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Nord Stream 2: Jahrelange Lobbyarbeit bei Michael Kretschmer


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Jahrelange Lobbyarbeit
Die Nord-Stream-Mails an Michael Kretschmer


Aktualisiert am 04.03.2024Lesedauer: 6 Min.
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU): Er ist bis heute ein Befürworter von Gaslieferungen aus Russland. Die Nord Stream 2 AG suchte immer wieder den Kontakt. (Quelle: Sven Sonntag/imago-images-bilder)

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer verteidigte Nord Stream 2 beharrlich. Bis heute hofft er auf Gaslieferungen aus Russland. Nun belegt Schriftverkehr die Lobbyarbeit der staatlichen russischen Gashändler.

Staatliche russische Energiekonzerne haben jahrelang bei Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lobbyiert. Das geht aus Dokumenten der Staatskanzlei hervor, die t-online vorliegen. Demnach schickte vor allem die Nord Stream 2 AG immer wieder Informationen zum gegenwärtigen Stand des Gasmarkts, des Pipelinebaus und der drohenden Sanktionen. Ein persönliches Treffen mit Gazprom-Chef Alexej Miller kam allerdings entgegen anderslautender Pläne der Staatskanzlei nicht zustande.

Wie mit den Schreiben in Sachsen verfahren wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Das Sächsische Transparenzgesetz lässt – im Unterschied zu Informationsfreiheitsgesetzen anderer Bundesländer – nicht zu, interne Kommunikation offenzulegen. Einige Passagen sind deswegen geschwärzt.

So ist unklar, ob die Korrespondenz eine Wirkung bei Kretschmer erzielte, der über Jahre für die Abschaffung der Russlandsanktionen und die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 eintrat. Trotzdem erlauben die nun vorliegenden Dokumente einen Einblick in die Bemühungen der Konzerne, Einfluss auf die sächsische Regierungsarbeit zu nehmen.

Der Brief von Gazprom

Alles begann 2018, etwa ein halbes Jahr nach Amtsantritt des damals neuen Ministerpräsidenten, als ein an Kretschmer persönlich adressiertes Schreiben von Gazprom in der sächsischen Staatskanzlei einging, in dem das Unternehmen auf die vermeintliche Verlässlichkeit seines Tochterunternehmens Gazprom Export als Lieferant hinwies.

Die Gazprom-Tochter erlangte später nach Beginn des Ukraine-Krieges Bekanntheit, als Russland versuchte, ihre Gesellschaftsanteile an Gazprom Germania in ein Briefkastenunternehmen zu verschieben. So wollte sie Gazprom Germania dem Zugriff durch den deutschen Staat entziehen, wie t-online exklusiv berichtete. Das Manöver wurde eilig vom Bundeswirtschaftsministerium vereitelt.

Im Juni 2018 bedankte sich Gazprom bei Kretschmer für seine Unterstützung der damals im Bau befindlichen Eugal-Pipeline, die mittlerweile durch Sachsen führt und für den Transport russischen Erdgases von Mecklenburg-Vorpommern bis in die Tschechische Republik geplant wurde.

Der "rechtzeitige Erhalt aller notwendigen Genehmigungen und Zulassungen" sei eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Realisierung von Infrastrukturprojekten, heißt es im Schreiben, weswegen Gazprom freundlich Kretschmers weitere Unterstützung erbitte. Jede Verzögerung könne die Entwicklung des deutschen Energiemarkts gefährden.

Etwa ein Jahr später forderte Michael Kretschmer die Abschaffung der aufgrund der Krim-Annexion verhängten Sanktionen gegen Russland, als er nach St. Petersburg flog und Kremlchef Wladimir Putin beim dortigen Wirtschaftsforum traf.

