Sekte "Zwölf Stämme" Ein Aussteiger berichtet
Aufgefallen sind die "Zwölf Stämme" den Behörden erst, als es zum Schulstreit kam. Die religiöse Gemeinschaft weigerte sich, ihre Kinder in die staatliche Schule zu schicken. Schließlich habe Gott den Familien die Kinder gegeben und nicht dem Staat, so ihr Argument. Auch religiöse Privatschulen kommen für sie nicht infrage. Genauso wenig wie die vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen. Doch bei aller Religionsfreiheit, hier handeln die "Zwölf Stämme" gegen das Grundgesetz.
Heute weiß man, dass die bibeltreue Gemeinschaft das Buch der Bücher sehr streng auslegt. Einer der Grundsätze lautet: "Die Kinder gehören Gott und von ihm erhalten die Eltern den Erziehungsauftrag". Ein anderer: "Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in die Zucht."
Geschlagen wird mit einer Rute, nie mit der Hand
Die Gemeinschaft, die in den siebziger Jahren in den USA entstand, hat weltweit inzwischen 2500 Mitglieder, darunter etwa 1500 Kinder. Alle werden geschlagen, manchmal mehrmals täglich. Mit einer Rute, nicht mit der Hand, das ist den Mitgliedern der "Zwölf Stämme" wichtig. Lieben sie doch ihre Kinder - solange sie gehorsam sind.
Das Leben der Kinder bei den "Zwölf Stämmen" ist alles andere als kindgerecht. Aussteiger berichten immer wieder davon, dass zum Beispiel das Spielen genauso verboten ist wie das Lachen oder Herumalbern, im Gegensatz zur Kinderarbeit. In einem sogenannten Teaching heißt es: "Wir müssen unsere Kinder darin unterweisen, nichts zu erbitten, weder Essen noch Dinge, die sie gerne machen wollen."
"Intelligente Frauen machen nur Probleme"
Das Unterrichten fällt unter die Pflicht der Eltern, beziehungsweise der Gemeinschaft. Auch in der dortigen Schule sind Prügel an der Tagesordnung. Und nicht nur das. Robert Pleyer, der lange Jahre bei den "Zwölf Stämmen" als Lehrer tätig war, berichtet, dass die Gemeindemitglieder nicht möchten, dass vor allem ihre Mädchen zu viel lernen. "Intelligente Frauen machen nur Probleme", so das Fazit.
Er und andere Aussteiger klagen an, dass die Gemeinschaft der "Zwölf Stämme" die Kinder geistig und emotional unfähig machen würden, jemals in ihrem Leben eigene Entscheidungen zu treffen. Umso schwerer ist es, auszusteigen. Pleyer aber ist es gelungen.
Aussteiger klagen an
Mit knapp zwanzig stieß Pleyer zu den "Zwölf Stämmen". Was als Sinnsuche begann, wurde irgendwann zum Martyrium. Seine Versuche, sich gegen die Regeln der Gemeinschaft aufzulehnen oder gar ganz davon wegzukommen, wurden immer wieder hart bestraft. Demütigungen waren an der Tagesordnung. Vor rund drei Jahren ist Robert Pleyer geflüchtet, gemeinsam mit den vier Kindern. Ohne seine Frau, die bei den "Zwölf Stämmen" aufgewachsen und damit komplett dort verwurzelt ist. Die kleinste Tochter war damals noch ein Säugling. Heute ist sie das einzige der Kinder, das unbeschwert aufwachsen darf. Ohne Prügel, spielend, singend und lachend.
Kinder mit der Weidenrute geschlagen
"Ich schäme mich dafür, was ich in meinen eigenen Kindern zerstört habe. Wenn ich heute daran denke, wie ich meine Kinder immer wieder mit der Weidenrute geschlagen haben, verzweifele ich an mir selbst", beschreibt Pleyer in seinem Buch "Der Satan schläft nie". Er hat es für seine Kinder geschrieben, damit sie später ungeschönt nachlesen können, was sie erlebt haben und vor allem warum. "Ich kann mein damaliges Handeln durch nichts rechtfertigen, aber ich muss mich akzeptieren. Nur wenn ich mich selbst annehme und nicht verdränge, was ich getan habe, kann ich meinen Kindern helfen, über die Zeit bei den 'Zwölf Stämmen' hinauszukommen."
t-online.de hat den Aussteiger Robert Pleyer getroffen und mit ihm über die Auswirkungen des religiösen Fanatismus der "Zwölf Stämme" gerade auf die Kinder der Gemeinschaft gesprochen. Das Interview finden Sie hier.