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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hebamme Wenn die Hebamme übermächtig wird
"Stellen Sie sich doch nicht so an" - ein Satz, den schon viele Frauen während der Geburt oder bei den ersten Stillversuch zu hören bekamen. Denn nicht alle Hebammen, Stillberaterinnen oder Kinderkrankenschwestern haben die Gabe, sich in die junge Mutter hineinzuversetzen, Verständnis aufzubringen für ihre besondere Situation. Was Frauen tun sollten, wenn die Chemie zwischen ihr und der Hebamme nicht stimmt.
Natürlich darf jeder mal einen schlechten Tag haben. Aber im Gegensatz zu anderen haben diese Berufsgruppen es mit Menschen zu tun, die sich gerade in einer körperlichen und seelischen Ausnahmesituation befinden und damit extrem sensibel und so auch leicht beeinflussbar sind. Darauf gilt es Rücksicht zu nehmen. Wenn das nicht klappt, darf die Frau sich jederzeit umorientieren und woanders Hilfe suchen.
Von der Hebamme wie als Muttertier behandelt
Menschen, die beruflich mit Schwangeren und jungen Müttern zu tun haben, tragen eine große Verantwortung. Dass sie gelegentlich an ihre Belastungsgrenze geraten, ist ganz normal. Trotzdem ist es das Recht jeder Frau, dass man ihr wertneutral begegnet, ihre Sorgen ernst nimmt, aber dabei auch nicht übertreibt. "Natürlich gibt es auch in unseren Berufsfeldern solche, die ihren Beruf verfehlt haben, die zum Beispiel unter einem Helfersyndrom leiden, das zu einem unguten Verhältnis zur Patientin führt." Wobei das, sagt die Hebamme Roswitha Glimm im Gespräch mit der Elternredaktion von t-online.de, noch die bessere Variante sei. "Schlimmer ist es, wenn eigene Unzulänglichkeiten auf die Hilfesuchenden projiziert werden oder wenn es an Einfühlungsvermögen für die Situation der Schwangeren, Gebärenden oder jungen Mutter fehlt." Zum Beispiel wenn die Frau zum "Muttertier" degradiert wird. "Ich ärgere mich oft über die Verbohrtheit mancher Stillberaterinnen, die ausschließlich babyfreundlich agieren und nicht einsehen wollen, dass babyfreundlich immer verbunden sein muss mit dem Wohl der Mutter."
Jede Familie braucht ihre individuelle Lösung
Dieser Meinung ist auch Christel Fritz, Stillberaterin im Krankenhaus Bad Soden: "Früher sprach man von stillfreundlich, jetzt spricht man von babyfreundlich und irgendwann hoffentlich von familienfreundlichen Krankenhäusern. Wir hier in Bad Soden sehen uns weniger als Entbindungs-, sondern mehr als Bindungsklinik." Schließlich gibt es Frauen, die besondere Bedürfnisse oder auch Probleme haben. Manche können zu viel Nähe nicht aushalten, andere sind einfach geschafft von der Geburt und brauchen Ruhe. "Dann muss man auch beim Stillen individuelle Lösungen finden. Denn nicht nur das Baby soll gedeihen, auch der Frau soll es gut gehen. Wenn eine Stillberaterin das nicht erkennt, hat sie ihre Aufgabe verfehlt."
Vertrauen ist ein wichtiger Faktor bei einer Geburt
Die Bedürfnisse der Frau nicht aus den Augen verlieren, ihre Wunden heilen, ihre Sorgen ernst nehmen - das ist nach Meinung der Expertinnen das A und O für einen guten Start ins Leben des Babys.
Genau dieser gute Start ins Leben wurde ihrem Sohn Adrian von einer Hebamme verwehrt, da ist sich seine Mutter Anita sicher. Sie ist frustriert, wenn sie an die Geburt ihres Großen zurückdenkt: "Ich hatte eine echt nette Hebamme, als ich damals meinen Sohn entbunden habe. Bis zum Schichtwechsel. Dann kam so ein Besen und bei mir ging plötzlich gar nichts mehr weiter", erzählt sie. "Diese Frau hat mir regelrecht Angst gemacht mit ihrem harschen Ton und dem medizinischen Gerede." Die Geburt verzögerte sich, war schließlich alles andere als schön. "Die Schuld dafür gebe ich heute noch der Hebamme. Ich bin überzeugt davon, dass die Geburt mit der Kollegin ganz anders verlaufen wäre und ich sie nicht so fremdbestimmt in Erinnerung hätte."
Mit Angst und Schmerzen von der Hebamme alleine gelassen
Marias Sohn ist bereits über vierzig, aber auch sie erinnert sich noch wie heute an die Geburt: "Stellen Sie sich doch nicht so an, hat die Hebamme zu mir gesagt und mich ohne jeden Trost, ohne jede Erklärung mit diesen unglaublichen Schmerzen alleine gelassen. Mein Mann durfte ja damals nicht mit in den Kreissaal. Wirklich, ich dachte, ich müsste sterben. Es hat lange gedauert, bis ich mich wieder getraut habe, schwanger zu werden."
