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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unklare Corona-Zahlen Wann hat der statistische Blindflug ein Ende?
Die letzten verlässlichen Corona-Daten gab es laut RKI vor Weihnachten. Dass sie angesichts der Omikron-Ausbreitung die Realität abbilden, bezweifeln Experten. Dabei würde es Lösungen geben.
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland wird seit Beginn der Krise täglich durchgegeben. Aktuell gibt es laut Robert Koch-Institut (RKI) 58.912 neue Corona-Fälle (Stand 5. Januar 2022). Die daraus ermittelte Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 258,6.
Aber diese Werte spiegeln nicht wider, was Deutschland aktuell erlebt. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) musste darauf hinweisen, dass seinen tagesbezogenen Angaben nicht zu trauen ist.
RKI: Corona-Lage nur unvollständig abgebildet
Seit Tagen heißt es, dass die Daten zum Infektionsgeschehen derzeit nicht zuverlässig seien. Wegen der Feiertage ließen sich weniger Menschen testen und leiteten nicht alle Gesundheitsämter ihre Daten weiter, erklärte das RKI.
Doch nicht nur gerade verzerren weniger Tests und Meldungen zwischen den Jahren das Bild. Im Grunde haben wir seit Monaten keine belastbaren Daten über den aktuellen Infektionsstand in Deutschland.
Hat Omikron Delta schon abgelöst? Wir wissen es nicht
Die Gesundheitsämter sind chronisch überlastet. Einige Bundesländer wie etwa Sachsen haben bereits Ende des Jahres 2021 die Kontaktpersonennachverfolgung ausgesetzt, um neue Infektionsfälle erfassen zu können. Das erklärte Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, im Interview mit t-online.
Auch die Labore arbeiten schon lange am Limit – wegen Delta. Nun kommt die hochansteckende Omikron-Variante hinzu und erschwert die Situation. Experten meinen, dass Omikron Delta in wenigen Tagen bis Wochen als vorherrschende Variante ablösen wird. Wir wissen aufgrund der Datenlücke nicht, ob das eventuell sogar schon passiert ist.
Denn: Deutschland untersucht viel zu wenige Corona-Proben auf Varianten. Andere Länder wie Dänemark oder Großbritannien, wo Omikron bereits vorherrschend ist, konnten die Ausbreitung deutlich besser verfolgen. Dort wurde schon zu Beginn der Pandemie auf eine großflächige Sequenzierung gesetzt, um Varianten aufzuspüren. Jede zehnte Probe wird seither untersucht.
In Deutschland hingegen wurde bis Mitte 2021 nur jede Tausendste positive Corona-Probe sequenziert. Dieser große Unterschied hat sich mittlerweile zwar verringert, dennoch hinkt Deutschland bei der Sequenzierung hinterher.
Warum wird nicht mehr getan?
"Je mehr Sequenzierungen wir haben, umso besser wird auch die Beurteilung der Lage", bestätigte der Virologe Jörg Timm vom Universitätsklinikum Düsseldorf im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Vor allem drei Gründe aber sorgen dafür, dass das nicht passiert: Eine Sequenzierung kostet um die 200 Euro und ist sehr zeitaufwendig. Und in Zeiten des Personalmangels ohnehin nicht stemmbar.
Für die Labore selbst ist die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur derzeit am wichtigsten. "Weil die Omikron-Variante bekanntermaßen deutlich ansteckender als die bisherigen Varianten ist und sich noch schneller im ganzen Land ausbreitet, ist gerade im jetzigen Verlauf der Pandemie ganz besonders darauf zu achten, dass wir alle weiterhin die Corona-Regeln einhalten", sagte Prof. Dr. Jan Kramer, Facharzt für Laboratoriumsmedizin.
Zwar scheine Omikron bei Geimpften eher zu milderen Verläufen zu führen, jedoch erkrankten auch in den Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen – [...] auch in den Laboren – immer mehr Mitarbeiter und fielen dann für mehrere Tage aus. Für die Aufrechterhaltung der Laborarbeit könne das problematisch werden.
Experte: Das könnte für mehr Durchblick sorgen
Eine Aufstockung des Personals wäre also vor allem in den Ämtern und Laboren nötig, um die sich anbahnende Omikron-Welle nachzuverfolgen. Denn solange wir den Anteil der Variante nicht kennen, solange lässt sich Experten zufolge auch nicht ihr tatsächlicher Einfluss auf das Pandemiegeschehen beurteilen.
Prof. Helmut Küchenhoff, Statistiker von der Ludwig-Maximilians-Universität München, spricht sich daher für eine Aufschlüsselung der Inzidenzen nach Virusvarianten aus. "Hätte man eine Auflösung nach Varianten und wüsste, das ist die Steigerungsrate von Omikron, das ist die Steigerungsrate von Delta, würde man klarer sehen", erklärte er im Deutschlandfunk. Es sei "eine vernünftige Strategie, sich das getrennt anzuschauen".
Der bereits bekannte Knackpunkt: Für Deutschland liegen diese Daten nicht vor.
Küchenhoff zufolge könnten zudem die Zahlen zu den Impfdurchbrüchen in Krankenhäusern dabei helfen, Omikron besser zu beurteilen. Diese Daten wiederum sollten eigentlich gemeldet werden, sind aber in Deutschland unvollständig.
Hospitalisierungsrate weiterhin belastbar
Der Experte empfiehlt demnach, auf die Zahl der Corona-Krankenhauseinweisungen zu schauen: "Wir sind der Meinung, dass der Hospitalisierungsindikator wichtiger wird bei Omikron, weil man bei Omikron die Unsicherheit hat, dass man nicht weiß, wie schwer die Verläufe sind im Vergleich zu der Inzidenz", sagte Küchenhoff im Deutschlandfunk. Die Hospitalisierungsinzidenz sei nicht von einer Dunkelziffer betroffen und bilde die Belastung für das Gesundheitssystem und die Bevölkerung ab.
Zurück aber zur Realität: Auch die Hospitalisierungsrate bietet keinen Echtzeit-Blick, sondern nur eine Richtung. Sie hinkt wegen der Art, wie sie erfasst wird, und der langen Meldewege teilweise um Wochen hinterher.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Recherche
- Robert Koch-Institut (RKI)
- Pressemitteilung der ALM Labore vom 4. Januar 2022
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP
- RND: "Corona-Sequenzierung: Was machen andere Länder besser als Deutschland?", 27. Dezember 2021
- Deutschlandfunk: "Corona-Infektionszahlen Droht ein Blindflug in der Omikron-Welle?", 4. Januar 2022