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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wenn die Lust nachlässt "Sexualproblemen sind auch immer Paarprobleme"
Viele wollen es nicht wahrhaben, dass ihre Eltern oder gar Großeltern noch erotisch-sexuelle Wesen sind, die Lust verspüren und diese ausleben. Doch wie verändert sich die eigene Sexualität? Und wodurch wird das Sexualleben beeinflusst? Ein Experte im Interview.
Älterwerden bedeutet nicht nur Einschränkungen und Krankheiten, sondern auch die Veränderung der eigenen Sexualität. Dennoch werden sexuelle Probleme bei Frauen in der Öffentlichkeit nahezu ebenso stark tabuisiert oder ignoriert wie Sexualität im Alter. t-online.de hat mit dem Frauenarzt und Sexualtherapeuten Dr. Gerd Jansen über das Phänomen gesprochen.
t-online.de: Inwieweit verändert sich die eigene Sexualität im Alter?
Dr. med. Gerd Jansen: Sie altert mit. Das ist natürlich und oft weniger problematisch als teilweise behauptet wird. Kritisch ist es erst, wenn die eigene Sexualität abrupt stoppt, beispielsweise durch eine plötzliche Erkrankung oder ein traumatisches Erlebnis. Aber auch soziale und finanzielle Faktoren können zu einer großen Unzufriedenheit mit dem Sexualleben führen. Und auch im Alter ist man nicht vor Kommunikationsproblemen gefeit.
Wichtig ist für die Betroffenen zu wissen, dass es sich bei Sexualproblemen um Paarprobleme handelt – es betrifft fast immer das Paar und sollte dementsprechend angesprochen und bei Bedarf therapiert werden.
Welche Möglichkeiten gibt es, wenn ein Mann oder eine Frau Sex will, aber nicht mehr kann?
Für Männer gibt es viele Behandlungsmethoden. Testosteronpräperate oder PDE-5-Hemmer (zum Beispiel Viagra) sind beispielsweise gängige Arzneien. Für Frauen hingegen gibt es kaum Medikamente, die wirken. Das wird beispielsweise bei dem Wirkstoff Flibanserin deutlich. Er kam in den USA als Lustpille oder auch "Pink Viagra" (addyi) für die Frau auf den Markt.
Wirkt die Lustpille?
Viele Sexualwissenschaftler sind skeptisch. Die weibliche Unlust ist nicht wie eine Krankheit mit einem Medikament behandelbar, sondern hat vielerlei Auslöser. Die Arznei hat die Wirkung eines Anti-Depressivums und ist weniger mit einem Lustbooster zu vergleichen. Das mag für Patientinnen, die depressiv verstimmt sind, sicherlich sinnvoll sein. Betroffene, bei denen die Sexualprobleme jedoch andere Ursachen haben, bekommen eher die Nebenwirkungen wie Übelkeit und Benommenheit zu spüren.
Das heißt, für Frauen gibt es keine Lustpille?
Allgemein gibt es zu wenige Produkte für Frauen, Sexualprobleme hormonell zu behandeln. Sie wirken nicht oder haben starke Nebenwirkungen. Manchmal ist es vorteilhaft, auf pflanzliche Wirkstoffe zu setzen, wie beispielsweise Maca, Ginseng und L-Arginin. Aber auch hier sollte die Behandlung mit beispielsweise Macabido ärztlich betreut werden.
Sollten ältere Patientinnen mit Sexualproblemen ohne Vorgespräch von sich aus Hormonpräparate einnehmen, die beispielsweise die Auswirkungen der Wechseljahre hemmen?
Nein, das wäre unverantwortlich. Erst einmal muss ein Frauenarzt seinen Patientinnen zuhören. Dabei muss er einfühlsam und behutsam vorgehen. Die Betroffene soll von sich aus ihre Probleme schildern. Anschließend erfolgt eine Anamnese. Dadurch kann beispielsweise herauskommen, dass die Sexualprobleme eher durch psychische oder physische Probleme des Partners begründet sind. Und danach richtet sich auch die Behandlung.
Und wenn beide fit und gesund sind?
Dann geht es darum, wie der Patient ein befriedigendes Sexleben definiert. Hierbei spielen unter anderem die Dauer der Beziehung und auch die Häufigkeit und Vorstellung von Geschlechtsverkehr eine Rolle. Für einige ist es schon besorgniserregend, wenn sie anstatt dreimal nur zweimal die Woche Sex haben. Die Beziehungsdauer ist hier ausschlaggebender als das Alter des Paares.
Was Sex ist und wie dieser auszusehen hat, wird dabei häufig auch von der Gesellschaft vorgeschrieben.
In großen Teilen schon. Sie stellt zudem auch die größten Störfaktoren für ein ausgewogenes Sexualleben dar: Stress, Angst, Depressionen. Denn die unmittelbaren Ursachen für Frust im Bett sind Versagensängste sowie eine falsche Selbstbeobachtung oder mangelndes Selbstbewusstsein ("War ich gut?"). Aber auch Konflikte in der eigenen Persönlichkeit und unausgesprochene Paarprobleme, die mit den Jahren immer schwerwiegender werden, sind eine Belastung für eine erfüllte Intimität. Das zeigt ein gängiges Klischee ganz deutlich: Frauen geben Sex für Zärtlichkeit, Männer geben Zärtlichkeit für Sex.
Weil die Öffentlichkeit das Thema Sex im Alter tabuisiert, trauen sich einige Frauen nicht, ihre Probleme bei ihrem Frauenarzt anzusprechen.
Richtig. Zwar ist das Thema in der Sprechstunde prominent. Bei einigen Patientinnen sollten Ärzte proaktiv nachfragen, ob es Probleme beim Geschlechtsverkehr gibt. Beispielsweise wenn eine Scheidentrockenheit diagnostiziert wird. Sie verursacht starke Schmerzen beim Akt – kann allerdings problemlos mit Cremes oder Zäpfchen behandelt werden. Betroffene brauchen sich keine Gedanken machen, denn viele Probleme gehören in der Sprechstunde zur Normalität.
Besonders für Jüngere scheint Sexualität bei Senioren sogar etwas Abstoßendes zu haben.
Viele Frauen und Männer, insbesondere die, die verheiratet oder verpartnert sind, haben noch bis ins hohe Alter ein erfülltes Sexualleben und ausreichend Geschlechtsverkehr. Das ist nichts Ungewöhnliches. Es wird von der Gesellschaft aber als etwas Schlimmes dargestellt. Eine Ursache ist auch das geänderte Verständnis von Sex durch die Pornoindustrie. Die Pornodarsteller sind attraktiv, makellos und haben harten Sex. Dass derartige Praktiken auch Menschen mit faltigen, schlaffen Körpern durchführen, ist für die jüngere Generation kaum vorstellbar – auch wenn Sex im Alter nicht mit aktuellen Pornofilmen vergleichbar ist.
Haben Sie noch einen Tipp für unsere älteren Leser?
Ja. Sie sollten offen mit dem Partner / der Partnerin, Freunden / Freundinnen und vor allem dem Arzt über das Thema sprechen und den eigenen Bedürfnissen folgen. Achten Sie zudem auf eine gesunde Lebensführung und ausgewogene Ernährung. Denn ein schlechter Lebensstil wirkt sich auf alle Bereiche aus – beispielsweise auf die Arterien und somit die Durchblutung der Genitalien. Kurz gesagt: Je kranker der Mensch ist, desto schlechter ist seine Sexualität.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jansen.