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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Virologe Schmidt-Chanasit "Ich frage mich, warum nicht stärker kontrolliert wird"
Nach den aktuellen Regeln soll es in Corona-Hotspots künftig Beschränkungen für private Feiern geben. Dem Virologen Schmidt-Chanasit geht das aber noch nicht weit genug.
In vielen Regionen Deutschlands steigen die Infektionszahlen stark an. Für besonders betroffene Gebiete gelten nun neue Regelungen: Die Sperrstunde wird eingeführt, die Maskenpflicht erweitert und private Feiern dürfen nur noch mit weniger Menschen stattfinden. Doch reichen die Maßnahmen?
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit übt im Interview mit Ursula Weidenfeld Kritik an einigen neuen Corona-Beschlüssen. Er fordert besonders in Großstädten mehr Kontrollen und stellt das Beherbergungsverbot in Frage.
t-online: Herr Schmidt-Chanasit, was ist denn beim Corona-Gipfel der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten an Brauchbarem herausgekommen?
Jonas Schmidt-Chanasit: Ich finde es sehr wichtig, dass noch einmal beschlossen wurde, dass die Obergrenzen für private Feiern strikt eingehalten werden sollen und begrenzt werden. Weil das ist ganz klar: Es können in dieser jetzigen Situation einfach keine Familienfeiern oder Hochzeiten mit 600 Menschen stattfinden. Das ist eine zu große Gefahr, dass es dort zu Superspreading-Events kommt, wo sich Dutzende von Menschen infizieren. Insofern sind hier sehr strikte Obergrenzen von fünf oder zehn absolut zielführend und auch verhältnismäßig. Ich glaube, das ist auch nachvollziehbar – und ein ganz wichtiger Beschluss.
Wie sieht es mit den anderen Beschlüssen aus?
Andere Beschlüsse, die gefasst wurden, kann man durchaus diskutieren. Ich bin ja zum Beispiel nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass ein Beherbergungsverbot sinnvoll ist. Aber das wurde ja auch erst mal ausgeklammert. Das andere ist die Sperrstunde bei einer bestimmten Inzidenz. Auch hier muss man sagen: 23 Uhr ist okay. Das können die meisten Restaurants wahrscheinlich auch noch verkraften, weil der Hauptumsatz davor stattfindet. Wenn man jetzt die Sperrstunde zum Beispiel weiter nach unten drückt, also Richtung 20 Uhr, dann wird es wirklich problematisch. 23 Uhr ist so ein Kompromiss, denke ich, mit dem viele Restaurants leben können. Einige Bars werden es da schon schwer haben. Da gibt es schon eine gewisse Ungerechtigkeit und es ist ganz wichtig, dass man einen Ausgleich schafft. Wenn wir jetzt die Leute, die sich bisher an die Regeln sehr, sehr gut gehalten haben, mit den Maßnahmen verärgern, dann wird es auf lange Sicht problematisch.
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe und Leiter der Virusdiagnostik des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg. Dort forscht er zu exotischen Viren wie Ebola oder Zika und neuen Infektionskrankheiten.
Heißt das, dass in Zukunft Kontrolle eine viel größere Rolle spielen muss?
Ich finde ja! Das ist regional stark unterschiedlich. Ich denke zum Beispiel in Hamburg sind die Zahlen ja auch noch nicht so dramatisch wie in anderen Städten. Hier wurde kontrolliert und man hätte auch noch mehr kontrollieren können. Aber, wenn ich an bestimmte Bezirke in Berlin denke, da habe ich mich schon vor Wochen gefragt, warum so etwas nicht stärker kontrolliert wird.
Sicherlich, das Personal ist nicht immer vorhanden. Aber dann hätte man genau an dem Punkt ansetzen und sagen können: Gut, wir haben nicht genügend Personal in den Ordnungsämtern. Die Polizei und private Sicherheitsdienste müssen mithelfen. Wir gehen durch die Torstraße, wir gehen durch die Sonnenallee, wir gehen durch die Oranienburger Straße und wir setzen die Hygienekonzepte – gegebenenfalls Ausschankverbote – durch. Weil das sind genau die kritischen Punkte, an denen Infektionen entstehen und sich die jungen Leute infizieren. Anstatt hier wirklich große Bevölkerungsgruppen "zu bestrafen", die sich sehr, sehr konsequent an die Maßnahmen gehalten haben.
Man hat ja manchmal den Eindruck, es geht bei einem Teil der Beschlüsse – etwa die Maskenpflicht im öffentlichen Raum – darum, Menschen zu sensibilisieren, wenn man es positiv ausdrücken will. Wenn man es negativ ausdrücken will, würde man sagen: Menschen mit sinnlosen Maßnahmen zu überziehen. Spielen Symbolmaßnahmen in der Pandemiebekämpfung eine Rolle?
Da bin ich jetzt als Virologe natürlich etwas überfragt. Aber ich finde das nicht sehr sinnvoll. Ich finde es ganz wichtig, die Maßnahmen, bei denen die Datenlage zeigt, dass sie sinnvoll sind, also die AHA-Regeln auf das Mindeste zu beschränken und die dann aber auch konsequent wirklich umzusetzen. Das ist viel, viel wichtiger als Symbolmaßnahmen, bei denen man gar nicht weiß, was sie in der Bevölkerung auslösen. Ich meine, das ist ein hochkomplexer Prozess.
Was würden Sie stattdessen empfehlen?
Es ist hier wichtiger, sich auf die wirklichen Basismaßnahmen zu fokussieren und diese konsequent umzusetzen, als dass man noch zusätzliche Maßnahmen einführt, bei denen die Wirksamkeit zum Teil in Frage steht. Früher oder später werden solche Maßnahmen natürlich auch von den Gerichten gekippt werden. Es ist ja klar, dass es da Klagen gibt und die Gerichte werden das als erste hinterfragen. Und dann hat sich's quasi mit dem Symbol...
Ich glaube, das steht in keinem Verhältnis, wenn man für ein Symbol bestimmte Grundrechte einschränkt. Insofern muss hier immer der Infektionsschutz im Mittelpunkt stehen. Und da muss klar sein, dass diese Maßnahmen auch entscheidend dazu beitragen, die Infektionsketten zu unterbrechen oder Infektionen zu vermeiden.
Und wenn man nochmal auf das im Moment größte Problem schaut: Private Feiern – die kann man doch auch am wenigsten kontrollieren. Oder muss man sich da auf die Nachbarn verlassen, die dann beim Ordnungsamt anrufen?
Das ist schwierig. Man kann private Feiern eben nur ein Stück weit kontrollieren. Man kann es ja auch mit Bußgeldern kombinieren. Aber natürlich kann man nicht in alle Wohnungen hinein und in alle Keller.
Es würde schon helfen, wenn man im öffentlichen Raum, wo viele junge Menschen zusammen feiern, eingreift – und gleichzeitig die Möglichkeit schafft, bestimmte Plätze und Räume für die jungen Leute zu schaffen, an denen sie sicher zusammen feiern können. Dass sie zum Beispiel, wenn sie negativ getestet sind, in einem bestimmten Zeitraum zusammenkommen.
Ich verstehe absolut, dass je länger die Pandemie dauert, man auch ein Ventil für diese Bevölkerungsgruppe braucht. Aber in einem kontrollierten Rahmen und ohne, dass sie andere Menschen gefährden. Nur mit Verboten gegenüber den jungen Leuten fährt man auf lange Sicht gegen die Wand. Und dann findet das alles im Privaten, auch im illegalen Bereich statt. Und Denunziantentum ist glaube ich das Letzte, was wir wollen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schmidt-Chanasit.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.