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Wie Castingshows auf Kinder wirken


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Wie Castingshows auf Kinder wirken

In vielen Familien gehört der Donnerstagabend Heidi Klum und der Samstag dem Herrn Bohlen. Denn seit rund zehn Jahren erfreuen sich Castingshows im Fernsehen immer größerer Beliebtheit. Dr. Maya Götz vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) erklärt im Gespräch mit der Eltern-Redaktion von t-online.de, was schon Grundschulkinder so an diesen Shows fasziniert, mit welchen Tricks die Fernsehmacher arbeiten und wie Eltern am besten damit umgehen können.

26.04.2012|Lesedauer: 6 Min.
t-online, Simone Blaß
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"Germany’s Next Topmodel" verändert die Körperwahrnehmung

"Meine Tochter hat mit ihren vierzehn Jahren eine ganz normale Figur, aber wenn sie sich donnerstags immer diese affigen Hungerhaken im Fernsehen ansieht und dann am Freitag plötzlich das Mittagessen ausfallen lassen will, da schrillen bei mir schon sämtliche Alarmglocken." Nicht zu Unrecht, denn abgesehen davon, dass sich inzwischen 63 Prozent der Mädchen zwischen neun und elf Jahren vorstellen könnten, Model zu werden, hat sich auch die Einstellung zum eigenen Körper im Zeitalter der Castingshows verändert - zum Negativen.

Heidi Klum und Dieter Bohlen moderieren die berühmtesten Castingshows im deutschen Fernsehen.Vergrößern des Bildes
Heidi Klum und Dieter Bohlen moderieren die berühmtesten Castingshows im deutschen Fernsehen. (Quelle: imago, dapd)

Denn obwohl knapp 80 Prozent aller weiblichen Jugendlichen normalgewichtig sind, ist die Anzahl derer, die mit ihrer Figur zufrieden sind, seit Beginn von "Germany’s Next Topmodel" von 70 Prozent auf die Hälfte gesunken. Und nicht nur das: "Auch der Blick auf den weiblichen Körper ist", so Maya Götz, "sozusagen professioneller geworden. Das heißt aber auch, dass der Mensch nicht mehr als Ganzes und der normale Mädchenkörper nicht mehr als schön angesehen wird."

Eltern können Einfluss nehmen

Dass sich Eltern aufgrund dessen Sorgen machen, ist klar. Barbara geht es da nicht anders als Tausenden anderen Müttern, die jede Woche mit ihren Töchtern vor dem Fernseher sitzen. Denn "Germanys Next Topmodel", das haben Studien ergeben, ist eine richtige Mutter-Tochter-Kiste.

"Man kann sich als Mutter ja auch ganz klar positionieren", empfiehlt Maya Götz. "Wenn ich meiner Tochter sage, dass ich das nicht gut finde, dass es hier immer nur ums Aussehen geht und dass Model eigentlich gar kein attraktiver Beruf ist, dann nehme ich eine für das Kind oder den Jugendlichen wichtige Gegenposition ein." Grundsätzlich stellen solche Sendungen ein ganz wunderbares Material dar, um sich über Werte zu unterhalten, Grenzen zu klären und sich zu positionieren.

Die Tricks der Fernsehmacher durchschauen lernen

Man kann durch das gemeinsame Sehen von Castingshows auch die Medienkompetenz fördern. Das geht zum Beispiel, indem man spielerisch versucht, zu erkennen, wer der Hoffnungsträger und wer der von Anfang an bestimmte "Loser" ist. Und dabei zum Beispiel die von den Redaktionen verwendeten Musiktricks herauszufinden versucht. "Wenn man das erreicht hat, dann beginnen Kinder und Jugendliche das Ganze schon infrage zu stellen."

Kameraführung, Ton, Schnitt, Einblendungen - die Sender werden immer raffinierter bei der Verwendung von Zuschauer beeinflussenden Elementen. "Es wird auch für uns immer schwieriger, das medienanalytisch zu knacken. Ganze Gruppen von mediengeschulten Menschen fallen darauf regelmäßig herein. Das wird so gezielt und vor allem so professionell gemacht, dass es Otto Normalverbraucher gar nicht mehr gelingen kann, alles zu dechiffrieren."

