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Kindstötung: Die eigenen Eltern sind meistens die Täter


Kindstötungen analysiert
Meistens sind die eigenen Eltern die Täter

Berichte über ermordete Kinder schüren Angst bei Eltern. Aber die größte Gefahr geht nicht von Fremden aus. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über

Aktualisiert am 29.12.2015|Lesedauer: 3 Min.
dpa, Christina Sticht
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Im November erhielten die Eltern des vierjährigen Mohamed und des sechsjährigen Elias diese schreckliche Gewissheit: Ein 32-Jähriger aus Brandenburg gestand nach seiner Festnahme, den Flüchtlingsjungen Mohamed in Berlin mitgenommen und getötet zu haben. Später räumte er außerdem ein, den seit Juni in Potsdam vermissten Elias umgebracht zu haben. Aber Fälle wie die Morde an Mohamed und Elias sind die absolute Ausnahme.

Kindstötung und Kindesmisshandlung: Täter stammen in den meisten Fällen aus der Familie.Vergrößern des Bildes
Die Gefahr kommt nicht von außen. In den meisten Fällen von Kindstötung und Kindesmisshandlung kommen die Täter aus der Familie. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

In den meisten Fällen sind die Eltern die Täter

Ein Team am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) analysiert seit acht Jahren Tötungsdelikte an Kindern in Deutschland. Ein Ziel des Projekts ist, Strategien zur Prävention zu entwickeln, sagt KFN-Direktor Thomas Bliesener. "Manche Delikte treten in der öffentlichen Wahrnehmung stark in den Vordergrund, dabei sind sie sehr selten", sagt Bliesener.

Die frühere Projektleiterin Ulrike Zähringer hat die Strafakten zu allen in Deutschland getöteten Kindern unter sechs Jahren von 1997 bis 2006 mit ausgewertet. "Wir haben die Daten zu 535 Opfern untersucht. Darunter waren keine Sexualdelikte und kein einziger echter Fremdtäter", berichtet die Kriminologin. "Vielmehr stammten die Täter stets aus dem absoluten sozialen Nahraum der Kinder. In den meisten Fällen waren es die Eltern oder deren neue Lebenspartner."

Nach der Geburt von der Mutter getötet

Die größte Opfergruppe (37 Prozent) sind Kinder, die unmittelbar nach der Geburt von ihren Müttern umgebracht wurden. Im Untersuchungszeitraum gab es insgesamt 199 Fälle. Die Frauen hatten ihre Schwangerschaft zuvor verheimlicht oder verdrängt und wurden von der Geburt überrascht. Es ist schwer zu sagen, wie sich solche Dramen verhindern ließen, meint Zähringer. In Hamburg wurde vor 15 Jahren die erste Babyklappe eingerichtet. Mittlerweile gibt es bundesweit Dutzende solcher Wärmebettchen, in die Frauen ihre ungewollten Babys nach der Geburt anonym legen können. "Dafür muss man sich aber vorher informieren und planen", sagt die Kriminologin. "Dazu waren die Frauen in den Fällen, die wir untersucht haben, nicht in der Lage."

Tödliche Gewalt in Familien

Etwa ein Viertel der getöteten Babys und Kleinkinder wurde zu Tode misshandelt. Auch hier waren die Täter meist die Eltern, in jedem fünften Fall der Stiefvater beziehungsweise Lebensgefährte der Mutter. Auch im aktuellen Fall des gewaltsam zu Tode gekommenen kleinen Tayler aus Hamburg stehen die Mutter beziehungsweise deren Lebenspartner unter Verdacht.

Der Chef der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, wirft den Hamburger Behörden schwere Versäumnisse vor. Der Einjährige war bereits wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung aus der Familie genommen, aber wieder zurückgegeben worden.

Becker sieht Fehler im System: Jeder Familienhelfer im Auftrag des Jugendamtes müsse eine Schulung erhalten, um Verletzungsspuren bei Kindern richtig einzuschätzen: "Was spricht für einen Unfall? Was spricht für Gewalt?"

Von den Eltern mit in den Tod gerissen

Knapp 13 Prozent der kleinen Kinder in der KFN-Studie wurden Opfer eines erweiterten Suizides. "Vor diesen Taten gibt es Warnzeichen, für die die Polizei, Jugendämter, aber auch die allgemeine Bevölkerung sensibilisiert werden sollten, sagt KFN-Chef Bliesener. "Die Familien ziehen sich häufig schon eine Zeit lang vor der Tat zurück, manchmal gehen die Kinder nicht mehr zur Schule." Teilweise gibt es sogar Ankündigungen des Täters, er werde die Familie mit in den Tod reißen. Hintergrund sind oft Trennungsdramen.

Die Wissenschaftler sind jetzt dabei, auch die Akten der zwischen 1997 und 2012 getöteten Kinder zwischen sechs und 13 zu analysieren. "Es liegen noch keine abschließenden Zahlen vor, aber so wie es momentan aussieht, wird ein Großteil der älteren Kinder bei erweiterten Suiziden getötet", sagt Zähringer. Im Gegensatz zu den unter Sechsjährigen gebe es nun auch Sexualdelikte und Fremdtäter. Jedoch sei diese Fallgruppe sehr klein.

Zahl der getöteten Kinder geht zurück

Die gute Nachricht: Die polizeiliche Kriminalstatistik belegt, dass die Zahl der getöteten Kinder kontinuierlich zurückgeht: 2014 wurden 46 Kinder unter sechs Jahren und 17 Kinder zwischen sechs und 13 getötet. 2004 waren es noch 85 jüngere und 35 ältere Mädchen und Jungen. 1997 verzeichnet die Statistik insgesamt 148 Opfer.

Über die Gründe könne nur spekuliert werden, sagt Zähringer. Möglicherweise habe der Rückgang damit zu tun, dass die Gesellschaft für Gewalt gegen Kinder sensibilisiert worden sei. Ein anderer Grund könne die bessere medizinische Versorgung sein, die mehr Opfer von schweren Gewalttaten überleben lässt.

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