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Marco Koch: Ohne Mamas Ausdauer wäre er kein Spitzensportler


Schwimm-Weltmeister Marco Koch
"Wie viel die Familie geopfert hat, wird einem erst später bewusst"

dpa, Marc Zeilhofer, Christian Kunz

Aktualisiert am 23.08.2016Lesedauer: 5 Min.
Schwimmweltmeister Marco Koch im Darmstädter Nordbad.Vergrößern des Bildes
Schwimmweltmeister Marco Koch im Darmstädter Nordbad. (Quelle: dpa)
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Brustschwimmer Marco Koch gehört zur Weltspitze. Ohne die Unterstützung seiner alleinerziehenden Mutter hätte er das niemals geschafft. Sein Sport kämpft auch mit Image-Problemen, die sogar gefährliche Folgen haben: Weniger Kinder lernen schwimmen, die Zahl der Badeunfälle steigt.

Der 26-jährige Marco Koch ist Weltmeister über 200 Meter Brust. Bei den Olympischen Spielen in Rio galt er als Medaillen-Kandidat, landete aber nur auf Platz sieben; immerhin als bester Deutscher. Sein Weg nach ganz oben war alles andere als leicht und vorgezeichnet, sondern oft mühsam. Gerade deshalb lohnt ein genauerer Blick in Kochs Welt, um eine scheinbar paradoxe Situation des Schwimmens in Deutschland begreifbarer zu machen:

Eine der reichsten Nationen will einerseits zu den führenden Olympia-Ländern gehören. Gleichzeitig lernen weniger Kinder schwimmen. Und die Zahl der Badeunfälle steigt seit Jahren - trotz der rund 2500 Schwimmvereine in Deutschland.

Mama Koch fuhr 40.000 Kilometer im Jahr zum Training

Ohne familiäre Hilfe – menschliche und finanzielle – wäre der Weg vieler hoffnungsvoller Nachwuchsschwimmer schnell zu Ende. Marco Kochs alleinerziehende Mutter fuhr ihren Sohn aus dem Odenwald 40.000 Kilometer pro Jahr nach Darmstadt zum Training. Auch die harten Trainingszeiten lange vor dem Frühstück einer Normalfamilie, schreckten die beiden nicht ab.

Unterhalt habe der Vater nicht gezahlt, erzählt Koch. Erst später zog die Familie um. "Wie viel sie geopfert hat, wird einem erst Jahre später richtig bewusst", sagt Koch. Sein enges Umfeld bedeutet ihm viel. Er weiß, was er den wichtigsten Menschen dort zu verdanken hat.

Die Mutter muss ihn heute nicht mehr fahren, stattdessen achtet sie mit auf seine Ernährung. Seine Freundin Reeva ist selbst aktive Schwimmerin, startet für den Verein DSW 1912 Darmstadt bei deutschen Meisterschaften über Freistilstrecken. Nebenbei kümmert sie sich um Marcos Facebook-Auftritt. Einen Manager hat und braucht Koch nicht - eine Ausnahme selbst unter weit weniger erfolgreichen Sportlern.

Körperbau wie ein Pinguin

Dass Sport-Ass Koch beim Training in einem öffentlichen Schwimmbad in Darmstadt fast unbehelligt bleibt, hat Gründe. Einerseits sind Schwimmer hierzulande schon lange keine Promis mehr wie einst Franziska van Almsick (38). Und dann ist da die Optik: Wenn Schwimmbadbesucher Koch in Badehose sehen, kommt ihnen nicht sofort der Gedanke, den wohl weltbesten Brustschwimmer vor sich zu haben.

Andere Schwimmer wirken athletischer, die Muskulatur ist definierter. Koch hat einen weichen, fast fließenden Körperbau, der Uneingeweihten nicht austrainiert erscheinen mag. "Eine Art Pinguinform, sehr weiche Haut, sehr außergewöhnlich, kein Schwabbel", erläutert Trainer Alexander Kreisel, der Koch seit 14 Jahren betreut. Diese Körperkondition verhilft Koch aber unter Wasser zum besten Gleiten überhaupt.

Optimale Körpereigenschaften sind aber nur das eine: Bis zum potenziellen Olympiasieger musste Kreisels Schüler mehrere zehntausend Trainingskilometer im Wasser zurücklegen.

Leistungssport ist für viele Kinder nicht mehr attraktiv

Und darin liegt ein Hauptproblem, wenn es um Nachwuchsmangel geht. Nicht nur für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV), sondern auch für weite Teile des Spitzensports hierzulande. Für viele Kids ist der klassische Wettkampf nach intensiver Vorbereitung weder sexy noch zeitgemäß.

