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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Intersexualität Geschlecht "ungeklärt" - neue Regelung
Wenn sich das Geschlecht eines Neugeborenen nicht eindeutig bestimmen lässt, muss der Standesbeamte dieses im amtlichen Geburtenregister künftig offen lassen. Das sieht eine Änderung des Personenstandsgesetzes vor, die zum 1. November in Kraft tritt. Die Neuregelung bezieht sich auf Fälle von Intersexualität.
Im Vorfeld war die Regelung wegen ethischer Bedenken äußerst umstritten, eine Lösung zu finden war aus rechtlichen Gründen kompliziert. Mit der Änderung soll der Druck von den Eltern genommen werden, sich unmittelbar nach der Geburt auf ein Geschlecht festzulegen, ohne die weitere Entwicklung des Kindes abwarten zu können. Bislang waren Eltern verpflichtet, innerhalb einer Woche die Geburt ihres Kindes samt Namen und Geschlecht beim Standesamt zu melden. Andernfalls drohte eine Geldstrafe. Die Neuregelung geht auf Anregungen des Deutschen Ethikrats zurück, der Regierung und Parlament in komplizierten ethischen Fragen berät.
Bei Geschlecht muss "ungeklärt" eingetragen werden
Die Möglichkeit, das Geschlecht eines Kindes als "ungeklärt" im Register vermerken zu lassen, bestand dem Ministerium zufolge auch bisher schon. In der Praxis sei diese Option aber nur selten angewandt worden, weil Eltern und Ärzte sich in der Regel auf eine Zuordnung geeinigt hätten. Nun ist es aber verpflichtend, dass diese offen bleibt, wenn sich das Geschlecht nicht zweifelsfrei klären lässt. Es wird dann in der entsprechende Zeile gar nichts vermerkt. Die Betroffenen können dann später jederzeit über ihr Geschlecht entscheiden.
Ethikrat argumentiert mit Persönlichkeitsrecht
Der Ethikrat vertrat in seiner im Februar 2012 veröffentlichten Stellungnahme die Auffassung, dass ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliege, wenn Menschen gezwungen würden, sich im Personenstandsregister als "weiblich" oder "männlich" einzutragen.
Bis heute komme es vor, dass von der typischen Erscheinungsform abweichende Geschlechtsausprägungen als medizinisch behandlungsbedürftig angesehen würden. Die Folge sind geschlechtsangleichende Operationen. "Zahlreiche betroffene Menschen, die in ihrer Kindheit einem 'normalisierenden' Eingriff unterzogen wurden, empfanden ihn später als verstümmelnd und hätten ihm als Erwachsene nie zugestimmt", teilt der Ethikrat mit.
Begriff "Zwitter" wird als diskriminierend empfunden
Bei intersexuellen Menschen sind nicht alle geschlechtsbestimmenden Merkmale wie Chromosomen, Hormone, Keimdrüsen oder äußere Geschlechtsorgane eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Bei ihnen kommen gleichzeitig - vollständig oder teilweise - Geschlechtsmerkmale vor, die sich typischerweise entweder bei Frauen oder bei Männern finden. Vor der Einführung des Begriffs "Intersexuelle" war meist von "Zwittern" die Rede. Diese Bezeichnung kann jedoch diskriminierenden Charakter haben.
Experten schätzen, dass auf etwa 1500 bis 2000 Geburten ein Fall von Intersexualität kommt. Vertreter von Betroffenen schätzen die Zahl höher ein und verweisen unter anderem auf die großen Probleme, das Phänomen physisch wie hormonell klar zu fassen. Intersexuellen-Gruppen fordern seit längerem entschiedenere Maßnahmen, um Betroffene gegen Diskriminierung zu schützen und ihren Status rechtlich wie gesellschaftlich abzusichern.
Intersexualität als eigenständige Kategorie
In mehreren außereuropäischen Ländern wird Intersexualität inzwischen rechtlich als eine eigenständige Kategorie neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht anerkannt. Dazu zählt unter anderem auch Australien. Mit der Neuregelung in Deutschland wird dagegen kein drittes Geschlecht geschaffen, wie das Innenministerium betont. Eine derartige Kategorie lasse sich in das deutsche Rechtsystem aus prinzipiellen Gründen nicht einfügen.