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Klima-Kolumne: Wie der Frosch im Kochtopf


Wie unser Gehirn uns schützen will
Wie der Frosch im Kochtopf

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 20.09.2024 - 08:59 UhrLesedauer: 5 Min.
Meinung
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Hochwasser in PolenVergrößern des Bildes
Hochwasserschäden (Archivbild): An vielen Orten in Polen haben die Menschen weder Wasser noch Strom. (Quelle: Michal Meissner/PAP/dpa/dpa-bilder)

Vier Hochwasser in einem Jahr und dennoch ist Klimaschutz aktuell kaum Thema. Oder: gerade deswegen? Wie das Gehirn des Menschen ihn vor Problemen schützt und sie gleichzeitig verschlimmert – und wie es sich dennoch überlisten lässt.

In dieser Woche hat Deutschland schon das vierte Hochwasser in diesem Jahr erlebt, und ich merke, auch ich stumpfe ab. Statt detaillierter Newsticker lese ich vor allem Überschriften. Doch auch wenn es dieses Mal Deutschland nicht so schlimm getroffen hat wie unsere Nachbarländer im Osten – normal ist das nicht.

Ich selbst beschäftige mich jeden Tag mit der Klimakrise und den Lösungen, aber ich merke: Es ist schwerer, mit diesen Themen durchzudringen. Trotz der vielen Extremwetter vor der eigenen Haustür scheint sich kaum jemand für Klimaschutz zu interessieren.

Auch in den Wahlkämpfen für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg war die Klimakrise kaum Thema. Dabei waren laut einer Umfrage des Umweltbundesamts in den vergangenen 10 Jahren fast 80 Prozent der Kommunen bereits von Extremwettern betroffen.

Nur zwölf Prozent der Städte und Gemeinden haben ein Konzept, um sich an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Die Schäden fallen entsprechend hoch aus. Im Bund sind aufgrund des Haushaltsstreits der Ampelregierung gleichzeitig drastische Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds von 4 Milliarden Euro vorgesehen. An diesem Freitag findet zwar wieder einmal ein Klimastreik statt, doch die Proteste sind kaum noch wahrzunehmen.

Die Verdrängung gefährdet unsere Lebensgrundlage

Wie kann das sein? Die Erklärung dafür ist enttäuschend banal: Wir Menschen sind sehr gut im Verdrängen. Zu verdrängen ist erst mal normal und grundsätzlich sogar gesund. Das Leben ist oft so vollgestopft, der Alltag so schnelllebig, die Krisen sind so vielfältig, dass oft keine Zeit ist, jede Information zu hinterfragen und einzuordnen.

Das Gehirn gewichtet daher, was relevant ist und was irrelevant, ohne dass den meisten das bewusst wird. Dinge, mit denen sie nicht ständig konfrontiert sind, die sie zu komplex und außerhalb ihres eigenen Handlungsspielraumes erscheinen, werden ausgeblendet. Der Mensch würde wohl durchdrehen, wenn er nicht so wäre.

In Bezug auf die Klimakrise hat die Verdrängung jedoch gesellschaftlich und individuell ein solches Ausmaß, dass sie die Menschheit und ihre Lebensgrundlagen gefährdet. Wie das Gehirn uns in der Klimakrise austrickst, habe ich schon mal hier beschrieben. Aber es gibt noch viele weitere Ursachen.

Schleichende Veränderungen verkennen

"Shifting baselines" nennt sich dieses Phänomen der kollektiven Wahrnehmungsverschiebung, übersetzt: verschobene Grund- oder Messlinie. Der Begriff stammt aus der Umweltforschung. Die Definition, was zum Beispiel ein "normaler" Fischbestand ist, verschiebt sich demnach von einer Generation zur nächsten. Denn wie die Situation vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten war, wissen nachfolgende Generationen nicht, zumindest nicht aus eigener Erfahrung. Es gibt oft zwar Aufzeichnungen, aber selbst bei denen legen Forschende demnach immer wieder neue Maßstäbe und Bezugsgrößen fest.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Wenn es darum geht, wie Veränderungen und Normalität wahrgenommen werden, vertraut der Mensch vor allem eigenen Erfahrungen und tendiert daher dazu, Warnungen abzutun, weil er eine andere Realität erlebt.

Ich dachte jahrelang, meine Großmutter würde übertreiben, wenn sie sich Sorgen machte wegen der zunehmenden Waldbrände und Überschwemmungen in der Welt. Weil ich die Schlagzeilen ja kannte, seit ich klein war. Sie und ich hatten unterschiedliche Erfahrungen – und daher eine andere Wahrnehmung, was normal ist. Forschende der ETH Zürich haben herausgefunden, dass Kinder, die nach Frühjahr 2012 geboren sind, in ihrem Leben nicht einen Tag erlebt haben, in dem das Wetter nicht durch den menschengemachten Klimawandel beeinflusst war. Für sie ist etwas ganz anderes normal als für ihre Eltern oder Großeltern.

Informationen verdrängen, die unserem Verhalten widersprechen

Ich habe es oft erlebt, dass jemand in einem Gespräch die Klimakrise anspricht und auf einmal herrscht betretenes Schweigen. Das passiert, wenn uns Widersprüche bewusst werden. Etwa weil wir wissen, dass die Klimakrise bedrohlich ist, wir uns aber nicht konsequent klimafreundlich verhalten.