Abgesehen vom lukrativen Profifußball wird Leistungssport kaum noch als finanziell oder wenigstens ideell lohnend wahrgenommen. Das macht sich sowohl bei Nachwuchstalenten als auch bei Trainern bemerkbar. Die Zahlen qualifizierter Trainer als Hochschulabsolventen sind rückläufig. Kochs langjähriger Trainer Alexander Kreisel sagt: "Wenn meine Frau nicht arbeiten würde, könnte ich den Job auch nicht machen, um meine Familie zu ernähren. Das allein würde nicht reichen."

Turbo-Abitur bremst junge Leistungssportler

Kochs Weg in die Weltelite war geprägt vom familiären Einsatz. In der Regel entwickelt sich der Aufstieg in die Spitze in Deutschland zum Spagat zwischen Ausbildung und Sport. Wobei die vielerorts verkürzte Schulzeit Teil des Problems wurde. Bei acht statt neun Jahren bis zum Abitur - da ist schon von Schülern ohne hohes Trainingspensum für eine Sportlerkarriere Einsatz gefragt. Wenn die Jungs und Mädchen regelmäßig trainieren wollen, bedarf es anderer Lösungen: Die hoffnungsvollsten Schwimmtalente stammen meist aus den bundesweit 43 Eliteschulen des Sports.

So etwa der 17-jährige Johannes Hintze. Er ist der jüngste deutsche Olympia-Schwimmer seit rund 40 Jahren und lobt seine Schule in Potsdam in den höchsten Tönen. "Ich profitiere davon, dass sich der Abiturzeitraum über vier Jahre streckt und dass Lehrer mit ins Trainingslager geschickt werden können", sagt Hintze.

Über die 400 Meter Lagen startete bei Olympia in Rio neben Hintze auch der 21-jährige Jacob Heidtmann. Der WM-Fünfte machte sein Abitur im Hamburger Sportinternat. Teils über 70 Stunden pro Woche muss der Nachwuchs in Schule und Leistungssport investieren - da steigen einige aus.

Heute kann Koch vom Schwimmen leben

Koch ist Fernstudent der Wirtschaftspsychologie und kann inzwischen vom Schwimmen leben. "Momentan komme ich ganz gut zurecht", sagt Koch. Anders als andere deutsche Schwimmer bestreitet er viele Wettkämpfe, so auch fast alle der lukrativen Weltcup-Stationen. Pro Rennen gibt es ein paar Tausend Euro zu verdienen, die gesamte Serie ist mit einer Million Euro dotiert. Im Geld baden kann Koch aber nicht: "Es ist jetzt nicht so, dass ich mit 30 Jahren sage, fein, jetzt spiele ich nur noch Golf."

Franziska van Almsick gewann 1992 als 14-Jährige ihre erste von insgesamt zehn Olympia-Medaillen. Für das Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Sporthilfe kann Geld nicht alleinige Motivation sein. "Vielleicht gibt es im Moment die Tendenz, dass viele viel erreichen wollen, aber ohne großen Aufwand. Und schinden wollen sie sich auch nicht. Das Leben soll ja schließlich Spaß machen. Was das Gesellschaftspolitische angeht, da haben wir noch ganz viel Arbeit vor uns", sagt die zweifache Mutter.

Franziska van Almsick: Schwimmunterricht politisch einfordern

Bei aller Diskussion um Nachwuchskonzepte, Motivation oder den gesellschaftlichen Stellenwert: Schwimmen ist eine Sportart, die im Alltag über Leben und Tod entscheiden kann. 2015 ertranken nach Angaben der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) mindestens 488 Menschen, deutlich mehr als im Vorjahr. Das war der höchste Stand seit neun Jahren. Unter den Badetoten: 25 Kinder. Jedes zweite Kind, das die Grundschule verlässt, könne nicht schwimmen, warnt die DLRG.

Nicht nur für Franziska van Almsick besteht dringender Handlungsbedarf: "Man muss es in naher Zukunft politisch einfordern, Schwimmunterricht wieder fest in den Schulsport zu integrieren. Schwimmen ist lebensrettend. Wer nicht schwimmen kann, kann ertrinken", sagt sie. Neben van Almsicks Stiftung kümmert sich nun auch der Schwimm-Verband darum, wieder mehr Familien mit Kindern fürs Schwimmen zu begeistern.

Weltmeister Marco Koch guckt gerne hin, wenn auf der Bahn neben ihm Darmstädter Schulklassen das Einmaleins des Schwimmens lernen: "Das macht mich glücklich, dass es hier in Darmstadt zumindest noch halbwegs funktioniert."

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