Die Mails der Nord Stream 2 AG

Im April 2020 nahm dann die Überzeugungsarbeit der Nord Stream 2 AG Fahrt auf. Damals sahen sich das Unternehmen und ihre Auftragnehmer wachsendem Druck aus den USA ausgesetzt. Mit Sanktionen wollten US-Senatoren und die Regierung in Washington den Weiterbau der Pipeline verhindern, da sie die Energiesicherheit Europas gefährdet sahen. Während viele europäische Staaten diese Auffassung teilten, hielt Deutschland eisern an dem Projekt fest.

Nord Stream 2 stärke laut einem Gutachten die Versorgungssicherheit, heißt es in der E-Mail, die Kretschmer zuging. "Befürchtungen, dass die Pipeline die Sicherheit der Gasversorgung und die Marktpreisbildung in anderen Ländern (...) beeinträchtigen könnte, sind unbegründet." Vor allem in den kommenden Monaten, in denen parallel auch starke Lobbyarbeit in Mecklenburg-Vorpommern betrieben wurde, gingen weitere Schreiben ein.

Im Mai 2020 klärte die Nord Stream 2 AG die Staatskanzlei über die vermeintliche "amerikanische LNG-Diplomatie" auf, die auf eine "Energiedominanz" der USA abziele. "US-Sanktionen gegen für Nord Stream 2 arbeitende Verlegeschiffe (...) sind ein Element dieser Politik", heißt es. Auch die Änderung der EU-Gasrichtlinie sei "in diskriminierender Weise gegen Nord Stream 2 ausgerichtet" – während Polen durch die neue Baltic Pipeline und ein LNG-Terminal in Swinemünde zum Netto-Importeur für seine Nachbarländer werde.

"Angriff auf europäische Souveränität"

Eine Woche später legte Nord Stream 2 nach und Wert auf die Feststellung, dass die damals recht günstigen Preise für LNG nach der Corona-Pandemie wieder ansteigen würden. "Die EU befindet sich in der glücklichen Lage, über Pipeline-Verbindungen zu Förderländern wie Russland und Norwegen zu verfügen."

Als schließlich im Juni 2020 weitere und schärfere Sanktionen der USA drohten, versuchte die Gazprom-Tochter ihre Unterstützer zu mobilisieren. "Mögliche Gegner des Gesetzesvorstoßes, vor allem aus den Reihen der Demokraten im Repräsentantenhaus, aber auch EU-Institutionen" müssten nun "auf die drastischen politischen und wirtschaftlichen Folgen dieses Angriffs auf europäische Souveränität hingewiesen werden".

Die Folgen der Sanktionen aus Sicht der Gazprom-Tochter: "massive wirtschaftliche Schäden durch höhere Energiekosten und gestrandete Vermögenswerte" sowie mögliche Versorgungsengpässe in Europa – und das, obwohl die Pipeline Nord Stream 1 zum damaligen Zeitpunkt nicht ausgelastet war.

"Deutliche Signale in die USA und nach Brüssel"

Trotzdem heißt es in dem Schreiben, es sei eine "angemessene, schnelle und proportionale Reaktion der EU" erforderlich, um die europäische Souveränität zu verteidigen. "Wir bitten Sie, vor allem Ihre Kontakte in den USA und in Brüssel direkt auf diese drastischen politischen Folgen einer erneuten Sanktionierung eines europäischen Energieprojekts hinzuweisen."

Kretschmer sagte Tage später dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: Nord Stream 2 basiere auf einem Abkommen "mit der Supermacht Russland" und massiven Investitionen. "Spielchen mit Russland verbieten sich. Und wir brauchen Gas und damit Nord Stream 2." Kurz darauf folgte die nächste E-Mail an den Ministerpräsidenten.

