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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Notarzt zur Corona-Welle "Wir sehen tagtäglich schwer kranke Covid-Patienten"
Die vierte Corona-Welle rollt über Deutschland, die Zahl der freien Intensivbetten schwindet. Ein Notfallmediziner berichtet im Interview, wie ernst die Lage ist und was jeder bei einem Notfall wissen sollte.
Wegen der sich zuspitzenden Corona-Lage steigt die Zahl der Intensivpatienten. Doch vielerorts sind die Kapazitäten ausgeschöpft – weite Wege müssen zurückgelegt werden, um ein freies Intensivbett zu finden.
Die DRF Luftrettung hilft, schwer kranke Patienten zu transportieren und schnell von einer Klinik zur anderen zu verlegen. Welchen Herausforderungen das Rettungspersonal täglich gegenübersteht und was getan werden sollte, um die vierte Corona-Welle abzuwenden, erklärt der Notfallmediziner Dr. Florian Reifferscheid im Interview mit t-online.
t-online: Mit steigenden Corona-Zahlen werden auch wieder mehr Patienten in andere Kliniken verlegt: Greift derzeit das "Kleeblatt-Prinzip", das eine Verteilung in andere Landkreise und auch Bundesländer vorsieht?
Florian Reifferscheid: Gerade in den letzten Tagen ist das "Kleeblatt" sehr viel stärker in Aktivität versetzt worden. Über den Sommer hinweg war das nicht erforderlich, aber jetzt kommt es immer häufiger dazu, dass über die Bundesländergrenzen hinaus verlegt wird. Das wird dann teilweise über das Kleeblatt koordiniert und teilweise über Kontakte zwischen den Kliniken.
Im Norden merken wir das noch nicht ganz so stark. Da werden wir weniger aktiv in die Verlegung eingebunden. Aber im Süden und im Osten Deutschlands haben wir gerade deutlich mehr Verlegungen von Covid-Patienten. Da hört man von Kollegen, dass die Krankenhauskapazitäten zur Neige gehen.
Nicht nur für Covid-Patienten gibt es weniger Plätze …
Ja, das ist ein Problem, das da mitschwingt. Es gibt ja zwei verschiedene Einsatzarten: Zum einen müssen die Covid-Patienten untergebracht werden. Zum anderen die Notfallpatienten, die wir bei Verkehrsunfällen oder in der Häuslichkeit abholen. Auch diese Patienten brauchen oft ein Intensivbett. Und das wird gerade schwieriger.
Dr. Florian Reifferscheid ist als Notarzt bei der DRF Luftrettung tätig und aktiv auf dem Rettungshubschrauber "Christoph 42" in Rendsburg-Schachtholm in Schleswig-Holstein im Einsatz. Außerdem ist er Leitender Arzt der Region Nord und Abteilungsleiter Personal Notärzte aller DRF-Standorte in Deutschland.
Wie weit müssen Covid- und auch andere Notfallpatienten zum Teil transportiert werden?
Das geht teilweise über große Distanzen – über mehrere hundert Kilometer. Wir haben kürzlich auch einen Patienten ins Ausland verlegt. Das sind dann Strecken von 200 bis 300 Kilometern. Momentan sind das noch Einzelfälle.
Wie werden die Strecken zurückgelegt?
Überwiegend mit Intensivtransportwagen, lange Strecken auch mit Hubschraubern. In der ersten Corona-Welle haben wir Patienten auch mit Flugzeugen verlegt. Meist waren das Rücktransporte, wenn jemand die Infektion weitestgehend überstanden hat und dann in die Heimat zurück konnte.
Wie viele Verlegungen finden derzeit durch die DRF Luftrettung statt?
Vom 8. bis 18.November haben wir 32 Verlegungen mit Intensivtransporthubschraubern gehabt.
Wie werden die Corona-Patienten während des Fluges versorgt? Nutzen Sie weiterhin die "Epi-Shuttles" als spezielle Isolationstragen?
Die "Epi-Shuttles" nutzen wir weiterhin, allerdings weniger oft. Denn zum einen können wir ohne den Einsatz schneller arbeiten, weil die Vorbereitung viel Zeit kostet.
Und die meisten Covid-Patienten, die im Hubschrauber transportiert werden, werden maschinell beatmet. In ihren Atemwegen haben sie Filter, die eine Ausbreitung des Virus außerhalb des Atemwegs des Patienten verhindern. Es ist wichtig, dass dieser Beatmungsschlauch nicht auseinander geht, damit die Viren nicht freigesetzt und die Rettungskräfte dann nicht kontaminiert werden. Mit der normalen Schutzausrüstung sind sie aber ausreichend geschützt – auch ohne den Epi-Shuttle.
Was ist die größte Herausforderung bei einem solchen Infektionstransport?
Die Covid-Patienten sind alle schwer krank und haben in der Regel ein Lungenproblem. Sie sind bei ihrer Sauerstoffversorgung eingeschränkt und manche haben eine sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) – quasi eine künstliche Lunge. Das macht den Transport besonders anspruchsvoll.
