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Wie das Ost-Berliner Plattenlabel Amiga die DDR mit Westmusik versorgte


Beatles, Stones & Co.
Wie das Ost-Berliner Plattenlabel Amiga die DDR mit Westmusik versorgte

Sie waren ein Stück auf Vinyl gepresste Freiheit: Lizenzalben von Westkünstlern. Welche LPs vor genau dreißig Jahren in der DDR veröffentlicht wurden – und welche nicht.

16.08.2019|Lesedauer: 6 Min.
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Fast hätte es geklappt, und das 1987 erschienene U2-Album "The Joshua Tree" wäre noch vor der Wende als westliche Lizenzausgabe im Osten erschienen. Beim DDR-Schallplattenlabel Amiga. In einer Eins-zu-eins-Übernahme. Doch es kam anders.

Drafi Deutscher, Herbert Grönemeyer, Whitney Houston: Diese drei Alben wurden 1989 als Lizenzpressungen von der DDR-Plattenfirma Amiga veröffentlicht.Vergrößern des Bildes
Drafi Deutscher, Herbert Grönemeyer, Whitney Houston: Diese drei Alben wurden 1989 als Lizenzpressungen von der DDR-Plattenfirma Amiga veröffentlicht. (Quelle: Amiga/Fotomontage: t-online.de)

Denn die irische Band um Sänger Bono bestand auf ein exklusives Klapp-Cover, das sich wie ein Buch öffnen lässt. Genauso wie bei der Originalausgabe des ursprünglich bei Island Records veröffentlichten Albums – das aber, wie alle Platten von Westmusikern, in der DDR nicht in die Läden kam.

Klapp-Cover stellten aber Amiga, und vor allem den für Schallplattenhüllen zuständigen volkseigenen Betrieb (VEB) Gotha-Druck, vor technische Herausforderungen. Der Grund: Die DDR-typische Mangelwirtschaft mit veralteten Maschinen und knappen Ressourcen machte den Verantwortlichen zu oft einen Strich durch die Rechnung. Aufwändige Gestaltungen wie Klapp-Cover waren da unmöglich.

Von The Beatles über Michael Jackson bis zu Roger Whittaker

Auch wenn es mit "The Joshua Tree" letztlich nicht klappte: Amiga – beim VEB Deutsche Schallplatten zuständig für Tanz- und Unterhaltungsmusik – erwarb von 1964 bis 1990 die Lizenzen für über 200 Musikalben internationaler Rock- und Popkünstler: von The Beatles über Michael Jackson bis zu Roger Whittaker. Aber auch westdeutsche Namen wie BAP, Udo Lindenberg oder Peter Maffay waren vertreten.

Jede Amiga-LP kostete 16,10 Mark; die Musikkassette 23,60 Mark. Die beiden Einheitsverkaufspreise (EVP) – staatlich gestützt und subventioniert – enthielten jeweils eine Kulturabgabe von 10 Pfennig ("Kulturgroschen"). Sie ging an den Kulturfonds der DDR. Dieser sicherte die Existenz von Künstlern, finanzierte kulturelle Projekte, bot aber gleichzeitig ein Instrument zur Kontrolle der Kulturschaffenden.

Dass gerade der Erlös aus kapitalistischer Musik das sozialistische Kulturleben förderte, war dabei ein offenes Geheimnis. Einheimische Rock- und Popkünstler, die ebenso bei Amiga erschienen, verloren ab Mitte der 1980er-Jahre an Attraktivität. Deren LPs wurden kurz vor der Wende nicht selten zu Ladenhütern. Der Umsatz mit Ostmusik sank. Dagegen waren internationale Namen bis zuletzt eine sichere Bank. Und boten eine verlässliche Einnahmequelle.

Inoffizielle Auflage lag um ein Vielfaches höher

Kein Wunder, denn die Nachfrage in der Bevölkerung und die Anzahl der gepressten Lizenzalben klaffte weit auseinander. Die vertraglich mit den internationalen Plattenfirmen vereinbarte Stückzahl überschritt nur selten die Marke von 10.000.

Der Grund: Lizenzen für westliche Künstler mussten von der DDR in harten Valuten, sprich: in D-Mark, bezahlt werden – und die waren knapp. Deshalb wurde offiziell zumeist eine Lizenz zu einem komfortabel niedrigen Preis eingekauft. Obwohl die inoffizielle Auflage dann doch um ein Vielfaches höher lag, reichte die Stückzahl für den DDR-Markt trotzdem nicht.

Schlangestehen vor den etwa 650 Verkaufsstellen, in denen Platten und Kassetten verkauft wurden, war deswegen keine Seltenheit. Zudem gingen westliche Importe oftmals unterm Ladentisch weg. Beziehungen zur örtlichen Schallplattenverkäuferin, besonders in der ostdeutschen Provinz, zahlten sich aus.

