Infiziert nach Corona-Impfung Was wirklich hinter den Impfdurchbrüchen steckt
Voll geimpft und trotzdem infiziert: Sogenannte Durchbruchsinfektionen sorgen für viel Verunsicherung. Was bislang bekannt ist und welche Menschen besonders betroffen sind.
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Die Corona-Impfstoffe schützen sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen, etwas weniger gut jedoch vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldet im aktuellen Wochenbericht (Stand 21. Oktober 2021) 95.487 Impfdurchbrüche seit dem Start der Impfkampagne und erklärt dazu: "Davon 63.236 nach einer abgeschlossenen Impfserie mit Comirnaty (Biontech/Pfizer), 4.520 mit Spikevax (Moderna), 7.320 mit Vaxzevria (AstraZeneca) und 13.272 mit Covid-19-Vakzine Janssen.
Bei weiteren 1.933 Impfdurchbrüchen erfolgte anhand der vorliegenden Angaben keine Zuordnung zu den oben genannten Impfstoffen." Auch die Kreuzimpfungen aus Astrazeneca und Biontech oder Moderna Impfstoffen führte zu insgesamt mehr als 5.000 Impfdurchbrüchen.
Insgesamt bleibt die Zahl sehr niedrig, bedenkt man, dass fast 55 Millionen Deutsche (Stand 22. Oktober 2021) bereits vollständig geimpft sind. Das RKI schätzt die Impfeffektivität auf etwa 83 Prozent bei Menschen zwischen 18 und 59 Jahren und auf etwa 81 Prozent für die Altersgruppe über 60. Was genau passiert bei einem Impfdurchbruch und wer ist davon betroffen? t-online klärt die wichtigsten Fragen.
Wovor schützen die Impfungen?
Die bislang zugelassenen Impfstoffe wurden entwickelt, um vor einem schweren Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Sie wurden gegen die 2020 grassierenden Virusvarianten modelliert und weisen gegen diese eine sehr hohe Wirksamkeit auf. Gegen die ab Dezember 2020 grassierende Alphavariante betrug die Schutzwirkung etwa 95 Prozent bei den mRNA-Vakzinen (Biontech/ Pfizer und Moderna), etwa 74 Prozent bei Astrazeneca und etwa 85 Prozent bei Johnson & Johnson .
Mit der ansteckenderen Delta-Variante ging die Wirksamkeit aller Vakzine etwas zurück, bei den mRNA-Impfstoffen auf etwa 88 Prozent, bei den Vektorimpfstoffen auf 67 Prozent – jeweils gemessen nach vollständiger Impfung. Die weiterhin hohe Schutzwirkung vor schweren Krankheitsverläufen zeigt sich jedoch derzeit vor allem auf den Intensivstationen. Dort sind mehr als 90 Prozent der Covid-Patienten ungeimpft.
Wie hoch ist der Schutz vor der Infektion mit Corona?
Auch hier verminderten sich die Werte unter der ansteckenderen Delta-Variante. Der Schutz vor Ansteckung fiel bei den bei den mRNA-Impfstoffen von 95 auf 66 Prozent, bei den Vektorimpfstoffen von 88 auf etwa 60 Prozent.
Was ist ein Impfdurchbruch und wie oft kommt er vor?
Infiziert sich ein Mensch trotz vollständigen Impfschutzes mit dem Virus, wird dies als Impfdurchbruch oder Durchbruchsinfektion bezeichnet. Die Zahl von 95.487 Fällen (Stand 21. Oktober 2021) ist angesichts der millionenfachen Impfungen gering. Allerdings räumt auch das Robert Koch-Institut ein, dass mit einer höheren Dunkelziffer zu rechnen ist, da Geimpfte auch asymptomatisch infiziert sein können und daher häufig keine Testergebnisse vorliegen.
"Solche Infektionen würden sich nur per Zufall detektieren lassen, weil sich Geimpfte kaum testen lassen", erläutert auch der Immunologe Carsten Watzl, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie ist, bereits im August. Und selbst bei symptomatischen Infektionen gebe es sicherlich noch eine Dunkelziffer: "Bei Geimpften besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie Symptome nicht mit Corona in Verbindung bringen, deswegen keinen Arzt aufsuchen und sich nicht testen lassen."
Wer ist von Impfdurchbrüchen betroffen?
Vor allem Ältere und Immungeschwächte. Das RKI erklärt: "Unter den insgesamt 943 Covid-19-Fällen mit Impfdurchbrüchen, die verstorben sind, waren 695 (74 Prozent) 80 Jahre und älter. Das spiegelt das generell höhere Sterberisiko – unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe – für diese Altersgruppe wider."
Auch Watzl erklärt im August: "Diese Personen gelten zwar als geimpft und geschützt, haben aber eigentlich einen geringen bis gar keinen Schutz und ein entsprechendes Risiko, bei einer Infektion schwer zu erkranken." Der Anteil solcher "Impfversager" liege unter Älteren bei vermutlich fünf Prozent.
Im Alter nimmt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems ab (Fachbegriff: Immunoseneszenz), das heißt, der Aufbau eines Immunschutzes läuft langsamer oder weniger intensiv ab. Studien legen nahe, dass der sogenannte akute Immunschutz in den älteren Bevölkerungsgruppen nach etwa sechs Monaten abnimmt. Für diese Menschen wird bereits eine dritte, sogenannte Boosterimpfung empfohlen, die die Immunantwort erhöht.
Ähnlich wie bei Älteren verhält es sich bei Patienten, deren Immunsystem aufgrund einer Vorerkrankung supprimiert, also unterdrückt wird. Das gilt etwa für Autoimmunerkrankte oder Menschen, die sich in einer Chemotherapie befinden oder eine Organtransplantation hinter sich haben. Auch sie können sich nachimpfen lassen.
