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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Stillen Jede Mutter kann stillen - aber sie muss es nicht
Besonders während der ersten Schwangerschaft sind die meisten Frauen total auf das konzentriert, was gerade mit ihnen geschieht. Ihr Fokus liegt auf der Geburt. Für die meisten ist klar, dass sie ihr Kind stillen wollen. Rund 90 Prozent aller jungen Mütter stillen tatsächlich ihr Baby in den ersten Tagen nach der Geburt. Drei Monate später hat die Hälfte von ihnen aufgehört. Hätten sie sich besser vorbereiten können oder fehlt es an Unterstützung? Die Stillberaterin Monika Tillmann klärt diese Fragen.
Mutter und Kind müssen das Stillen lernen
Stillen ist in den ersten sechs Wochen auf jeden Fall erst einmal anstrengend und zumindest ungewohnt. Dann aber, wenn es klappt, ist es umso schöner. Mutter und Kind müssen sich erst kennenlernen und für dieses Kennenlernen sollte man sich Zeit lassen, das Kind gut beobachten. "Denn nicht jedes Kind, das unruhig ist und weint, muss sofort an die Brust."
Monika Tillmann ist ausgebildete Kinderkrankenschwester und hat sich vor einigen Jahren nach der Geburt ihrer eigenen Kinder dazu entschieden, als Still- und Laktationsberaterin zu arbeiten. Ehrenamtlich hilft sie Frauen in für sie schwierigen Stillsituationen und bietet so genau die Unterstützung, die in solchen Momenten so dringend gebraucht wird.
Jede Mutter muss den für sich richtigen Weg finden
Schwangere kommen selten auf sie zu. Vor allem dann nicht, wenn es das erste Kind ist. Sie machen sich in der Regel (noch) wenig Gedanken ums Stillen und sehen das ähnlich entspannt wie die hochschwangere Sonja: "Wenn es klappt, dann still ich auch und wenn nicht, dann habe ich ja genügend Alternativen. Ich versuch mich da gar nicht verrückt zu machen oder unter Druck zu setzen. Stillen mag sicher etwas Besonderes sein, aber auch nicht gestillte Babys werden glückliche, gesunde Kinder." Das sieht auch Monika Tillmann so: "Jede Mutter muss den Weg für sich und ihr Kind finden, mit dem sie gut leben kann. Es bringt nichts, sich gegen den eigenen Willen zum Stillen zu zwingen. Mir ist aber wichtig, dass eine Frau, die stillen möchte, auch die entsprechende Unterstützung bekommt. Damit sie sich nicht gezwungen fühlt, aufgeben zu müssen, obwohl sie es gar nicht will."
Die Menge der Muttermilch ist nicht genetisch festgelegt
Werdende und frischgebackene Mütter haben es heutzutage nicht einfach. Abgesehen von der Flut an Informationen, die ihnen das Netz und viele Ratgeber bieten, kommen noch die Ratschläge der anderen Mütter und aus dem familiären Umfeld hinzu. Ein großes Problem der Schwangeren heutzutage ist gerade erst im Begriff, sich ein wenig zu verwischen: Es gab eine Zeit, da wurde das Stillen den Frauen sehr schwer gemacht, die meisten haben nach wenigen Tagen aufgrund mangelnder Unterstützung und Horrormeldungen über Gift in Muttermilch aufgegeben. Viele dieser Frauen sind heute die werdenden Großmütter und ihre schlechten Erfahrungen fließen mit ein.
"Ich höre sehr oft auch von Frauen, dass ihre Mütter nicht genug Milch hatten und sie davon ausgehen, auch nicht genug Milch zu haben. Aber nur die allerwenigsten Frauen haben wirklich zu wenig Milch", erzählt Tillmann. "Oft sind es gerade die älteren, deren Ängste sich schon sehr festgesetzt haben und die innerlich sehr verspannt sind."