Die Lizenz-LP – ein Stück auf Vinyl gepresste Freiheit

Weitaus wichtiger war aber, dass für DDR-Bürger eine Lizenzpressung nicht irgendeine x-beliebige Platte war, sondern ein Stück auf Vinyl gepresste Freiheit.

Der Musikwissenschaftler Michael Rauhut bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: "Ein Stück Rock’n’Roll aus England oder Amerika, in schwarze Rillen geschnitten, war mehr als nur ein paar Minuten Musik. Das hatte Symbolkraft, das hatte Wert, das wurde fast kultisch gefeiert."

Welche westlichen Künstler in der DDR auf Vinyl gepresst und auf Tonband verewigt wurden, unterlag bis zuletzt bestimmten Kriterien. Grobe Richtlinien legte das Komitee für Unterhaltungskunst, ein kulturell-politisches Kontrollgremium, fest.

In einer Vorschlagsliste aus dem Jahr 1979 hieß es: "Grundsätzlich wurde nach den Prinzipien sozialistischer Kulturpolitik verfahren, indem ausschließlich Gruppen und Interpreten ausgewählt wurden, die künstlerische Qualität mit bürgerlich-humanistischer bzw. sozialistischer Haltung vereinen."

"Die hängen doch immer Jahre hinterher"

In der Praxis galten vor allem zwei Vorgaben. Wer als Künstler eine Musikrichtung entscheidend beeinflusste und dessen Album zudem als ein Meilenstein galt, hatte bei Amiga gute Chancen. So wie die US-Sängerin Whitney Houston mit ihrem zweiten Studioalbum "Whitney" von 1987, das als Eins-zu-eins-Übernahme in der DDR erschien.

Allerdings erst 1989 kurz vor dem Mauerfall. Das war Wasser auf die Mühlen derer, die über Amiga und ihre Lizenzalben ohnehin lästerten: "Die hängen doch immer Jahre hinterher." Und ja, selten erschienen westliche Rock- und Pop-Alben bei Amiga im Jahr ihrer internationalen Veröffentlichung.

Beispiele aus dem Lizenzjahrgang 1989 zeigten das einmal mehr: Mit Neil Youngs "Harvest" (1972), "The Best of" (1985) von den Eagles, Alabamas "Greatest Hits" (1986), Whitesnakes "1987" (1987), "The Best Of – New Light Through Old Windows" (1988) von Chris Rea sowie "Steinzart. Die besten Jahre – die Hits von 1963–1988" (1988) von Drafi Deutscher hinkte man im Vergleich mit der offiziellen Veröffentlichung im Westen teils Jahre hinterher.

Die Gründe waren vielfältig. So brauchte der VEB Gotha-Druck einen Vorlauf von bis zu einem halben Jahr, um die Plattenhüllen fristgerecht abzuliefern. Ganz zu schweigen von manchen Vertragsverhandlungen mit westdeutschen Plattenfirmen wie Ariola, Warner oder EMI.

Best-of-Zusammenschnitte im Westen Sammlerobjekte

Im Vergleich mit Eins-zu-eins-Übernahmen von Lizenzalben spielte bei Best-of-Zusammenschnitten von Amiga die zeitliche Verzögerung keine Rolle. Vielmehr waren diese Pressungen, vor allem bei Sammlern im Westen, heiß begehrt und eine Rarität. Der Grund: Sie wurden in einer geringen Stückzahl hergestellt. Die individuelle Songauswahl legte der verantwortliche Amiga-Redakteur fest.

Im Wendejahr 1989 brachte Amiga zum Beispiel eigene Best-of-Zusammenschnitte der dänischen Sängerin Gitte Haenning und der österreichischen Band Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV) heraus. Hatte Haenning bei Amiga bereits 1982 die Eins-zu-eins-Übernahme von "Bleib noch bis zum Sonntag!" (1980) veröffentlicht, so stand die EAV das erste Mal als LP in den DDR-Plattenläden, obwohl sie im Westen bereits auf mehrere Alben zurückblicken konnten.

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"Republikflüchtling" wurde auf Grönemeyer-Cover retuschiert

Das Amiga-Highlight des Jahres 1989 war aber die verspätete Eins-zu-eins-Lizenzübernahme eines westdeutschen Künstlers, der seit Mitte der 1980er-Jahre zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Musikern zählte: Herbert Grönemeyer. Nach Archivrecherchen des Musikwissenschaftlers Michael Rauhut hatte Amiga zuvor mehrere LPs und deren komplette Übernahme abgelehnt:

"Der Grund waren einzelne politisch inopportune Lieder, die durch andere ersetzt werden sollten. Dagegen hat sich Grönemeyer verwahrt."

