus Lettland konzentriert sich mitsamt ihren Tochterfirmen in Estland und Malta schon länger auf das Wetlease-Geschäft.
Bis Januar war das auch mit Condor der Fall, bis die Deutschen die Notbremse zogen. Auf einem Punta Cana-Flug hatten sich Gäste über zerschlissene Sitze und Personal beschwert, das weder deutsch noch englisch sprach.
Mehr noch: Bei einer Pilotenumfrage der Gewerkschaft European Cockpit Association (ECA) hatte Smartlynx europaweit den letzten Platz belegt. Das hält den Reiseveranstalter FTI aber nicht davon ab, vom kommenden Winter an neue Flugverbindungen mit Smartlynx ab Berlin und Leipzig nach Dubai anzukündigen. Die Preise stimmen also offenbar – laut Aussage des deutschen Piloten-Berufsverbands Cockpit allerdings auf Kosten der sozialen Leistungen.
- Reiseredaktion SRT