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Impfstoffexperte: "Corona-Maßnahmen werden trotz Impfung weiter nötig sein"


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Experte über Corona-Impfstoff
"Maßnahmen werden trotz Impfung weiter nötig sein"

InterviewVon Nico Dannenberger

Aktualisiert am 17.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Impfung gegen Corona: Auch ein zugelassener Impfstoff muss weiter auf Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen beobachtet werden.Vergrößern des Bildes
Impfung gegen Corona: Auch ein zugelassener Impfstoff muss weiter auf Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen beobachtet werden. (Quelle: Tatyana Makeyeva/Reuters-bilder)

Schon bald könnte ein Corona-Impfstoff verfügbar sein. Dennoch werde das erst nach längerer Zeit Einfluss auf die Entwicklung der Pandemie haben, meint der Impfstoffexperte Thomas Mertens. Er hält auch Konflikte bei der Impfstoff-Zuteilung für möglich.

Thomas Mertens ist Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Im Interview spricht er über die Verteilung eines möglichen Corona-Impfstoffs und erklärt, warum die Sicherheit und die Wirksamkeit eines Impfstoffes auch nach der Zulassung weiterhin genau überwacht werden muss.

Aktuell wird weltweit an mehr als 200 Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 geforscht. Wie weit ist die Entwicklung und wann rechnen Sie konkret mit einer Zulassung eines Impfstoffs?

Thomas Mertens: Für diese Frage sind weniger die Suche nach einem erfolgreichen Impfstoffkandidaten und die Entwicklung eines Impfstoffs relevant als die Ergebnisse, welche wir aus den Phase-3-Studien erwarten. Ich bin also jetzt sehr froh, dass die Ergebnisse einer Zwischenauswertung unter anderem der Studie mit dem Biontech mRNA-Impfstoff so gut sein sollen.

Allerdings können nur die vollständigen Ergebnisse uns tatsächlich Auskunft über die Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoffes geben. Das sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass ein Impfstoff zugelassen und empfohlen werden kann.

Wenn die vollständigen Ergebnisse aus der Phase-3-Studie ergeben, dass die Voraussetzung gegeben sind, rechne ich mit der Zulassung eines Impfstoffs oder mehrerer Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) um die Jahreswende und mit einer entsprechenden Zurverfügungstellung des Impfstoffs zu Beginn des kommenden Jahres.

Lässt sich der Zeitraum noch konkretisieren?

Nein, selbst die EMA, die über die Zulassung entscheidet, hält sich über die Zeiträume noch völlig bedeckt. Insofern wäre es nicht korrekt, weitere Spekulationen über den konkreten Zeitpunkt der Zulassung anzugeben. Ich persönlich bin ohnehin der festen Überzeugung, dass es nicht so entscheidend ist, ob man einen Monat früher oder später mit der Impfung starten kann. Denn die epidemiologischen Auswirkungen der Impfung wird man erst nach längerer Zeit bemerken können.

Entscheidender ist vielmehr, dass alle essentiellen Vorbereitungen bis zum erstmöglichen Impftermin abgeschlossen sind. Das ist die wirklich wichtige Voraussetzung, dass eine Impfkampagne dann auch funktionieren kann.

Welches sind die zentralen Herausforderungen bei der Vorbereitung der Impfkampagne, die noch zu klären sind?

Ganz entscheidend ist dazu die Frage nach den Impfzentren. Denn eines ist klar: Man wird die Impfung anfangs aus vielen praktischen Gründen nicht den Hausärzten überlassen können. Das wäre den Hausärzten gegenüber auch unfair, denn wenn eine Priorisierung vorgenommen wird, müsste diese auch eingehalten werden und das kann man von Hausärzten nicht verlangen.

Daher müsste die Impfung von Impfzentren übernommen werden, die erst noch in Zahl und Standort definiert werden müssen. Aber auch weitere logistische Voraussetzungen müssen noch geklärt werden.

Prof. Dr. Thomas Mertens
Der Virologe Thomas Mertens ist Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Bis 2018 leitete er zudem das Institut für Virologie an der Universität Ulm.

Welche sind das?

Bei einigen Impfstoffen ist bereits bekannt, dass diese tiefgekühlt transportiert und gelagert werden müssen, dafür braucht es die entsprechenden Kühlketten. Und es müsste sichergestellt werden, dass die dann priorisierten Gruppen auch zu den jeweiligen Zeiträumen in die Impfzentren kommen, beziehungsweise diese auch mobil sind, so dass beispielsweise auch Bewohner eines Altersheims geimpft werden könnten.

Ganz entscheidend ist aus Sicht der STIKO aber noch ein anderer Punkt: Wir müssen sicherstellen, dass wir eine flächendeckende Dokumentation der Impfungen haben. Wir wissen aus den Phase-3-Studien einiges über die Sicherheit des Impfstoffes, aber wir brauchen eine verlässliche und einheitliche Dokumentation, um die Sicherheit und die Wirksamkeit des Impfstoffes weiterhin zu überwachen.

Für mich ist diese Dokumentation entscheidend und ich würde es fast für verantwortungslos halten, wenn man eine Impfkampagne startet, ohne dass die verlässliche Dokumentation und Pharmakovigilanz sichergestellt ist.

Wer sollte denn diese Dokumentation durchführen?

Das Bundesgesundheitsministerium hat den Auftrag, ein solches System zu etablieren, an das Robert Koch-Institut übergeben. Es ist dann zwingend notwendig, dass es zu einer bundeseinheitlichen Dokumentation kommt. Ich plädiere entschieden gegen die Einführung von länderspezifischen Regelungen hierzu.