Vor allem männliche Fans nehmen selten eine kritische Position ein

Erstaunlich ist auf den ersten Blick die hohe Akzeptanz Dieter Bohlens und seiner Art des Kritisierens vor allem bei Jungs. Rund drei Viertel aller Befragten sehen sich die Sendung gerade deswegen an. Sie glauben, der Poptitan spreche ehrlich das aus, was andere sich denken und biete so ein Vorbild dafür, wie man mit Freunden umzugehen habe. Es gefällt ihnen, dass er Grenzen überschreitet. Schließlich tendieren sie selbst ganz gerne dazu.

Eltern haben eine hohe Verantwortung

Auch hier lohnt sich also ein gemeinsamer kritischer Blick. Denn was vermeintlich wie ehrliche Kritik aussieht, ist letztendlich nichts anderes als eine mit schwer durchschaubaren Mechanismen durchgeführte Inszenierung, absichtlich gespickt mit zahlreichen verbalen Ausrutschern. Nicht umsonst wurde Bohlen bereits mehrfach von der Kommission für Jugendmedienschutz kritisiert. In diesem Zusammenhang wurde die Befürchtung geäußert, dass eine Sendung, in der Beleidigungen, Herabwürdigungen und Spott an der Tagesordnung sind, negative Auswirkungen auf ihre junge Zielgruppe habe. Gerade hier liegt die hohe Verantwortung der Eltern. Sie sollten sich kritisch mit dem Format auseinandersetzen. "Verbieten allerdings bringt sicherlich nicht viel, auch übertriebene Sorge ist nicht notwendig, ein gesundes Infragestellen allerdings schon."

Schon in der Grundschule sind Castingshows ein Thema

Doch ob es Eltern gefällt oder nicht, "DSDS" und "Germany’s Next Topmodel" gehören zu den Topthemen auf dem Schulhof. 75 Prozent der regelmäßigen "GNTM"-Seher und 82 Prozent der "DSDS"-Seher unterhalten sich am nächsten Schultag über die Sendung - und zwar nicht nur auf den weiterführenden Schulen, sondern bereits in der Grundschule. Es wird mitgefiebert, gelästert, Schadenfreude empfunden und auch mal fremdgeschämt. Das Verhalten der Kandidaten wird besprochen, man vergleicht, wie man sich selbst verhalten hätte und was man auf keinen Fall tun würde. Dabei werden gemeinsame Werte und geltende Grenzen genauso immer wieder aufs Neue überprüft wie der eigene Status in der Gruppe.

Wer nicht schauen darf, erfindet Ausreden

"Wer nicht mitreden kann, ist ausgeschlossen und fühlt sich auch so", erklärt die Medienwissenschaftlerin. Das kennt auch die Fünftklässlerin Hannah, in deren Familie "DSDS" ihretwegen so manchen Samstagabend füllt: "Ich glaube, die meisten, die es nicht anschauen dürfen, schwindeln. Am Montag kommt ganz oft 'Unser Fernseher ist kaputt' oder 'Ich habe bei einer Freundin übernachtet und die durfte es nicht sehen'." Sie selbst holt sich die Sendungen am nächsten Tag aus dem Netz, wenn sie, so wie bei "Germany’s Next Topmodel", das schon allein aufgrund der späten Sendezeit ein elterliches Veto bekommt.