So kommt eine unangenehme Spannung auf, die wir abbauen wollen. Wer sich überfordert fühlt oder nicht in der Lage sieht, ein Problem zu ändern, verändert stattdessen oft die eigene Einstellung zum Problem. Im Fall der Klimakrise bedeutet das etwa, nicht so genau hinzusehen, nichts dazu zu sagen oder sich einzureden, dass es schon nicht so schlimm werde. Oder dass es so schlimm ist, dass sich ohnehin nichts mehr dagegen tun lässt.

Video | Dauerregen führt zu ersten Hochwassern in Tschechien
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Quelle: dpa

Da es heute nicht möglich ist, komplett klimafreundlich zu leben, sind wir ständig mit dieser sogenannten kognitiven Dissonanz konfrontiert, also mit der Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln. Daher ist es nachvollziehbar, dass viele schweigen, wenn jemand das Thema anspricht. Die ständige Spannung auszuhalten, ist schwierig.

Deswegen nicht hinzuschauen ist aber auch keine Lösung, denn dafür ist die Lage viel zu akut. Bis die Politik eine Infrastruktur geschaffen hat, die klimaneutrales Leben möglich macht, ist die wichtigste Aufgabe, genau das von ihr zu fordern.

Zu optimistisch denken

Viele Menschen überschätzen die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen gute Dinge passieren werden. Das nennt sich "Optimism Bias" und ist auch erst mal kein großes Problem. Es macht das Leben sogar einfacher, wenn wir uns nicht ständig Gedanken darüber machen, was uns alles Negatives zustoßen könnte. Wir nehmen oft an, dass es vor allem die anderen trifft, sei es nun Scheidungen, Krankheit, Unfälle – oder eben die Folgen der Klimakrise.

Problematisch wird es, wenn dieser Bias dazu führt, Gesundheitsrisiken einzugehen, etwa indem man raucht, sich schlecht ernährt, nicht gegen tödliche Krankheiten impfen lässt oder: machbare und notwendige Maßnahmen im Klimaschutz unterlässt und verschleppt, weil man das unerschütterliche Vertrauen darauf hat, dass schon alles gut gehen wird.

Schlimmes aus Hilflosigkeit verdrängen

Wenn wir immer wieder negative Berichte lesen, hören oder sehen, die zwar das Problem, aber keine Handlungsalternativen aufzeigen, führt das zu einem Gefühl der Hilflosigkeit. Wir resignieren und werden passiv, anstatt die Probleme anzupacken. "Erlernte Hilflosigkeit" nennt sich das Phänomen. Negative Erfahrungen können demnach zur Überzeugung führen, nichts an einer Situation ändern zu können.

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit sei ein Massenphänomen, sagt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, und betont, wie wichtig es daher sei, im Journalismus konstruktive Lösungen aufzuzeigen. Mitentscheidend dafür, ob jemand aktiv wird und versucht, Probleme anzugehen, sei einerseits das Wissen um Alternativen und andererseits die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, etwas beeinflussen und verändern zu können.

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Video | Talsperre läuft unkontrolliert über
Talsperre Dobra in Niederösterreich läuft unkontrolliert über.
Quelle: Glomex

Hier setzen auch neuere Ansätze in der Klimakommunikation an. Jahrelang war versucht worden, mithilfe des Konzepts des CO2-Fußabdrucks ein Problembewusstsein zu schaffen. Zum Handeln motivierte das viele nicht. Auch weil sich das Gefühl der kognitiven Dissonanz, wie beschrieben, oft leichter überwinden lässt, indem man seine Einstellung ändert, anstatt das Problem zu lösen.

Weil es bequemer ist

Es ist leichter, über die auch im strömenden Regen zur Arbeit radelnde Kollegin den Kopf zu schütteln, als das selbst zu tun oder mit Bus oder Bahn zu fahren, statt mit dem Auto. Wenn es denn überhaupt eine Verbindung gibt. Es ist bequemer, sich über den Freund mit dem Veggi-Burger lustig zu machen, statt selbst die eigene Ernährung umzustellen. Es ist leichter, Witze über Klimaaktivistinnnen zu machen, statt selbst aktiv zu werden.

Mittlerweile will Klimakommunikation vor allem das Bewusstsein für Lösungen fördern und zum Handeln motivieren. Weg vom Fußabdruck, hin zum Handabdruck, also zum Handeln. Weg von Angst, Scham und Überforderung, hin zu Lösungsbewusstsein und Selbstwirksamkeit.

In ihrer Aufklärungskampagne "Das kannst du tun" zeigt etwa die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) Lösungen auf: "Die gute Nachricht: Engagement ist das Gegengift zu Angst und Ohnmacht! Wenn wir aktiv werden, fühlen wir uns besser", heißt es auf ihrer Internetseite. Dort wird auch beschrieben, wie man das für sich passende Feld findet, um selbst loszulegen. Ziel ist es, den eigenen Handabdruck größer zu machen als den eigenen Fußabdruck. Warum das tatsächlich etwas bringt, habe ich schon mal in einer Kolumne beschrieben. Und auch wenn ich mir mittlerweile nicht mehr jeden Tag die schlimmsten Nachrichten anschaue, zu den Lösungen arbeite ich weiter. Aufgeben ist keine Option.

Verwendete Quellen
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