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"Es ging nicht mehr"
Warum viele Hebammen ihren Beruf aufgeben


Aktualisiert am 20.05.2019Lesedauer: 6 Min.
Hebamme gesucht: Viele Schwangere verzweifeln auf ihrer Suche nach einer Hebamme.Vergrößern des Bildes
Hebamme gesucht: Viele Schwangere verzweifeln auf ihrer Suche nach einer Hebamme. (Quelle: BirgitKorber/getty-images-bilder)

Sie alle sind sich einig: Der Beruf der Hebamme bringt spannende Erfahrungen, ist intensiv und abwechslungsreich. Ein Traumberuf. Und doch haben diese Frauen ihn aufgegeben. Die Arbeitsbedingungen waren zu belastend.

"Es ging jetzt einfach nicht mehr." Annette Seitz ist wütend, die Arbeit im Kreißsaal und die Nachsorge im Wochenbett werden ihr fehlen. Die 50-Jährige aus dem Saarland hat nach 25 Jahren ihren Beruf als Hebamme aufgegeben. Ihren Beruf, den sie eigentlich liebt.

Ein Grund für den Ausstieg waren die Bedingungen, unter denen Hebammen heutzutage arbeiten müssen. "Die Entlohnung ist mittlerweile nur ein Witz. Keine Hebamme kann davon wirklich entspannt leben, wenn man mal bedenkt, was für eine Verantwortung wir haben", sagt Seitz. Dafür sei die Arbeitsbelastung enorm. In den vergangenen sieben Jahren war Annette Seitz in einer Klinik angestellt. In Deutschland gibt es keine Vorgaben, wie viele Hebammen in einem Kreißsaal arbeiten müssen, das liegt in der Hand der Kliniken. Seitz musste teilweise fünf Frauen parallel betreuen. Alleine oder mit einer unerfahrenen Hebammenschülerin.

"Das ist ein Personalschlüssel, der echt Angst macht", sagt sie. "Ich konnte und wolle das nicht mehr verantworten." Ständig wurden Hebammen durch die hohe Belastung krank, immer wieder fehlte jemand. "Ich wurde jede Woche mindestens dreimal angerufen und gefragt, ob ich nicht einspringen kann – heute Nacht oder morgen früh. Das war reiner Psychoterror."

Mehr Hebammen, aber viele arbeiten in Teilzeit

In Deutschland herrscht Hebammenmangel. Zwar ist die Zahl der Hebammen und Entbindungspfleger seit den vergangenen zehn Jahren sogar etwas angestiegen, von 9.947 im Jahr 2007 auf 11.233 in 2017. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der Geburten hierzulande erhöht. Rund 785.000 Babys kamen 2017 auf die Welt; zehn Jahre zuvor waren es 100.000 Babys weniger. Zusätzlich wächst der Anteil der Hebammen, die in Teilzeit arbeiten, immer weiter an (siehe Grafik). Die Hebammen reduzieren ihre Stunden auch aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Belastung.

Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes, sagt, dass eine Hebamme in einer Klinik im europäischen Ausland im Jahr etwa 30 bis 40 Geburten betreut. Hierzulande seien es hingegen 90. "Und ich kenne auch Kliniken, da sind es 160 Geburten." Das hat natürlich Auswirkungen auf die Hebammen: "Sie erzählen mir, dass es sie kaputt macht, so viele Frauen gleichzeitig betreuen müssen. Sie haben das Gefühl, keiner gerecht zu werden. Sie haben Angst, dass sie etwas übersehen. Sie haben Angst, dass etwas Schlimmes passiert. Und wenn sie nach Hause gehen, haben sie Angst, dass sie etwas vergessen haben." Die Schwangeren und jungen Mütter nehmen zudem viel mehr Leistungen in Anspruch als früher. Eine Hebamme kann somit viel weniger Frauen betreuen, weil die Zeit fehlt. Das verstärkt den Hebammenmangel in der Geburtsvorbereitung und Nachsorge.

Hebammen können sich Haftpflichtversicherung nicht mehr leisten

Weniger Betreuungen bedeutet in der Freiberuflichkeit auch weniger Geld. Das weiß auch Hebamme Annette Seitz aus Erfahrung. "Ich bin von der Freiberuflichkeit in die Festanstellung gewechselt, weil ich mir meinen Job nicht mehr leisten konnte", sagt sie. Es war der klassische Fall: Die Kosten für die Haftpflichtversicherung wurden der Saarländerin irgendwann zu hoch. Sie steigen jedes Jahr, weil auch die Ausgaben der Versicherer für schwere Geburtsschäden zunehmen – was unter anderem an der steigenden Lebenserwartung liegt, aber auch daran, dass Kassen häufiger Regress fordern.