Jugendliche haben heutzutage Angst vor der Zukunft

"Gerade die sogenannten Pre-Teens fiebern mit, wünschen sich, dass ihr Kandidat die Herausforderung schafft - eine ideale Identifikationsfläche." Nur darum geht es. Sie sehen, da sind junge Menschen in vermeintlich wirklichen Herausforderungen und glauben daran, dass sie hier etwas fürs Leben lernen können. "Man muss diese Castingshows eingebunden sehen in ein gesamtgesellschaftliches Problem", erklärt die Leiterin des IZI, das seit Jahren den Folgen des Medienkonsums für Kinder- und Jugendliche nachgeht. "Die Angaben, die Jugendliche über ihre Zukunftsperspektiven machen, haben sich verändert. Sie streben nach Sicherheit und zunächst sah das nach einer Entwicklung hin zum Konservativen aus. Inzwischen aber wissen wir, unsere Jugendlichen haben Zukunftsangst. Sie haben Angst davor, den sozialen Status ihrer Eltern nicht mehr erreichen zu können. Gleichzeitig hegen sie aber den Traum vom großen Geld."

"Man kann jedes Ziel erreichen"

Da kommen die Shows ins Spiel mit dem Vermitteln von Poesiealbumssprüchen wie "Man muss kämpfen für sein Ziel" oder "Glaub an dich und gib das Beste, dann wirst du deinen Traum verwirklichen". Sie geben Teenagern das Gefühl, hier etwas Sinnvolles für ihren Lebensweg und ihre Entwicklung mitnehmen zu können.

Die Kandidaten verkörpern das, was die Schüler aus ihrem Alltag kennen: das Streben nach einem hohen beruflichen Status, das Sich-Beweisen-Müssen bei Herausforderungen und die ständige Beurteilung durch andere. Sie bieten den jungen Zuschauern die Möglichkeit, Emotionen auszuleben und sozusagen stellvertretend für sie Erfahrungen zu machen. Letztendlich bleibt der Traum, ebenfalls durch eine Show berühmt zu werden.

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Talentshows gab es schon vor sechzig Jahren

Castingshows an sich sind nichts neues. Bereits zu Beginn des Fernsehzeitalters, in den Fünfzigerjahren, gab es Talentwettbewerbe. Der Unterschied: Heute geht es weniger um das Talent an sich, als mehr um die Zurschaustellung der Person, um ihre Interaktion mit den Wettbewerbern und die Auseinandersetzungen mit der Jury. Eine Entwicklung, die nicht nur hinsichtlich der Zuschauer, sondern natürlich auch im Hinblick auf die oft noch sehr jungen Kandidaten fragwürdig ist.

Geplante Kindercastingshow in der Kritik

Dr. Maya Götz hält es in diesem Zusammenhang für ausgesprochen schwierig, dass Dieter Bohlen nun eine Castingshow für Kinder anbieten möchte. "Auch, wenn ich vermute, dass er tatsächlich nicht so hart mit den Kindern umgehen wird: Jahrzehntelang hatten wir es geschafft, die Schönheits- und Talentwettbewerbe mit Kindern, die in den USA gang und gäbe sind, aus unserer Kultur rauszuhalten. Und das ist auch gut so. Es ist wichtig, dass Kindheit nicht nach diesen oberflächlichen Dingen bewertet wird." Auch Alex Völkel von "The Boss Hoss", Coach bei der Castingshow "The Voice of Germany", lehnt DSDS für Kleine ab und äußerte sich gegenüber der "Frankfurter Neuen Presse" ziemlich deutlich: "Erst verdirbt Bohlen die armen Teenager und jetzt sind die Kinder dran. Ich finde das zum Kotzen!"

"Dein Song" könnte als Vorbild fungieren

Es gibt bereits eine Castingshow für junge Musiker, die auf dem Kinderkanal Kika gesendet wird. "Bei 'Dein Song' werden die Ideen der Kinder mit Profis umgesetzt. Das eröffnet Chancen, etwas professionell zu vertonen und in Szene zu setzen. Chancen, die das Kind so sonst nie bekommen würde", so Maya Götz. "Dein Song, deine Idee, dein Gedicht ist etwas wert - die Art, wie hier damit umgegangen wird, ist eine ganz andere. Produktiv und pädagogisch wertvoll." Vielleicht schaut sich der Poptitan, für den Kinder nach eigenen Worten schließlich das Größte seien, ja hier noch etwas ab.

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