Ärgern Sie sich über Impfgegner, die Mitschuld an der aktuellen Entwicklung tragen?
Ja, das Hauptproblem ist, dass durch die Corona-Situation und die hohen Infektionszahlen die übrige Arbeit leidet. Es ist nicht der Fall, dass sich jemand im Rettungsdienst beschwert, dass so viel zu tun ist. Aber der Infektionsschutzaufwand bei den Transporten ist höher und das führt innerhalb der einzelnen Einsätze zu einer höheren Belastung.
Nun könnte eine höhere Impfquote das System sicher entlasten …
Natürlich wünschen wir uns, dass sich manche Teile der Bevölkerung doch noch impfen lassen. Die Covid-19-Erkankung und auch Long-Covid sind ein deutlich größeres Sicherheitsrisiko als mögliche Nebenwirkungen durch die Impfung. Das sollte allen klar werden.
Und man fragt sich schon: Was soll noch passieren, damit sich die Menschen impfen lassen? Wir erleben tagtäglich die vollen Krankenhäuser und sehen die schwerkranken Covid-Patienten.
Hat es schon einmal zuvor eine vergleichbare Situation gegeben?
Nein, das tatsächlich nicht. Wir haben immer mal die Situation, dass einzelne Krankenhäuser voll sind – im Winter bei einer starken Grippesaison zum Beispiel. Dann wird es schwer, in der näheren Umgebung ein geeignetes Intensivbett zu finden. Aber so ein flächendeckendes Ausmaß wie durch Corona habe ich bisher nicht erlebt.
Die Lage in Bayern verschärft sich
Auf Anforderung des Freistaats Bayerns hat die DRF Luftrettung nun einen zusätzlichen Intensivtransporthubschrauber in Dienst gestellt. Das geht aus einer Pressemitteilung der DRF vom 20. November hervor. Demnach sieht es das Bayerische Staatsministerium des Inneren, für Sport und Integration pandemiebedingt als erforderlich, einen zweiten Intensivtransporthubschrauber zeitlich befristet am Flughafen Nürnberg zu stationieren.
Was hat sich seit Pandemiebeginn im Rettungsdienst verändert?
Anfangs gab es natürlich eine Verunsicherung beim notfallmedizinischen Personal und den Notärztinnen und Notärzten. Wir haben uns gefragt: Was kommt da auf uns zu? Wie können wir damit umgehen? Und wie können wir uns auch selber und unsere Familien schützen?
Diese Verunsicherung ist nun weitgehend überwunden. Die Kolleginnen und Kollegen sind deutlich sicherer im Umgang mit den Covid-Patienten und auch dem Eigenschutz.
Wie groß ist die Sorge, sich mit dem Virus anstecken zu können?
Nicht mehr so groß wie am Anfang. Die Sorge ist aber immer noch präsent. Denn auch unter den Kollegen kommt es immer wieder zu Impfdurchbrüchen.
Infizierte Rettungskräfte verschärfen die Situation zusätzlich …
Richtig, der Schutz des Personals ist wichtig. Denn wenn der Rettungsdienst auch noch in die Knie geht, bricht das ganze System zusammen.
Deshalb eine wichtige Botschaft: Wenn jemand weiß, dass er eine Corona-Infektion hat, muss der Rettungsdienst – am besten schon beim Notruf – darüber informiert werden. So kann sich das Personal, das zum Patienten geht, besser schützen. Und so kann auch verhindert werden, dass ein infizierter Notfallpatient mit anderen Patienten in Kontakt kommt.
Und übrigens: Die Sorge, dass man als Infizierter schlechter versorgt wird, braucht niemand haben. Das Personal sorgt für jeden für die bestmögliche Versorgung.
Welche Lösungen gäbe es aus Ihrer Sicht, um die vierte Welle noch zu stoppen?
Alle müssten konsequenter sein, sich an die bestehenden Corona-Maßnahmen halten und Kontakte vermeiden, wo es möglich ist. Und am besten wären 2G-Plus-Regeln in allen sensiblen Bereichen. Die Rettungskräfte, die auf unseren Hubschraubern im Einsatz sind, testen sich zum Beispiel vor jedem Schichtbeginn. Natürlich muss dabei der Impfstatus und der Testnachweis konsequent überprüft werden. So könnte diese Welle etwas abgefangen werden.
Wie stehen Sie zur Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen?
In unserem Arbeitsumfeld ist die Impfquote tatsächlich sehr hoch. Wir erleben gerade, dass die Mitarbeiter eine dritte Impfung wollen, aber oft keinen Termin bekommen. Die Impfpflicht bräuchte es hier also gar nicht unbedingt, vielmehr brauchen wir leichter erreichbare Impftermine – zumindest für bestimmte Berufsgruppen. Ich halte eine Impfpflicht aber in patientennahen Bereichen oder bei Kontakt mit vulnerablen Gruppen für vertretbar.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reifferscheid!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.