Nach tödlichem Unfall in Berlin Was dürfen sich Diplomaten wirklich erlauben?
Am 13. Juni kam es in Berlin zu einem Verkehrsunfall, der seitdem die Gemüter erhitzt und Fragen nach den Sonderrechten von Diplomaten aufwirft.
In Berlin ist ein 55-jähriger Radfahrer bei einem Verkehrsunfall durch einen Diplomatenwagen ums Leben gekommen. Der Verursacher wird vermutlich nicht gerichtlich belangt, denn er ist ein saudi-arabischer Diplomat und genießt Immunschutz. Wir klären auf, welche Sonderrechte ausländische Diplomaten in Deutschland wirklich haben.
Was geschah am 13. Juni 2017 in Berlin-Neukölln?
Am Dienstagabend ist ein 55-jähriger Berliner Radfahrer auf dem Weg nach Hause. Auf der Hermannstraße in Neukölln reißt ein Autofahrer, der im absoluten Halteverbot steht, plötzlich die Fahrertür auf. Der Radfahrer kann nicht mehr bremsen und stürzt. Er trägt laut Polizeiangaben keinen Fahrradhelm und wird mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Dort verstirbt er am Mittwochmittag.
Warum sorgt der Fall so für Empörung?
Der Unfallverursacher ist ein saudischer Botschaftsangehöriger. Ihm droht keine Strafverfolgung, weil ihn sein Diplomatenstatus schützt. „Wenn ein Diplomat tatverdächtig ist, dann gibt es keine strafrechtliche Verfolgung und keine Zwangsmaßnahmen“, sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin im Frühstücksfernsehen am 15. Juni.
Das liegt daran, dass Diplomaten nach internationalem Recht Immunität genießen und damit nicht der Strafverfolgung der einzelnen Länder unterliegen. Jedem anderen Verkehrsteilnehmer droht dagegen eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung und eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren. Immer wieder kommt es in Berlin zu Vorfällen mit Diplomatenwagen. Meist handelt es sich um Zuparken von Feuerwehrzufahrten, Ignorieren von Strafzetteln oder rücksichtslose Geschwindigkeitsüberschreitungen.
Was bedeutet der Status der Immunität für Diplomaten?
Manche Diplomaten nutzen ihre Immunität aus, obwohl diese nicht als Privileg verstanden werden soll. Die Idee hinter dem Diplomatenrecht, das von der UNO entwickelt wurde und am 24. April 1964 im „Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen“ (WÜD) in Kraft trat, ist eigentlich der Schutz vor staatlicher Willkür. Diplomaten genießen diesen Schutz, um nicht aus politischen Gründen belangt werden zu können, zum Beispiel in Diktaturen. Das Abkommen regelt auf 22 Seiten den diplomatischen Verkehr und ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, den derzeit (Stand Juni 2017) 190 Staaten unterzeichnet haben.
Welche Sonderrechte haben die Diplomaten?
- Diplomaten in Deutschland genießen Immunität und unterstehen nicht der deutschen Strafjustiz.
- Diplomaten dürfen weder festgehalten noch verhaftet werden.
- Es gibt keine Verpflichtung, als Zeugen auszusagen.
- Dies gilt auch für Familienmitglieder.
- Durchsuchungen und Beschlagnahmungen der Wohnung sind nicht erlaubt.
- Vermögen der Diplomaten sind unantastbar.
- Diplomaten sind von allen staatlichen, regionalen und kommunalen Steuern befreit.
Wann wird die Immuninät aufgehoben?
- Grundsätzlich müssen sich alle Diplomaten an die Gesetze halten.
- Der Entsendestaat (hier Saudi-Arabien) kann durch eine ausdrückliche Erklärung die Immunität aufheben.
- Die deutsche Regierung kann die Aufhebung der Immunität in schweren Fällen beantragen (bei strafrechtlich relevanten Verdachtsmomenten wie Körperverletzung, Unfallflucht oder Trunkenheitsfahrten, Tötung) oder die Abberufung des Diplomaten fordern.
- Die Betroffenen werden dann zur „Persona non grata“ erklärt und können im Heimatland belangt werden.
Polizei und Staatsanwaltschaft sind beim aktuellen Berliner Fall noch die Hände gebunden. Das Auswärtige Amt hat wegen der besonderen Schwere von Saudi-Arabien inzwischen eine Stellungnahme verlangt. Erst wenn diese vorliegt und die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, können rechtliche Schritte gegen das Botschaftsmitglied eingeleitet werden. Bislang hat die saudische Botschaft lediglich ihr Bedauern ausgedrückt. Inzwischen werden Stimmen aus der Politik laut, das Gesetz zumindest im Bereich der Verkehrsdelikte zu überdenken.
Die Fakten zu Ordnungswidrigkeiten von Diplomaten 2016:
- 22.816 Bußgelder werden im Land Berlin von Diplomaten ausgelöst und am Ende nicht bezahlt (meist wegen Falschparken und zu hoher Geschwindigkeit).
- Die Staatsanwaltschaft muss regelmäßig die Verfahren einstellen.
- China, Russland und Saudi-Arabien stehen als Verkehrssünder an der Spitze.
- Zum Teil zahlen die Botschaften freiwillige Entschädigungen an die Betroffenen.