"Als ich als Hebamme angefangen habe, lag die Haftplichtprämie bei 100 oder 200 D-Mark pro Jahr. Mittlerweile sind wir bei über 8.000 Euro angelangt." Das muss man auch erst einmal verdienen. "Ich habe mich wie im Hamsterrad gefühlt, musste unglaublich viel arbeiten", sagt Seitz. Darunter litt ihr Privatleben. Seitz sei während ihrer Freiberuflichkeit auf jeder Party die letzte gewesen, die kam und die erste, die ging – wenn sie überhaupt da war. "Das ist eigentlich ein ganz familienfeindlicher Job", sagt sie. Ihre erste Ehe sei mitunter deswegen zerbrochen.

Vor etwa drei Jahren wurde der sogenannten Sicherstellungszuschlag eingeführt, um Hebammen bei der Haftpflichtversicherung zu unterstützen: Die Krankenkassen zahlen einen Großteil der Prämie an die Hebammen zurück. In Vorkasse müssen diese trotzdem treten und einen hohen bürokratischen Aufwand für die Rückzahlung leisten – welche sie meist erst viele Monate später erhalten.

Wie viele Hebammen aus der Geburtshilfe aussteigen
Zahlen dazu, wie viele Hebammen jährlich die Geburtshilfe oder ihren Beruf komplett aufgeben, gibt es nicht. Laut einer Studie des IGES-Institut haben von 2008 bis 2010 rund 25 Prozent der freiberuflich tätigen Hebamme mit Geburtshilfe diese aufgegeben. Eine Studie von 2018 aus dem gleichen Institut kam zu dem Ergebnis, dass in Bayern eine von vier freiberuflichen Hebammen über einen Berufsausstieg nachdenkt.

Ein toller und intensiver Beruf

Trotz allem findet Annette Seitz den Hebammenberuf großartig: "Es ist so etwas Intensives. Obwohl ich die Frauen ja manchmal vor der Entbindung gar nicht kennengelernt habe, kommt man dennoch sehr schnell zu einem ganz tiefen Moment und das ist einfach schön. Das hat man, glaube ich, in keinem anderen Beruf." Seitz mag es, sich schnell auf die unterschiedlichen Situationen einzustellen: "Auch wenn die Frau meine Sprache nicht spricht, auch wenn sie gerade völlig bockig ist, weil sie Schmerzen hat."

Für die Berliner Hebamme Simone Logar ist es ebenfalls etwas Tolles, dem Moment beiwohnen zu dürfen, in dem ein neues Leben beginnt. Aber auch sie muss wegen der Höhe der Haftpflichtversicherung darauf verzichten. Vor sieben Jahren entschied sie sich dazu, statt der Geburtshilfe nur die anderen Tätigkeiten einer Hebamme anzubieten: Vorsorge, Schwangerschaftskurse, Stillberatung, Rückbildungskurse und Co. Auch damit hatte die 36-Jährige viel zu tun – "aber ich konnte es mir besser einteilen". Heute hat sie auch diese Arbeit aufgegeben.

2017 wurde sie selbst Mutter, schloss ihre Hebammenpraxis. Mit Kind möchte sie nicht mehr Vollzeit arbeiten, sie in Teilzeit zu führen sei finanziell aber nicht möglich. "Dass ich sie aufgebe, ist multifaktoriell. Es liegt zu einem großen Teil am Finanziellen", sagt Logar, "aber die Work-Life-Balance spielt natürlich auch mit rein. Ich möchte so arbeiten, dass ich mit meiner Arbeit zufrieden bin und noch etwas von meiner Familie habe. Und das Ganze nicht für einen Stundenlohn von drei Euro."