Dass es früher möglicherweise anders war als heute, dieses Argument lässt Roswitha Glimm nicht gelten. Sie beklagt, dass die Ausbildung heute sehr medizinisch ist und Intuition zu kurz kommt. "Ich höre bei den Nachsorgen viel über mangelnde oder gar fehlende Empathie. Hier spielt aber auch Macht eine Rolle. Manchen Kolleginnen ist nicht einmal bewusst, dass sie durch ihr erzieherisches Verhalten oder Maßregeln, durch das Übersehen von Bedürfnissen das Selbstbewusstsein der Frauen schwächen", erklärt die Geburtshelferin.
Völlig verunsichert über die Babypflege
Im optimalen Fall öffnen sich die Frauen schon vor der Geburt für die Bedürfnisse ihres Kindes. Doch dabei brauchen sie Unterstützung. "Ich fuhr mit dem selbstbewussten Gefühl in die Klinik, dass mein Baby und ich das schon alles meistern werden", erinnert sich Josepha. "Aber heraus kam ich 30 Stunden später als Häufchen Elend. Die Geburt war schon schwierig, aber am schlimmsten war diese Kinderkrankenschwester auf der Station, auf der ich zur Beobachtung über Nacht bleiben sollte. Es schien so als würde sie es mir persönlich übel nehmen, dass ich mit meinem Baby so schnell wie möglich heimwollte. Sie hat mir nichts gezeigt, sondern nur hämisch gemeint, wenn ich nach Hause wolle, dann wüsste ich ja sicher schon wie das alles gehe mit dem Stillen, dem Wickeln und dem Baden. Diese biestige Reaktion hat mich total verunsichert. Nur meiner Nachsorgehebamme ist es zu verdanken, dass ich wieder Vertrauen in mich gefunden habe."
Inkompetenz erkennt man erst im Ernstfall
Nicht jede Hebamme, nicht jede Stillberaterin passt zu jeder Frau. Manchmal merkt man das zu spät. So ging es Simone: "Ich fand sie echt nett während der Schwangerschaft, hatte allerdings auch keine Probleme. Doch dann war das Baby auf der Welt und kaum waren wir zuhause, hat es die ganze Zeit geschrien. Ich war mit den Nerven total am Ende und schon völlig verzweifelt, als die Hebamme endlich kam. Und dann fragt sie mich allen Ernstes, warum das Kind so schreie. Dabei hatte ich den ganzen Tag darauf gehofft, dass sie mir das erklären würde." Eine Freundin hat dann den Kontakt zu einem Hebammenhaus hergestellt: "Die lösten das Problem innerhalb weniger Minuten, indem sie mir mit den richtigen Worten mein Selbstbewusstsein zurückgaben."
Wechseln, wenn die Chemie nicht stimmt
Jede Frau hat das Recht, die Hebamme oder Stillberaterin ohne Angabe von Gründen zu wechseln. Wenn die Chemie nicht stimmt oder die Erwartungen nicht zusammenpassen, sollte man sich eine andere suchen. Der Mut dazu und die Kraft zum Suchen fehlt den Frauen allerdings oft. Deshalb ist es so wichtig, dass werdende Eltern sich im Vorfeld gut informieren, Geburtsvorbereitungskurse besuchen und mit verschiedenen Hebammen reden, um die richtige zu finden und eine Alternative in der Hinterhand zu haben. Oder sich dafür entscheiden, sich auf eine Beleghebamme zu verlassen. "Bei uns ist das ein entscheidender Punkt in den Vorgesprächen. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass es wichtig ist, hier ehrlich zu sein. Und dass es gut ist, sich zum Beispiel im Rahmen von Kursen oder der Akupunktur im Vorfeld kennenzulernen. Es kann nicht jeder mit jedem, das gilt für die Frauen genauso wie für uns", sagt Christel Fritz. Sie selbst allerdings hat die Erfahrung gemacht, dass es oft nur eine Frage der Kommunikation ist: "Wenn ich merke, die Frau fühlt sich von mir nicht verstanden, da steht etwas zwischen uns, dann versuche ich, noch genauer hinzuschauen. Manchmal ist es sicher besser, eine Kollegin zu bitten, sich der Frau anzunehmen."
Wie der Partner helfen kann
Fragen stellen, in Frage stellen - das ist erlaubt. Selbst im Kreissaal ist es gerechtfertigt, sich zu wehren, wenn man sich überrollt fühlt, es zu sagen, wenn man sich nicht sicher fühlt. Diese Aufgabe kann der Partner gut übernehmen. Nach Aussage des Deutschen Hebammenverbandes gehört es zum professionellen Arbeiten dazu, nach einer Alternative zu suchen, wenn die Chemie nicht stimmt, damit die . Geburt nicht negativ zu beeinflusst wird. Wobei es natürlich einen Unterschied macht, ob man in einem großen Krankenhaus entbindet, in dem immer mehr als zwei Hebammen Dienst haben oder in einem ganz kleinen, in dem nicht so schnell eine andere Hebamme einspringen kann.
Allerdings gibt Roswitha Glimm, die selbst in einem eher kleinen Krankenhaus arbeitet, auch zu bedenken, dass gerade die extreme Sensibilität in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett schnell zu Missverständnissen führen kann. Dass ein eigentlich sachliches Gespräch auf der emotionalen Ebene aufgefasst und als verletzend wahrgenommen wird. Eine Chance zur Klärung also sollte man jedem geben.