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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor- und Nachteile Schluckimpfung gegen Covid-19: So umstritten ist sie
Keine Spritze, sondern eine Tablette, die einfach geschluckt werden kann: Sieht so die Impfung gegen Covid-19 in Zukunft aus? Deutsche Forscher zeigen sich uneins.
Wer an Impfstoffe denkt, hat automatisch Spritzen vor Augen. Doch dies ist nicht der einzige Weg, um Menschen zu immunisieren. Mehrere Forschungsgruppen weltweit arbeiten an Covid-19-Impfstoffen, die oral verabreicht werden, statt in den Arm injiziert zu werden.
Das US-israelische Unternehmen Oramed etwa testet seinen Impfstoffkandidaten in der ersten klinischen Studienphase – bislang allerdings nur in Tierversuchen. Dabei regte die Impfung erfolgreich die Bildung von Antikörpern an, die gegen das Coronavirus schützen. Die Erprobung am Menschen soll in den kommenden Monaten stattfinden. Wie lange diese Studienphase dauern wird, ist nicht bekannt.
Auch an der Universität Würzburg arbeiten Wissenschaftler aktuell an einer Schluckimpfung zum Schutz vor dem Coronavirus. Welche Vorteile verspricht diese Impfmethode? Und wann könnten erste Impfstoffe verfügbar sein?
Corona-Impfung zum Schlucken bietet mehrere Vorteile
Schluckimpfungen haben einige Vorteile gegenüber anderen Impfstoffen:
- Sie kommen ohne Spritze aus und werden oral verabreicht. Somit sind sie einfach anzuwenden – vor allem bei Kindern oder auch Personen, die Angst vor Nadeln haben.
- Sie könnten gegebenenfalls sogar zu Hause eingenommen werden, was eine Beschleunigung der Impfungen bedeuten würde.
- Sie können einfacher weltweit verteilt werden. Die derzeit erhältlichen Corona-Impfstoffe erfordern bestimmte Transport- und Lagerungsbedingungen.
- Sie regen den Immunschutz dort an, wo er benötigt wird – nämlich auf den Schleimhäuten. An dieser Stelle treffen Krankheitserreger als erstes auf den menschlichen Körper. Wenn sie dort erfolgreich bekämpft werden, kommt es erst gar nicht zu einer Infektion.
Deutsche Wissenschaftler erproben Schluckimpfung gegen Corona
Forscher der Universität Würzburg arbeiten mit dem Pharmaunternehmen Aeterna Zentaris an einem neuartigen Ansatz zur Impfung gegen das Coronavirus. Diese basiert auf einem bereits bestehenden oralen Typhus-Impfstoff.
Typhus ist eine Infektionskrankheit, die unbehandelt einen sehr schweren Verlauf nehmen kann. Auslöser sind Bakterien (Salmonellen), die Durchfallerkrankungen verursachen. Menschen infizieren sich meistens durch verseuchtes Trinkwasser und Nahrungsmittel.
"Wir verwenden einen Ansatz, der schon seit vielen Jahren millionenfach als Schutz vor einer Typhus-Infektion im Einsatz ist", erklärt Professor Dr. Thomas Rudel in einer Mitteilung der Universität. Sein Team habe die Bakterien für das Covid-19-Vakzin modifiziert. Sie wurden "so programmiert, dass sie SARS-CoV-2-Antigene produzieren."
So funktioniert der neue Ansatz gegen Covid-19
In einer Kapsel vor dem Angriff der Magensäure geschützt, sollen die Bakterien nach der Passage durch den Magen im Dünndarm des Menschen ihre Wirkung entfalten. Die Forscher gehen davon aus, dass die Bakterien dort die Antigene dem Immunsystem präsentieren und in der Folge eine entsprechende Immunantwort anstoßen können. Sie hoffen, dass diese Reaktion im Erfolgsfall so stark ist, dass alle Schleimhäute des Menschen in Alarmbereitschaft versetzt werden und das Coronavirus schon dort am Eindringen in den Körper gehindert werden kann.
Anders als bei den bisher in der EU zugelassenen Impfstoffen soll sich die Immunantwort des Geimpften aber nicht nur auf ein Ziel (das Spike-Protein des Coronavirus) richten, sondern auf zwei Antigene. Der Grund: SARS-CoV-2 mutiert häufig. Das könnte zur Folge haben, dass ein Antigen nur noch schwach wirksam ist, wenn das Virus sich entsprechend verändert haben sollte. Das zweite Antigen könnte deshalb als "Sicherheitsanker" dienen, heißt es in der Mitteilung.
Dem Würzburger Team zufolge ist ein solcher oraler Impfstoff vergleichsweise günstig herzustellen, einfach zu verabreichen und relativ stabil auch bei normalen Temperaturen. "Das würde ihn im Erfolgsfall auch für den Einsatz in Ländern attraktiv machen, in denen es schwierig ist, eine Kühlkette mit Temperaturen von bis zu minus 70 Grad ohne Unterbrechung zu gewährleisten", so Rudel. Zudem haben orale Medikamente tendenziell weniger Nebenwirkungen, betont er.
Es gibt noch mehrere Hürden bei der Impfstoffentwicklung
Noch befindet sich der Impfstoffkandidat allerdings in der präklinischen Entwicklung. In Studien mit Menschen wurde er noch nicht untersucht (Stand 10. Juni 2021). Rudel ist aber zuversichtlich, dass die dafür nötigen Genehmigungen bald vorliegen könnten.
Doch trotz aller Euphorie: Eine Garantie dafür, dass schon bald eine orale Impfung gegen Covid-19 verfügbar sei, gebe es nicht, warnt Rudel. Schließlich seien schon viele Wirkstoffe selbst in einem späten Entwicklungsstadium gescheitert, weil sie nicht ausreichend wirksam waren oder unerwartete und unerwünschte Effekte gezeigt haben. Dieses Risiko bestehe immer.
Erlanger Forscher: Abwehrkraft des Darms reicht nicht aus
Und tatsächlich sehen Forscher aus Erlangen Hinweise darauf, dass eine orale Impfung gegen das Coronavirus möglicherweise keinen Nutzen hat. Untersuchungen haben demnach gezeigt, dass die Abwehrkraft des Darms alleine nicht ausreichend sein könnte, um eine Corona-Infektion abzuwehren. Bekannt ist, dass das Coronavirus den Körper sowohl über die Lunge als auch den Darm infizieren kann.
Bei untersuchten Blutproben von Covid-19-Patienten wurden signifikante Unterschiede deutlich. "Die Anzahl der Abwehrzellen, die als Reaktion des Darms auf die Infektion gebildet werden, war deutlich geringer als an anderen Stellen im Körper", sagte Dr. Sebastian Zundler in einer Mitteilung der Universität.
Diese Erkenntnis könnte laut den Forschern von Bedeutung für Schluckimpfungen sein. Denn "sollten nur relativ wenige Immunzellen durch das Virus im Darm geprägt werden, könnte es sein, dass der Darm bei einer Schluckimpfung gegen das Coronavirus ebenfalls nicht genügend Antikörper bilden kann, um eine Immunität zu erhalten". Zundler gibt aber zu bedenken, dass noch mehr Forschungsarbeit zu leisten sei, um die Bedeutung der Ergebnisse zu verstehen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- vfa – Die forschenden Pharma-Unternehmen
- Eurek Alert: "Creating a needle-free COVID-19 vaccine", 9. Juni 2021
- Pressemitteilung der Universität Würzburg, 24. März 2021
- Pressemitteilung der Universität Erlangen, 13. Mai 2021
- Pharmazeutische Zeitung
- Eigene Recherche