Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zum Wohl der Kinder Das sind die Aufgaben des Jugendamtes
Viele Familien kommen nie in Kontakt mit dem Jugendamt. Andere werden dagegen jahrelang von der kommunalen Behörde, die es in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt gibt, begleitet und sind froh, dass diese Einrichtung existiert. Denn das Jugendamt hat in erster Linie den Auftrag Kinder und Jugendliche zu schützen und ihre Entwicklung zu fördern. Seine Legitimation zur Fürsorge erhält das administrative Organ durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz, doch die wenigsten wissen eigentlich wie vielfältig das "Dienstleistungsangebot" der Behörde ist.
In der Öffentlichkeit und in den Medien wird das Jugendamt meist wahrgenommen als regelnde Institution, die Kinder schützt - vor allem dann, wenn sie zu Hause Gewalt erfahren oder vernachlässigt werden. Dann hat das Amt die Pflicht einzugreifen, das Kind falls nötig aus seinem familiären Umfeld heraus zu nehmen. Diese sogenannte Inobhutnahme ist im §1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verankert. Hier heißt es, dass "die Pflege und die Erziehung der Kinder zwar das natürliche Recht und Pflicht der Eltern“ sei, doch dass über diese Obliegenheit zum Schutz der Kinder auch der Staat wacht.
Die Zahl der Inobhutnahmen steigt
Dieser Schutzaspekt rückt in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Behörde: Das Statistische Bundesamt zählte 2013 bundesweit rund 42.300 Kinder, die vorübergehend auf Initiative des Jugendamtes aus ihren familiären Umfeld herausgenommen werden mussten. Das waren fünf Prozent mehr als im Vorjahr und 64 Prozent mehr als 2005. Über ein Viertel dieser Kinder und Jugendlichen wurden in Heimen und in Pflegefamilien untergebracht, 13 Prozent kamen in Krankenhäuser oder in psychiatrische Einrichtungen. Knapp die Hälfte der Betroffenen konnte nach kurzer Zeit wieder in ihre Familien zurückkehren.
Eine angemessene Beurteilung der Gefährdungsfälle ist schwer
Damit Schutzbefohlene überhaupt in Obhut genommen werden können, bedarf es entweder der Gefährdungsmeldung durch die Kinder selbst oder durch Dritte - etwa Nachbarn, Verwandte oder sogar die Eltern. Dann besteht die Möglichkeit, dass die Familie zunächst eine Zeitlang unter Beobachtung gestellt wird, indem ein Jugendarbeiter regelmäßig die Familie besucht. Tätig werden darf das Jugendamt jedoch grundsätzlich nur mit dem Einverständnis der Betroffenen - es sei denn es herrscht dringender Tatverdacht und Leib und Seele des Kindes sind in Gefahr. Dann holen zwei Mitarbeiter der Behörde mit der Polizei das Kind aus der elterlichen Wohnung. Nach zwei Tagen muss dann ein richterlicher Beschluss vorliegen, gegen den die Erziehungsberechtigten klagen können.
Die Umstände, die einer Inobhutnahme vorausgehen, sind oftmals schwer zu beurteilen und für die Mitarbeiter des Amtes eine Gratwanderung. Nicht selten geraten sie durch ihr Handeln beziehungsweise Nichthandeln in die Kritik. Mike Seckinger, Psychologe und wissenschaftlicher Referent in der Abteilung Jugendhilfe des Deutschen Jugendinstitutes (DJI) beschäftigt sich seit Jahren mit der Arbeit der Jugendämter und kennt das Dilemma. Gegenüber der Zeitschrift "spielen und lernen" erklärte er: "Bei Inobhutnahmen werden die Jugendämter immer kritisiert. Entweder wird ihnen eine Überreaktion vorgeworfen oder, wenn wirklich ein Kind stark verwahrlost ist und erkrankt oder gar stirbt, eben Untätigkeit." Sobald ein Kind aus dem Familienverband heraus genommen wurde, ist die Behörde dazu verpflichtet, einen Interessensvertreter vom Jugendamt in Form eines Anwalts oder eines gesetzlichen Vormund zur Verfügung zu stellen.
Viele Alleinerziehende suchen pädagogische Unterstützung
Ein weiteres wichtiges Ziel des Jugendamtes ist Familien zu unterstützen, die mit der Erziehung ihres Nachwuchses und mit der Strukturierung des Alltags nicht zurechtkommen. Auch hier wachen die Beamten darüber, dass der grundlegende §1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, nämlich "das Recht jedes jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" umgesetzt wird. Diese amtliche Fürsorgepflicht mit pädagogischer Unterstützung kam 2009 etwa 509.000 Kinder zugute, das sind ungefähr drei Prozent aller unter 21-Jährigen.
Zu den wichtigsten Instrumenten des Amtes zählt dabei die "Sozialpädagogische Familienhilfe" (SPFH). Auch hier sind die Fallzahlen drastisch gestiegen und haben sich innerhalb von fünf Jahren auf 58.000 Fälle verdoppelt. Nach Angaben des Deutschen Jugendinstitutes (DJI) nimmt vor allem die wachsende Gruppe der Alleinerziehenden zunehmend diese Hilfe in Anspruch.