Mit der Umsetzung der Sanktionen "würden die Investitionen von europäischen Unternehmen in Nord Stream 2 ebenso wie Milliardeninvestitionen für Anbindungsleitungen z. B. in Deutschland oder Tschechien komplett infrage gestellt", schrieb die Gazprom-Tochter nun. Offenbar solle ein Wettbewerber für "teures LNG-Gas aus den USA" ausgeschaltet werden. Der erneute Appell: "Aufgrund der besonderen Auswirkungen von geplanten Sanktionen auf die deutsche Wirtschaft ist es unabdingbar, deutliche Signale in die USA und nach Brüssel zu senden."

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An dieser Stelle ist interne Kommunikation der sächsischen Staatskanzlei in den Dokumenten geschwärzt.

Nawalny und eine Umfrage

Vier Wochen später, als im Juli 2020 neue US-Sanktionen beschlossen wurden, eskalierte auch die Nord Stream 2 AG den Ton in ihren Schreiben. Erneut ist an dieser Stelle interne Kommunikation geschwärzt. Von einem erneuten "Angriff auf die Energiesicherheit Europas" war nun die Rede. "Jetzt ist es an der Zeit, dass sich Brüssel und Berlin unmissverständlich gegen die US-Drohungen aussprechen und sich schützend vor die an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen stellen."

Tatsächlich tat Ministerpräsident Kretschmer genau das wenig später: Als ab August die Affäre um die Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny aufkam, trat er Forderungen, den Bau der Gas-Pipeline zu beenden, entschieden entgegen. "Das ist ein völlig falscher Schritt", sagte er Anfang September der ARD. Zunächst müsse das Attentat aufgeklärt werden. Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach da bereits von Indizien, die auf einen Mordanschlag auf Nawalny durch Russland deuteten.

Als die Aufklärung einen entscheidenden Fortschritt machte und die Bundesregierung am 14. September mitteilte, der Giftstoff sei als Nowitschok identifiziert worden, erhielt Kretschmer am selben Tag von der Nord Stream 2 AG die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage: 60 Prozent der Deutschen befürworteten demnach den Bau der Pipeline. Es folgten kurz später mehrere Statements von Kretschmer zu Nord Stream 2.

Treffen mit Gazprom gescheitert

Dass Außenminister Maas "so durchdreht, ist kein gutes Zeichnen für dieses Land", sagte er beim CDU-Landesparteitag in Thüringen. Nord Stream 2 müsse weitergebaut werden. Am Rande der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin sagte er: "[Die Pipeline] ist für uns wirtschaftlich notwendig, es ist aber auch notwendig, dass wir zusammenbleiben mit Russland." Man könne den Konflikt nicht immer weiter eskalieren.

Um den Dialog zu suchen, wollte Kretschmer im Dezember 2020 nach Russland reisen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Reise schließlich auf April 2021 verschoben. Kretschmer sprach dort Wladimir Putin – die Staatskanzlei hatte sich aber auch in Gesprächen über einen weiteren besonderen Termin befunden: mit dem Gazprom-Vorstandsvorsitzenden Alexej Miller.

"Direkte Abstimmungen laufen. VNG hat mit dem Protokoll von Herrn Miller Kontakt aufgenommen", heißt es in den E-Mails der Staatskanzlei. Ein gemeinsames Frühstück wurde angepeilt. Zustande kam es letztlich nicht. "Es hat kein Treffen oder Gespräch mit Herrn Miller stattgefunden", teilt die Staatskanzlei dazu heute mit.

Bei seiner Haltung blieb Kretschmer auch so. Nach seiner Reise sprach er von Nord Stream 2 als gemeinsamem Projekt mit Russland, das "ein starkes Signal" sende. Zwei Wochen vor Kriegsbeginn sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die Pipeline werde von "den Amerikanern torpediert". Man müsse einerseits die US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen sehen, andererseits, "dass wir von russischem Gas abhängig sind". Auch heute plädiert Kretschmer dafür, Nord Stream 1 zu reparieren, um wieder Gas aus Russland importieren zu können.

Update, 3.3.2024: In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Schreiben 2018 stamme von Gazprom Export. Tatsächlich stammte es von Gazprom.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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