Ein zugelassener Impfstoff wird zunächst nur in begrenzter Zahl zu verimpfen sein. Die STIKO hat dazu gemeinsam mit dem Deutschen Ethikrat und der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften Rahmenkriterien definiert, die einer Priorisierungsempfehlung zugrunde liegen müssen. Laut den Vorschlägen würden Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen sowie Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen zuerst geimpft werden, ebenso wie Menschen in gesellschaftlichen Schlüsselstellungen wie etwa Mitarbeiter von Gesundheitsämtern, Polizisten oder Lehrer. Könnte es zu unterschiedlichen Priorisierungen in den Bundesländern kommen?

Ich denke, dass es keine Unterschiede in der Frage der Impfverteilung und der konkreten Umsetzung der Impfstrategie zwischen den Ländern geben wird. Alles andere fände ich abstrus. Ich persönlich halte an dieser Stelle den Föderalismus nicht für einen Vorteil, sondern sehe die Probleme, die er bei dieser wichtigen Frage auslösen könnte und erwarte eine bundeseinheitliche Lösung.

Befürchten Sie, dass es Konflikte um die Impfstoffe innerhalb der Bevölkerung geben wird?

Ich kann Konflikte nicht ausschließen und wenn ich in unsere gesellschaftliche Landschaft schaue, halte ich das nicht für unmöglich, dass es zu Diskussionen um die gerechte Zuteilung kommen wird. Und es kann sicher einige geben, die gegen die Entscheidung auch rechtlich oder auf andere Art und Weise vorgehen werden.

An dieser Stelle ist aber die Frage der guten Kommunikation entscheidend. Denn es liegt eine große Verantwortung darin, für die Impfkampagne eine gute, zielgruppenspezifische Kommunikation zu etablieren. Denn je breiter die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Priorisierung ist, desto besser ist es auch für die Durchführung der Impfstrategie und für den Erfolg der Impfungen. Aber das bedeutet, dass man Kommunikation so betreiben muss, dass jeder sie versteht und sie auch in den Kanälen platziert, die von den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen genutzt werden.

Gleichzeitig wird teilweise befürchtet, es könnte langfristig eine Impfpflicht eingeführt werden. Ist das in den bisherigen Überlegungen in Erwägung gezogen worden?

Eine Impfpflicht ist nicht vorgesehen und nicht diskutiert worden. Das hat auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mehrfach klar zum Ausdruck gebracht und diese Haltung wird von mir klar unterstützt. Eine Impfpflicht wäre allein mit den ethischen Kriterien nicht vereinbar. Auch vor einer gruppenspezifischen Impfpflicht stünden enorm hohe Hürden.

Eine ethische Grundvoraussetzung für eine Impfung ist die Freiwilligkeit und die soll auf jeden Fall erhalten sein. Umso wichtiger ist es also, die gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Wichtig wird dazu auch sein, etwaige Falschmeldungen rasch zu kontrollieren und zu konterkarieren. Aber die betonte Transparenz ist der einzige Weg den wir haben und den wir in der Kommunikation auch anwenden sollten.

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Wie lange würde es überhaupt dauern, bis alle, die an einer Impfung interessiert sind, geimpft werden könnten?

Ich persönlich glaube nicht, dass das innerhalb des kommenden Jahres zu schaffen sein kann. Anhand einer einfachen Rechnung lässt sich das sehr anschaulich verdeutlichen: Als Beispiel angenommen wir schaffen es eine Größenordnung von 100.000 Menschen pro Tag zu impfen, dann bräuchten wir für 15 Millionen immerhin 150 Tage – also knapp ein halbes Jahr.

Hinzu kommt, dass wir noch nicht einmal genau wissen, wieviel und wann der Corona-Impfstoff tatsächlich zur Verfügung gestellt werden kann, und eine einmalige Impfung wird bei den meisten Impfstoffen nicht ausreichend sein. Wenn mehr als eine Impfung notwendig ist, kommen weitere logistische Herausforderungen dazu. Denn wir erwarten, dass unterschiedliche Impfstoffe nicht untereinander austauschbar sein werden.

Insgesamt wird sehr viel Hoffnung in die Entwicklung des Impfstoffs gesteckt. Politisch wird teilweise ja suggeriert, dass wir so lange noch durchhalten müssen. Wie wird sich der gesellschaftliche und politische Umgang mit der Pandemie durch eine Impfung ihrer Meinung nach verändern? Welche Effekte hat die Zulassung konkret auf aktuelle Maßnahmen?

Die Verfügbarkeit eines oder mehrerer effektiver Impfstoffe ist, wie bei allen anderen Infektionskrankheiten, entscheidend für die Lösung des Problems. Zunächst haben aber die Zulassung und die dann anlaufenden Impfungen überhaupt keine Effekte auf die notwendigen Maßnahmen und die notwendigen Einschränkungen zur Eindämmung der Virusausbreitung. Es ist wichtig, dass deutlich zu kommunizieren.

Bis wir einen epidemiologischen Effekt haben, wird schließlich einige Zeit vergehen. Für eine hoffentlich entstehende Herdenimmunität bräuchten wir beispielsweise etwa 60 Prozent der Bevölkerung, die durch eine Erkrankung oder durch eine Impfung Immunität gegen das Virus besitzen. Das allein macht deutlich, dass sich an der Notwendigkeit von Maßnahmen zur Einschränkung unseres gesellschaftlichen Lebens erst einmal gar nichts ändern wird.

Dieses Interview ist im Rahmen des Projekts "Die Debatte" von Wissenschaft im Dialog entstanden. "Die Debatte" ist eine Plattform für die Diskussion aktueller kontroverser Themen aus der Wissenschaft und will die wissenschaftliche Perspektive stärker in öffentlich viel diskutierte Themen einbringen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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