Impulse kommen von Erziehern und Lehrern
Um hier überhaupt aktiv werden zu können, brauchen die Mitarbeiter des Jugendamtes Impulse von "außen". Denn nur mit der Unterstützung etwa von Erziehern oder Lehrern, die die betroffenen Kinder täglich erleben, fallen oftmals bestimmte Mängel auf - wenn etwa immer wieder ein Kind ohne Frühstück in den Kindergarten beziehungsweise in die Schule kommt, im Winter nicht der Jahreszeit entsprechend gekleidet ist oder nur unregelmäßig erscheint. Dann sind die amtlichen Kindeswohl-Wächter auf die Beobachtungen der Pädagogen vor Ort angewiesen und können aufgrund deren Informationen tätig werden.
Hilfeplan wird mit den Eltern erstellt
In der Praxis heißt das, dass Erzieher oder Lehrer zuerst das Gespräch mit den Eltern suchen und schließlich den Kontakt zum Jugendamt herstellen. Dann findet ein sogenanntes Hilfeplangespräch statt, in dem besprochen wird, welche Unterstützung in welchem zeitlichen Rahmen benötigt wird. Das kann soziale Gruppenarbeit oder die "Sozialpädagogische Familienhilfe" sein, die eher praktische Alltagsprobleme löst: Dazu gehört, dass speziell geschulte Helfer in die Familien kommen und beispielsweise dafür sorgen, dass die Kinder pünktlich geweckt werden, dass sie den Ranzen packen und dass sie zuverlässig Frühstück und Pausenbrote bekommen. Auch Hausaufgabenhilfe oder Unterstützung bei Behördengängen sind oftmals in einem solchen Plan enthalten.
Wirtschaftliche Unterstützung und Umsetzung des Sorgerechts
Einen wachsenden Anteil bei der Jugendamt-Arbeit nimmt die wirtschaftliche Hilfe bei Bedürftigkeit ein. Meist sind davon Bezieher von Harz IV oder Wohngeld betroffen. Dabei können nach Antragstellung zum Beispiel Kita- oder Hortgebühren sowie Schulausflüge oder Ferien- und Freizeitangebote übernommen werden. Auch bei Trennung oder Scheidung kann die Behörde helfen. Entweder bietet sie den Kindern psychologische Begleitung in der schwierigen Lebensphase an oder unterstützt die Eltern darin, das gemeinsame Sorgerecht so ausgewogen umzusetzen, dass das Kind nicht zum "Spielball" wird. Auch Eltern, die sich nicht einigen können, werden vom Jugendamt beraten mit dem Ziel einen Betreuungsplan zu erstellen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht freiwillig, sie wird im strittigen Fällen von den Familiengerichten vorgeschrieben.
Bei offenen Unterhaltsansprüchen springt das Jugendamt ebenfalls ein. Es zahlt maximal sechs Jahre lang für Kinder bis zum zwölften Lebensjahr Unterhaltsvorschuss, wenn das Kind keine finanzielle Unterstützung vom unterhaltspflichtigen Elternteil erhält. Für Kinder unter sechs Jahren sind dies seit 2010 nach Abzug des Kindergeldes 133 Euro und für die älteren bis zwölf Jahre 180 Euro monatlich.
Vielfältiges Dienstleistungsangebot ist kaum noch zu bewältigen
Neben diesen Haupt-Arbeitsfeldern reicht die Angebotspalette des Jugendamtes aber noch viel weiter und ist fast unüberschaubar vielfältig geworden: Die Behörde vermittelt beispielsweise auch qualifizierte Tagesmütter/-väter, fördert Kinder mit Behinderungen und Beeinträchtigungen, sucht geeignete Pflegefamilien aus für Kinder, die nicht mehr in ihrem ursprünglichen Umfeld leben können, oder organisiert Adoptionen und begleitet dabei den gesamten Adoptionsprozess.
Steigende Fallzahlen und fehlende Mittel
So ist in den vergangenen Jahren aus der ursprünglich obrigkeitsstaatlichen Überwachungsbehörde ein Dienstleister für die ganze Familie geworden, die allerdings als kommunale Einrichtung ständig mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen zu kämpfen hat. Denn trotz rückgängiger Geburtenzahlen wächst die Zahl der "Kundschaft" ständig, ohne dass die Mittel entsprechend angepasst werden. Diese Umstände bedeuten für viele Jugendamt-Mitarbeiter eine hohe Belastung.
Dies hat der Psychologe Mike Seckinger vom Deutschen Jugendinstitut festgestellt: "Nach unserer Untersuchung sind viele Mitarbeiter über ihre Grenze hinaus belastet. In mehr als der Hälfte der Jugendämter wurden Überlastungsanzeigen gestellt." Dieser Personalmangel und ein zu niedriges Budget führen dazu, dass die amtlichen Hilfestellungen oftmals nicht mehr die nötige Dauer und Intensität haben und Familien viel Geduld abverlangt wird: "Für die Eltern heißt das, sie müssen oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen", so Seckinger. "Wer etwa sozialpädagogische Familienhilfe bewilligt bekommt, muss oft mehrere Monate auf den ersten Besuch warten, weil die Träger kein Personal zur Verfügung stellen können."