Was der Hebammenmangel für Schwangere bedeutet
Schwangere müssen sich weit vor der zwölften Schwangerschaftswoche um eine Hebamme kümmern – in manchen Regionen am besten, sobald sie von ihrer Schwangerschaft wissen. Simone Logar hat zudem ihre eigene Schwangerschaft so geplant, dass sie nicht in den Sommer- oder Weihnachtsferien gebiert. Und genau das empfiehlt sie allen Frauen. "Ich wusste, dass ich in den Sommerferien nicht die Betreuung erhalten würde, die ich gerne hätte." Viele Hebammen gehen in den Ferienzeiten in den Urlaub, so kann es selbst in besser versorgten Städten zu Engpässen kommen.

Es ist schwierig, freiberuflich in Teilzeit als Hebamme zu arbeiten

Stattdessen arbeitet sie nun in Teilzeit für den Berliner Hebammenverband; sie ist Zweite Vorsitzende. Dort setzt sie sich natürlich auch für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Hebammen ein, fordert neue Arbeitsmodelle. Modelle, die auch Hebammen in ihrer Situation helfen würden. "Ich wäre zum Beispiel eigentlich gut dafür geeignet, Urlaubsvertretungen für andere Hebammen zu machen – die in der Regel wirklich schwer zu finden sind. Das wäre aber nur möglich, wenn ich dafür eine finanzielle Unterstützung bei der Haftpflichtversicherung bekommen würde."

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Denn auch in Teilzeit müsste sie den gleichen Betrag zahlen wie Hebammen, die in Vollzeit arbeiten. "Dieses Gefühl, von außen so beschnitten zu werden, das ist nicht schön. Selbst wenn ich gerne wieder als Hebamme arbeiten möchte, kann ich es mir eigentlich nicht leisten."

Würde sie Interessierten überhaupt noch raten, Hebamme zu werden? "Es fällt mir tatsächlich schwer, und das ist ziemlich dramatisch, weil das ein so toller Beruf ist", sagt Simone Logar. "Als Berufspolitikerin sage ich: Macht das, wir brauchen Nachwuchs. Aber wenn sie mich fragen würden, 'Würden Sie es Ihrem eigenen Kind empfehlen?', dann sähe die Antwort anders aus." Es sei ein spannender Beruf, der aber momentan in der Krise stecke. "Man muss wirklich genau wissen, dass man das machen möchte und ob man bereit ist, die schlechten Bedingungen hinzunehmen oder für bessere zu kämpfen."

Viele Kreißsäle müssen wegen Personalmangel schließen

Gekämpft haben auch viele Kliniken in den vergangenen Jahren, um ihre Kreißsäle weiterhin zu betreiben. Aber der Mangel an Hebammen führt mitunter dazu, dass viele von ihnen geschlossen werden. Während es 1991 laut dem Deutschen Hebammenverband 1.186 Kliniken mit Geburtshilfe gab, waren es 2017 noch 672 Kliniken. Demnach schließt seitdem beinahe jeden Monat ein Kreißsaal ganz oder zumindest vorübergehend.

In Aichach in Bayern etwa wurde die Geburtshilfe Ende des vergangenen Jahres geschlossen. Zwei Hebammen, die dort viele Jahre lang gearbeitet hatten, entschlossen sich dazu, zu kündigen. "Diese Entscheidung ist uns extrem schwer gefallen, aber wir arbeiten seit Monaten am Limit, haben teilweise zu dritt den Stationsbetrieb am Laufen gehalten. Wir fühlen uns am Rande unserer Kräfte, was sich mittlerweile auch gesundheitlich auswirkt", werden sie in einer Pressemitteilung des zuständigen Landratsamts zitiert. In Bad Toelz musste die Geburtshilfe schließen, da kein neuer Belegarzt gefunden wurde und Geld fehlte. Von den neun Hebammen, die dort gearbeitet haben, sind nur zwei der Geburtshilfe treu geblieben. Die anderen haben frustriert aufgehört.

Annette Seitz hat im April dem Hebammenberuf den Rücken gekehrt. Sie kümmert sich nun rund um die Uhr um den kranken Sohn ihres Mannes. "Womit wir beim nächsten Problem unserer Gesellschaft sind: dem Pflegenotstand. Wir finden einfach keine Kräfte, die uns hier zuhause unterstützen, weil wir unser Kind nicht in eine Einrichtung geben können und wollen", sagt sie. Das zehre natürlich auch an den Nerven. Eigentlich habe sie immer gehofft, zumindest eine Viertelstelle als Hebamme in einer Klinik weiterhin übernehmen zu können, weil sie ihren Beruf so mag. "Aber unter diesen Arbeitsumständen bin ich lieber zuhause."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
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