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Interview: Coronavirus hat Auswirkungen auf Demenzkranke


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Demenzexpertin
"Nutzen Sie die Freiheiten, die trotz Corona-Maßnahmen bleiben"

InterviewVon Sandra Simonsen

22.06.2020Lesedauer: 5 Min.
Demenz: In Zeiten der Corona-Pandemie haben Demenzkranke besondere Probleme, sich zurechtzufinden.Vergrößern des Bildes
Demenz: In Zeiten der Corona-Pandemie haben Demenzkranke besondere Probleme, sich zurechtzufinden. (Quelle: Photothek/imago-images-bilder)

Seit Monaten verändert das Coronavirus unser Leben. Das stellt vor allem für Demenzkranke eine besondere Herausforderung dar. t-online.de hat mit der Ärztin Dr. Ursula Sottong über mögliche Lösungen für Angehörige und Erkrankte gesprochen.

Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren, Quarantäne, Maskenpflicht: Für fast alle Menschen hat sich der Alltag durch das Coronavirus stark verändert. Für Demenzkranke ist das eine besondere Stresssituation. Im Gespräch mit t-online.de erklärt die Expertin Dr. Ursula Sottong, welche Möglichkeiten Angehörige haben, um Demenzkranke und sich selbst zu entlasten, aber auch, welche Folgen die Corona-Krise haben könnte.

Sottong ist Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin und hat eine Master-Qualifikation im Bereich Demenz an der Karolinska-Universität in Stockholm erlangt. Die Rheinländerin ist sehr nah an der Betreuung in Krankenhäusern und speziellen Einrichtungen für demenziell erkrankte Menschen. Sie leitet die Fachstelle Demenz des Malteser Verbundes und hat in Demenz-Sprechstunden regelmäßig Kontakt zu Demenzkranken und ihren Angehörigen, berät bei Problemen und ging dabei in den vergangenen Monaten besonders auf die Herausforderungen der Corona-Krise ein.

t-online.de: Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Demenzkranke? Welche Veränderungen beobachten Sie?

Dr. Ursula Sottong: Man muss sich klarmachen, dass es Menschen mit Demenz sehr schwer fällt, sich auf eine neue Situation einzustellen – ganz unabhängig von der Corona-Krise. Das geschieht etwa, wenn sie aus ihrem gewohnten häuslichen Umfeld herauskommen. Typisch für eine Demenz ist, dass die Fähigkeit der Anpassung verloren geht. Und nun ist es so, dass durch die Corona-Pandemie beispielsweise Tagespflegen geschlossen wurden oder Angehörige mehr zu Hause sind als normalerweise oder dass Angehörige nicht mehr zu Besuch kommen können.

Menschen mit Demenz sind stark auf ihre normale Tagesstruktur und Tagesroutinen angewiesen, was natürlich dann zu großen Irritationen führt, wenn sich etwas verändert. Und Veränderungen, auch im Kleinen, stellen Stresssituationen dar. Diese Stresssituationen können dazu führen, dass sich die Betroffenen in ihren Kompetenzen noch verschlechtern. Das Kurzzeitgedächtnis und das Stresszentrum liegen sehr nah beieinander. Und wenn es darauf ankommt, blockiert das Stresszentrum die anderen Bereiche. Das kennt man vielleicht auch aus Prüfungssituationen, in denen man plötzlich ein Blackout bekommt.

Welchen Rat geben Sie Angehörigen, wie sie an Demenz erkrankten Menschen das Coronavirus am besten erklären können?

Bei einer Demenz ist es so, dass das Kurzzeitgedächtnis gestört ist und immer mehr nachlässt. Das heißt, wenn Sie einer demenzkranken Person sagen: "Da gibt es ein Coronavirus, du kannst dich anstecken", dann kann es passieren, dass Sie nach fünf Minuten dasselbe noch einmal sagen und dann sagt Ihnen das Gegenüber: "Das hat mir keiner gesagt." Die Frage ist also nicht so sehr, wie man das Coronavirus erklären kann. Sie sollten eher sagen: "Heute ist das eben mal so, aber das wird sich wieder ändern." So können Sie den Druck aus der Situation nehmen.

Wie können sich Angehörige am besten verhalten, um Demenzkranken mehr Sicherheit zu vermitteln?

