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Pennsylvania: Atomkraftwerk soll für KI wieder in Betrieb gehen


Unfall-AKW soll wieder ans Netz
"Es ist ein Pakt mit dem Teufel"

Von afp, t-online, lma

Aktualisiert am 06.12.2024Lesedauer: 4 Min.
Atomingenieur im Reaktor zwei.Vergrößern des Bildes
Atomingenieur im Reaktor zwei. (Quelle: Courtesy Everett Collection/imago-images-bilder)
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In Pennsylvania trieb ein Reaktorunfall rund 200.000 Menschen in die Flucht. Jetzt, rund 45 Jahre nach dem Unfall, soll das Kraftwerk wieder ans Netz gehen.

Der maßlose Energiehunger von Künstlicher Intelligenz (KI) lässt nahe der Kleinstadt Middletown im US-Bundesstaat Pennsylvania einen Industriekoloss wiederauferstehen, der auf eine unrühmliche Geschichte zurückblickt: Das Atomkraftwerk Three Mile Island (TMI) wird wieder in Betrieb genommen, weil der Microsoft-Konzern dringend Strom benötigt. Das AKW war 1979 Schauplatz des schwerwiegendsten Atomunfalls in der Geschichte der USA. Und während die einen den wirtschaftlichen Segen der Atom-Renaissance für die Region feiern, sind viele Anwohner besorgt.

Der Vorsitzende des Bau- und Konstruktionsgewerkschaftsrats von Pennsylvania, kurz BCTC, Robert Bair, sieht in der Atomkraft eine hervorragende Energiequelle, wie er der französischen Nachrichtenagentur AFP sagte. Überall im Land würden Kohle-Kraftwerke abgeschaltet, und Gas als Energieträger sei unter Beschuss, sagt Bair. "Man braucht Grundlaststrom. Und die Kernkraft ist wahrscheinlich die effizienteste Grundlastquelle, die wir haben." Die Wiederinbetriebnahme von Reaktor 1 werde ganz Pennsylvania zugutekommen. Bair rechnet mit der Schaffung von 3.400 Arbeitsplätzen und drei Milliarden Dollar (2,86 Milliarden Euro) an Steuereinnahmen für die umliegenden Gemeinden.

Atomunfall machte Schlagzeilen

Der Atomunfall im Kraftwerk Three Mile Island auf der gleichnamigen Flussinsel nahe Middletown und Harrisburg machte vor 45 Jahren weltweit Schlagzeilen. Am 28. März 1979 kam es in Reaktor 2 zu einer partiellen Kernschmelze, bei der radioaktive Gase austraten.

Zeitweise bestand die Furcht vor einer Atomkatastrophe beispielloser Dimension, die am Ende ausblieb. Das Schlimmste, das Bersten des Reaktorbehälters, konnte verhindert werden. Der Störfall führte zu einer Verschärfung der Auflagen für die Kraftwerksbetreiber. Während der Unglücksreaktor 2 in den Jahren danach zurückgebaut wurde, konnte Reaktor 1 sechs Jahre nach dem Unglück wieder ans Netz gehen. 2019 wurde auch dieser heruntergefahren, weil die Anlage seit Jahren nicht mehr wirtschaftlich rentabel war.

Laut der NGO Greenpeace geriet bei dem Reaktorunfall verseuchtes Wasser in den Susquehanna-Fluss, in dem Three Mile Island liegt. Der Auslöser des Störfalls soll ein Zusammenspiel aus technischen Fehlern und menschlichem Fehlverhalten gewesen sein.

36 Stunden nach der Teilschmelze hatte der Katastrophenschutz die Menschen in einem zehn Meilen (16 Kilometer) Radius aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben, wie Greenpeace schrieb. Zwei Tage nach dem Vorfall wurden dann 3.500 Kinder und alle schwangeren Frauen in einem Umkreis von fünf Meilen (acht Kilometer) evakuiert. Rund 200.000 Menschen ergriffen selbstständig die Flucht. Der Unfall führte zu Massenprotesten mit teils über 100.000 Menschen, die gegen Atomkraft demonstrierten.

"Ein guter Nachbar für die Gemeinde"

Die KI-Revolution und der Wettkampf von Internet-Giganten wie Microsoft um die Weiterentwicklung der generativen KI läuten ein neues Kapitel in der Geschichte von Three Mile Island ein. Generative KI-Systeme wie Chatbots, Bildgeneratoren oder Sprachmodelle sind extrem stromhungrig, die Rechenzentren der Konzerne verzeichnen einen gigantischen Energiebedarf. Im September unterzeichnete der TMI-Betreiber Constellation Energy einen Vertrag mit Microsoft, dem größten Anteilseigner des KI-Pioniers OpenAI. Ab 2028 wird der Konzern für 20 Jahre exklusiv Strom aus dem dann wieder aktivierten Reaktorblock 1 beziehen können.

Bart Shellenhamer von der Gemeinde Londonderry, zu der Three Mile Island gehört, sagte, die Anlage sei seit seiner Inbetriebnahme 1974 "ein guter Nachbar für die Gemeinde Londonderry und für ihre Umgebung gewesen".

Für andere ist der Schrecken des Frühjahrs 1979 nicht vergessen. "Die meisten Anwohner wollen, dass die Anlage geschlossen bleibt", sagt Matthew Canzoneri vom Stadtrat in Goldsboro, der Gemeinde auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses Susquehanna. "Die dort erzeugte Energie bringt den Gemeinden direkt keinen Nutzen, und angesichts der Geschichte des Kraftwerks gibt es definitiv Grund zur Sorge."

"Ich habe viele Klassenkameraden verloren"

Noch heute werfen Anwohner den Behörden vor, den Vorfall damals heruntergespielt zu haben. Manche Studien belegen, dass in den Jahren nach dem Störfall die Rate an Lungen-, Schilddrüsen- und Blutkrebs in der Region überdurchschnittlich hoch war. Keine dieser Studien stellte allerdings einen direkten Zusammenhang zu dem Unfall her.

Die Anwohnerin Maria Frisby war 1979 noch ein Teenager. Sie hält die Wiedereröffnung der Anlage für keine gute Idee, die partielle Kernschmelze in Three Mile Island sei viel schlimmer gewesen, als die Behörden damals zugegeben hätten. "Ich habe viele Klassenkameraden durch verschiedene Krebserkrankungen verloren, die in ihren 50ern starben", sagt die 60-Jährige. Der Zusammenhang mit dem Unfall steht für sie außer Frage.

"Es ist ein Pakt mit dem Teufel"

Gewerkschaftschef Bair verweist darauf, dass zwischen Reaktorblock 1 und 2 unterschieden werden müsse. Block 1 sei jahrelang die effizienteste Anlage des Landes gewesen. Das Kraftwerk hatte eine Kapazität von 837 Megawatt, genügend für die Versorgung von mehr als 800.000 Haushalten.

Eric Epstein von der gemeinnützigen Organisation EFMR, welche die von TMI ausgehende Strahlung überwacht, weist auf das ungelöste Atommüll-Problem hin. Der Betreiber will die abgebrannten Brennelemente weiterhin auf der Insel lagern. "Es ist ein Pakt mit dem Teufel", sagt Epstein. "Man bekommt Strom für einen Moment und radioaktive Abfälle für immer."

Verwendete Quellen
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