Weibliche Urängste werden wach
Letztendlich handelt es sich hier um die weibliche Urangst, das eigene Kind nicht ernähren zu können. "Wenn man sich darauf fixiert, dass es sowieso nicht klappen wird, dann klappt es auch nicht." Schuld ist dann der Stress, den die Frau sich macht. Monika Tillmann vergleicht es mit einer Situation aus dem Reich der Neandertaler: "Wenn der Säbelzahntiger kommt, dann hört die Milch einer stillenden Mutter auf zu fließen, damit sie sich und ihr Kind in Sicherheit bringen kann." Und da die Natur diesbezüglich nicht gerade ein Blitzmerker ist und wir viele archaische Verhaltensweisen noch in unserem Erbgut tragen, ist es unserem Körper egal, ob Säbelzahntiger oder psychischer Druck von außen: der Milchfluss stoppt.
Gesunde Babys haben eine gute Reserve
Mit diesem Wissen im Kopf kann man aber sofort auch erkennen, was eine Frau braucht, damit die Milch gut läuft: Ruhe. Nicht umsonst gibt es die Zeit des Wochenbettes, die Mutter und Kind die Möglichkeit geben soll, sich von der Geburt zu erholen und in eine neue Lebensphase einzutreten. "Jedes Kind ist anders, jede Mutter ist anders - doch beide sind kompetent und ein Kind kommt mit genügend Reserven auf die Welt. Eine Sicherheit, die Mütter oft so nicht vermittelt bekommen. Und natürlich kann zum Beispiel ein Kind, das eine schwierige Geburt hatte, Anlaufschwierigkeiten haben, mehr Zeit brauchen als andere. Ich finde es ganz wichtig, dass die Frauen wissen, dass sie sich auf die Natur verlassen können."
Die BH-Größe sagt nichts über die Milchmenge
Die Befürchtung, zu wenig Milch produzieren zu können, macht vor allem Frauen mit kleinem Busen Angst. Doch hier kann die Stillberaterin beruhigen: "Jede Frau, egal, wie groß oder wie klein ihr Busen ist, hat genügend Brustdrüsen, die die Milch bilden. Und eine zu große, zu volle Brust ist für ein Kind auch nicht immer optimal, da es dann einfach ein bisschen schwieriger ist, den Brusthof zu fassen." Man muss sich nur vor Augen führen, wie klein der Magen eines Neugeborenen ist, dann ist schnell klar, dass es zum Sattbekommen nicht literweise Milch benötigt.
Bloß keine Hysterie ums Stillen
Auch Frauen, die sich Sorgen wegen Schlupf- oder Hohlwarzen machen, können beruhigt werden: Es gibt spezielle Brustwarzenformer, die man schon in der Schwangerschaft tragen kann. "Jede Frau kann stillen, da bin ich sicher. Aber sie braucht die richtige Unterstützung und die richtigen Ansprechpartner. Hier muss man aber auch ein bisschen vorsichtig sein und auf sein Bauchgefühl hören, denn es gibt Fanatiker, die die Kirche, gerade wenn es ums Stillen geht, nicht mehr im Dorf lassen und damit die Frauen zu sehr unter Druck setzen", beklagt Monika Tillmann.
Moderne Männer machen alles richtig
Eine positive Entwicklung sieht die Stillberaterin allerdings bei den Männern: "Ich finde, sie begleiten die Mütter heutzutage wirklich gut und wirken, auch wenn sie selbst noch unsicher sind, beruhigend auf ihre Frauen." Ein großes Plus seien auch babyfreundliche Krankenhäuser und Familienzimmer: "Die Männer erleben so direkt, was die Mütter durchmachen und wie viel Zeit es in Anspruch nimmt, zu stillen. Wenn sie das selbst mitbekommen, dann ist die Verbindung eine ganz andere - als Eltern, aber auch als Paar." Es ist ähnlich wie bei der Geburt: Viele Männer, die denken, sie würden gar nichts machen, machen tatsächlich enorm viel. Sie sind da für ihre Frauen. Und das ist das, was diese in der Anfangsphase mit dem Baby am dringendsten brauchen.