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AfD-Protestwähler an Schulen produziert: Demokratie-Problem im Bildungssystem


Meinung
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Falsche Prioritäten
Warum unsere Schulen AfD-Wähler produzieren

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

Aktualisiert am 19.09.2023Lesedauer: 4 Min.
imago images 0246083483Vergrößern des Bildes
AfD-Kundgebung: Viele Menschen geben an, die AfD aus Protest zu wählen. (Quelle: IMAGO/Jacob Schršter)

Viele Menschen meinen, aus Protest Rechtsextreme wählen zu müssen. Ein Irrglaube, der auch mit einem Bildungssystem zu tun hat, in dem Demokratie keine Rolle spielt.

Eigentlich kann man es einer einzelnen Politikerin wie Linda Teuteberg (FDP) nicht vorwerfen, wenn ihre Partei genau jene Grundsätze einreißt, für die sie sich zuvor noch, großspurig in einem Interview bei t-online erklärt, stark gemacht hat. Gelingende Demokratiebildung, heißt es dort, sei Sache der Schulkultur. "Dazu gehören Aushandlungsprozesse und Abstimmungen, wo es möglich ist." Wer möchte da widersprechen?

Nun ist dieses Interview unmittelbar vor der gemeinsamen Abstimmung von FDP und CDU mit der AfD erschienen. Einer Abstimmung, die vom t-online-Chefredakteur Florian Harms allenthalben zu Recht als "Alarmstufe Rot" bezeichnet wurde. Das verdeutlicht einmal mehr die riesige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Damit sind wir sehr schnell beim deutschen Schulsystem.

Die eigentliche Pointe an den Ausführungen Teutebergs ist nämlich, dass es Demokratiebildung längst gibt. Zumindest auf dem Papier. So beschreibt der Leitfaden Demokratiebildung (LFDB) im Bildungsplan Baden-Württemberg genau das, was in dem Interview nachzulesen ist.

Für Demokratiebildung bleibt an Schulen keine Zeit

"Angesichts der aktuellen Diskussion um die politische Bildung und mögliche Defizite in dieser staatsbürgerlich wichtigen Debatte kommt der Demokratiebildung an Schulen eine noch bedeutendere Rolle zu." Im Hinblick auf die realen Zustände an unseren Schulen sollte man den Nachsatz einfügen: Falls irgendwo noch Zeit dafür ist, ansonsten halt nicht.

(Quelle: Thomas Clemens)

Bob Blume

Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Aktivist. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder und Rotstift im Anschlag. Man findet Blume auf Twitter und auf Instagram, wo ihm über 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist überall erhältlich.

Denn wie eine Umsetzung der Demokratieerziehung aussieht, kann man vor Ort sehr direkt erfahren. Ein bekannter Schulleiter erklärte mir jüngst, dass zwar die Bitte der oberen Dienststelle erfolgte, ein Konzept auszuarbeiten. Unklar blieb aber, wer genau dies tun sollte. Und das in einer Zeit, in der allerorts ohnehin Lehrkräfte fehlen.

Und so verschwindet einer der wichtigsten Aspekte einer Bildung, die vorgibt, mündige Bürger aus der Schule entlassen zu wollen, in der Schublade.

Dass dies reale Konsequenzen hat, sehen wir nicht nur im Abstimmungsverhalten sogenannter Protestwähler. In der Studie "Bildung auf einen Blick 2023" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die erst kürzlich herausgegeben wurde und einen umfangreichen Blick auf das deutsche und europäische Ausland gibt, gibt es den Abschnitt mit der bezeichnenden Frage "Was sind die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Bildung?"

Dort wo gemeinsam und selbstbestimmt gelernt wird, schätzt man auch die Demokratie höher

Auffällig: Deutschland ist zwar im Vergleich mit den direkten Nachbarn bei der Frage, inwiefern nationale Wahlen frei und gerecht seien, auf gleicher Höhe mit seinen Nachbarn; ein Land wie Dänemark lässt die Bundesrepublik aber deutlich hinter sich. Nun mag das niemanden überraschen, der die Erosion demokratischer Haltungen und den aufstrebenden Populismus als europäisches Phänomen mit Interesse und Sorge beobachtet.

Aber interessant ist es schon, dass in eben jenen Ländern, in denen gemeinsam und oftmals projektorientiert gelernt wird, die Demokratie als Ganzes deutlich positiver gesehen wird. Im Falle von Dänemark lernt man übrigens bis zur 7. Klasse ohne Noten.

Die OECD-Studie zeichnet ein Bild, das folgenden Zusammenhang mindestens nahelegt: Dort, wo lange zusammen gelernt wird und die Kinder und Jugendlichen ihre Schwerpunkte selbst setzen können, ist die Unterstützung für Demokratie höher.

Das ist kein Zufall. Denn auch wenn das Wissen über Institutionen sicherlich eine wichtige Grundlage ist, bedeutet Demokratie vor allem ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Ein jeder Lesende mag sich erinnern und fragen, inwiefern die eigene Schulzeit von einer solchen Selbstwirksamkeit geprägt ist. Bis heute dürfte die Antwort überwiegend zurückhaltend ausfallen.

Unser Schulsystem produziert geradezu Protestwähler

Eher könnte man sagen, dass noch viel zu viele Kinder in Deutschland zur Passivität verdammt sind. Und das an einem Ort, den sie 10 oder sogar 12 Jahre lang besuchen, manchmal länger. Können wir uns wirklich wundern, dass aus Menschen, die eine solche jahrelange Ohnmacht erdulden, Menschen werden, die nicht daran glauben, dass sie etwas bewirken können?

Nein, man könnte sagen: Fehlende Demokratiebildung erzeugt Protestwähler.

Das soll die Opferpose dieses angeblichen Protestes nicht verstärken, denn es gibt selbstverständlich Beispiele, in denen die Freiheit nach der Schule dafür genutzt wurde, sich zu engagieren.

Aber es sind doch falsch gesetzte Prioritäten, wenn es vor allem um Noten und Abschlüsse geht, die letztlich sowieso nicht vergleichbar sind, dafür aber tatsächliche Partizipation kein alltäglicher Bestandteil schulischer Arbeit ist.

Wir müssen auf allen Ebenen handeln

Damit das so wird, muss auf allen Ebenen gehandelt werden: Politisch, indem es nicht bei einem Interview bleibt. Verwaltungstechnisch, in dem ganz klargemacht wird, dass Demokratiebildung kein Konzept für die Schublade, sondern eine Anforderung an eine moderne Schule ist. Und innerhalb der Schulen, damit die Grundlage unseres Zusammenlebens nicht vom Engagement Einzelner abhängig ist.

Schulen sind die "Fitnessstudios unserer Demokratie". Zumindest könnten sie es sein, wenn die falschen Prioritäten endlich überdacht werden.

In einem stimme ich übrigens der besagten FDP-Politikerin nicht zu, wenn sie sagt, dass der Protest einer Schule gegen die Einladung eines AfD-Politikers zeige, dass noch einiges getan werden müsse.

Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Demokratieerziehung wirkt, dann zeigt es sich daran, klare Kante gegen rechts zu zeigen. Und nicht, wenn es opportun ist, zusammen mit Rechtsradikalen zu stimmen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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