Warum nehmen die Impfdurchbrüche zu?
Rein statistisch betrachtet: Weil immer mehr Menschen geimpft sind. Je mehr Impfungen stattgefunden haben, desto mehr Impfdurchbrüche sind zu verzeichnen. Beides hängt miteinander zusammen.
Hinzu kommt: In Deutschland – wie auch anderswo – wurden zunächst ältere Menschen bei den Impfungen priorisiert. Wie jetzt klar wird, lässt ihr Impfschutz nach etwa einem halben Jahr nach, was Impfdurchbrüche begünstigen kann.
Eine Studie aus Israel ergab: Nur sechs Prozent der Patienten mit schweren Impfdurchbrüchen waren vorher gesund. Alle anderen (146) hatten mit mindestens einer Vorerkrankung zu kämpfen. 71 Prozent litten unter Bluthochdruck, 48 Prozent unter Diabetes, 32 Prozent wiesen ein chronisches Nierenversagen auf. Herzinsuffizienz, Lungenerkrankungen, Krebs oder Demenz waren ebenfalls unter den diagnostizierten Vorerkrankungen.
Wer kann sich den dritten Piks holen?
Menschen in Pflegeeinrichtungen, die zu Hause gepflegt werden, immungeschwächt und/oder über 80 Jahre alt sind, sollen mit dem Booster versorgt werden und zwar dann, wenn die Zweitimpfung länger als sechs Monate zurückliegt. Diejenigen, die bislang mit einem Vektorimpfstoff (Astrazeneca oder Johnson & Johnson) vollständig geimpft wurden, sollen ein weiteres Angebot für eine Impfung mit einem mRNA-Vakzin (Biontech oder Moderna) erhalten. Auch hier gilt ein Abstand von sechs Monaten nach der letzten Impfung.
Das RKI erklärt dazu: "Bei den meisten PatientInnen ist diese zusätzliche Impfstoffdosis als Auffrischimpfung ('Booster') zu verstehen. Bei einer kleinen Gruppe schwer immundefizienter Personen mit einer erwartbar stark verminderten Impfantwort kann diese zusätzliche Impfstoffdosis als Optimierung der primären Impfserie bereits vier Wochen nach dieser Grundimmunisierung angeboten werden." Dazu zählen demnach beispielsweise Patienten nach Organtransplantation und Krebspatienten unter immunsuppressiver, antineoplastischer Therapie.
Sind Geimpfte infektiös?
Neuere Studien deuten an: Geimpfte, die sich anstecken, können das Virus ähnlich gut an andere weitergeben wie Ungeimpfte. Die britische Gesundheitsbehörde "Public Health England" (PHE) veröffentlichte ein Statement, das nahelegt, dass Menschen, die sich mit der Delta-Variante infizierten, sehr ansteckend sind – und zwar unabhängig davon, ob sie geimpft sind oder nicht. Der Meldung nach ist die Viruslast bei Geimpften, die nach einer Durchbruchinfektion positiv getestet wurden, genauso hoch wie bei Ungeimpften. Damit sind sie in den ersten Tagen nach der Infektion hochansteckend.
Das geht auch aus den Analysen der US-Seuchenschutzbehörde "Centers for Disease Control and Prevention" (CDC) hervor. Dort wurde ein Virusausbruch am Nationalfeiertag des 4. Juli in Massachusetts untersucht. Von den 469 Infizierten, die auf der Halbinsel Cape Cod ausgemacht wurden, waren drei Viertel vollständig geimpft. Die Forscher folgerten aus der Verteilung der Fälle offenbar, dass Geimpfte, die sich infizieren, ähnlich infektiös sind wie Ungeimpfte. Sie können eine ähnlich hohe Viruslast tragen.
Dies gilt aber offenbar nur für die ersten Tage nach einer Infektion. Das legen zumindest Analysen des National Centre of Infectious Diseases in Singapur nahe. Danach geht die Viruslast bei Geimpften deutlich schneller zurück als bei Ungeimpften.
Was raten Experten?
Der Epidemiologe Markus Scholz von der Universität Leipzig hält eine Testung von Geimpften für sinnvoll: "Die Impfung schützt zu 90 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf, aber deutlich weniger vor einer Infektion", erklärt er im August im Gespräch mit t-online. "Damit können Geimpfte auch Virusüberträger sein. Das heißt auch: Je mehr Durchseuchung zugelassen wird, desto mehr werden auch geimpfte Personen und damit Risikogruppen betroffen sein."
Tests für Geimpfte hält auch Carsten Watzl für sinnvoll. Sein Ratschlag: Wenn sich Geimpfte und Ungeimpfte privat gemeinsam treffen wollen, wie auf einer Gartenparty, sollten sie sich vor so einem Treffen testen lassen. Denn immer, wenn sich Geimpfte und Nichtgeimpfte treffen, steige das Ansteckungsrisiko auch für die Geimpften. "Da nicht immer klar ist, wer etwa welche Vorerkrankung hat, ist es am einfachsten, wenn sich vorher alle testen lassen." Dabei seien Bürgerschnelltests etwas sorgfältiger als der Selbsttest für zu Hause, ausreichend seien aber beide.
Der Infektionsimmunologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité rät, dass auch Geimpfte in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Nahverkehr weiter eine Maske tragen und sich regelmäßig testen lassen sollten, wenn sie in sensiblen Bereichen arbeiteten.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- RKI-Wochenbericht 22. Oktober 2021
- Information der PHE
- CDC-Analyse
- Studie aus Singapur
- Nachrichtenagentur dpa
- Interview mit Markus Scholz
- Eigene Recherche