Obwohl Grönemeyer seit seinem künstlerischen Durchbruch mit "4630 Bochum" (1984) auch mit "Sprünge" (1986) und "Ö" (1988) zwei Meilensteine ablieferte, erwarb Amiga im Jahr 1989 dann doch noch die Lizenz für "4630 Bochum" in kompletter Fassung.

Auch die Verpackung konnte sich auf den ersten Blick sehen lassen: Auf der Innenhülle waren – wie beim Westoriginal – die Songtexte abgedruckt, darunter die Fotos der Bandmitglieder. Nur einer fehlte: Detlef Kessler. Der Schlagzeuger war 1978 über Budapest in die BRD geflüchtet. Auf "4630 Bochum" spielte Kessler das famose Percussion-Solo für "Mambo" ein.

Für DDR-Kulturfunktionäre war er aber nur ein "Republikflüchtling", passte nicht mehr ins sozialistische Bild – und wurde einfach retuschiert.

"Dieser Urlaub bleibt unvergessen!"

Dass Amiga-Alben auch dreißig Jahre nach dem Ende der DDR nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben, zeigt seit 2017 einmal mehr die Ausstellung "Amiga – Mythos und Kult des ersten deutschen Plattenlabels". Gestartet als Sonderschau im Museum Schloss Bernburg und später im Stadtmuseum Parchim, ist sie jetzt in der Musikbibliothek Halle/Saale zu sehen.

Darin beschreiben 25 Bild- und Texttafeln grob die Geschichte des Plattenlabels. Sowohl Plattencover als auch Leihgaben aus dem Privatbesitz ehemaliger Amiga-Künstler, wie Fred Frohberg, Dirk Michaelis und Tamara Danz, werden ausgestellt.

Torsten Sielmon, der die Sonderschau kuratiert, sagt t-online.de: "Lizenzplatten spielten in der Konzeption eine sehr wichtige Rolle. Als sogenannte Bückware wurden sie manchmal auch als Tauschobjekt verwendet." Weshalb heute noch viele ehemalige DDR-Bürger ihre Geschichte erzählen können, wie sie an Amiga-Lizenzplatten gelangt sind.

So wie Besucher Wolfgang Heinrichs aus Magdeburg. Er schrieb Sielmon, dass er "ohne Schwierigkeiten, ohne Anstehen, einfach so" während eines Winterurlaubs im Februar 1983 in Waren/Müritz "eine für den normalen DDR-Bürger unglaubliche Rarität" erstand: die Amiga-LP "The Rolling Stones" von 1982. "Dieser Urlaub bleibt unvergessen!"

Ausstellung: "Amiga – Mythos und Kult des ersten deutschen Plattenlabels"
Ort: Musikbibliothek der Stadtbibliothek Halle, 06108 Halle/Saale, Kleine Marktstraße 5 (Händelkarree)
Dauer: bis zum 30. Dezember 2019
Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag von 10 bis 19 Uhr; Mittwoch 14 bis 19 Uhr; Sonnabend 10 bis 14 Uhr
Eintritt: frei

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst, Vorschläge für Empfang bzw. Popularisierung von Künstlern aus einigen kapitalistischen Ländern in der DDR, 12.6.1979, Deutsches Rundfunkarchiv (DRA), HA, Bestand: Hörfunk, HA Musik/1979; zitiert nach Rauhut (1999), S. 14.
  • Geschichten aus 60 Jahren Amiga: Bd. 1 – Vom Lipsi-Schritt zur Jugendliebe 1947–1977. Bd. 2 – Von am Fenster bis Asyl im Paradies 1977–2007. Berlin, 2007.
  • Herbst, Andreas/Ranke, Winfried/Winkler, Jürgen: VEB Deutsche Schallplatten. In: Dies.: So funktionierte die DDR. Bd. 2. Lexikon der Organisationen und Institutionen. Reinbek b. Hamburg, 1994, S. 1.074–1.078.
  • Jubiläumsschau "70 Jahre Amiga" in Halle/Saale. In: Amiga-Schallplatten.de.
  • Komitee für Unterhaltungskunst. In: Jugendopposition.de – ein Kooperationsprojekt der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. und der Bundeszentrale für politische Bildung.
  • Rauhut, Michael: Kult und Alltag. In: Rauhut, Birgit und Michael: Amiga. Die Diskographie aller Rock- und Pop-Produktionen 1964–1990. Mit über 1.500 teilweise farbigen Abbildungen. Berlin, 1999, S. 7–20.
  • Rauhut, Michael: Rock in der DDR 1964–1989. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn, 2002.
  • Schröter, Kathleen: Der Kulturfonds der DDR. Oktober 2012. In: Kunst in der DDR.
  • Wicke, Peter/Müller, Lothar (Hrsg.): Hansjürgen Schaefer. Künstlerischer Direktor des VEB Deutsche Schallplatten. In: Dies.: Rockmusik und Politik. Analysen, Interviews und Dokumente. Berlin, 1996, S. 111–118.
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