Entscheidend ist, dass Sie das Leben im häuslichen Milieu so fortführen wie gewohnt. Wenn Sie beispielsweise berufstätig sind und jetzt wegen Kurzarbeit ausschlafen könnten, Sie aber normalerweise mit Ihrem demenzkranken Vater immer um sieben Uhr aufstehen, dann behalten Sie das bei. Das ist seine Routine. Behalten Sie auch Essenszeiten bei und sorgen Sie dafür, dass sich möglichst wenig im Tagesablauf verändert. Routinen geben maximale Sicherheit. Wichtig ist auch, dass Sie nicht den eigenen Stress auf die andere Person übertragen. Jemand mit einer Demenz kann vielleicht nicht verstehen, was Sie ihm erklären, aber er merkt, ob Sie gestresst oder gelassen sind.

Wir können die Situation nicht ändern, also müssen wir schauen, wie wir das Beste daraus machen. Menschen mit Demenz sind häufig auch sehr naturverbunden. Sie können dann auch gemeinsam spazieren gehen und die Natur wirken lassen. Dabei können Sie auch fast Normalität herstellen. Nutzen Sie die Freiheiten, die trotz aller Corona-Maßnahmen bleiben. Ich kann aber eigentlich gar nicht beurteilen, für wen die Situation schlimmer ist: für die Angehörigen oder den Demenzkranken selbst.

Was würden Sie deshalb Angehörigen raten, wie sie für sich selbst sorgen können?

Man hat ja häufig einen vertrauten Kreis, um sich die Betreuung aufzuteilen. Man sollte jetzt noch viel bewusster schauen, wie man die Zeit aufteilt. Wenn die erkrankte Person zum Beispiel tagsüber ein Nickerchen macht, sollten Sie diese Ruhezeit auch für sich selbst nutzen und nicht für den Haushalt. Die Küche können Sie beispielsweise später auch gemeinsam mit dem Demenzkranken aufräumen oder gemeinsam kochen. Sind Sie gestresst, überträgt sich das auf den Demenzkranken und dann ist niemandem geholfen.

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Wenn Sie merken, dass Sie sehr genervt sind, überreagieren oder vielleicht laut werden würden: Dann würde ich mich zurücknehmen und erst einmal gehen. Und wenn Sie sich Luft verschafft haben, können Sie wieder ganz freundlich auf den Demenzkranken zugehen und sagen: "Wir schaffen das jetzt."

Was passiert, wenn sich die Erkrankten nicht an die Maßnahmen wie Maskenpflicht, Ausgangsbeschränkungen oder Kontaktverbot halten – wie können Demenzkranke dazu angehalten werden?

Sie können natürlich, wenn Sie mit einem Demenzkranken einkaufen gehen, die Maske selbst aufsetzen. Wenn der andere das spielerisch wahrnimmt, wird es leichter, dass er das Verhalten nachahmt. Die Frage ist aber auch, muss der Demenzkranke wirklich noch einkaufen gehen oder hat man vielleicht einen Krämer um die Ecke, wo man auf Distanz auch ohne Maske einkaufen gehen kann. Wichtig sind Absprachen. Je mehr Absprachen Sie treffen, beispielsweise mit dem örtlichen Bäcker, desto weniger Probleme wird es geben.

Wie kann ich Kontakt zu meinem Angehörigen im Heim halten und sicherstellen, dass er mich trotz Kontaktbeschränkungen nicht vergisst?

Viele Heime setzen zunehmend Tablets ein, sodass man über Programme wie Skype, Zoom oder Teams in Kontakt bleiben kann. Wir wissen nicht immer, wie die Demenzkranken das verarbeiten, aber sie können zumindest das Gesicht sehen, die Stimme hören und die Angehörigen können sich auch davon überzeugen, dass es dem Menschen im Heim gut geht. Das sind natürlich alles kurze Zeiten. Für die Heime ist es auch eine Herausforderung, wenn jemand gewöhnt ist, jeden Tag mit einem Angehörigen spazieren zu gehen. Das fehlt demjenigen dann natürlich. Gleichzeitig ist es aber nicht möglich, dass jedes Mal jemand aus dem Pflegebereich mitgeht. Hier ist es wichtig, dass es ein gegenseitiges Verständnis gibt zwischen den Mitarbeitern und den Angehörigen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Sottong.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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