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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mediziner vermutet "Kinder sind für die Weiterverbreitung eher eine Sackgasse"
Schulen und Kitas sollten trotz der Corona-Pandemie sofort wieder öffnen, fordert Hans-Iko Huppertz von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin. Im Interview mit t-online.de spricht er über soziale Folgen der Schließungen, das Kawasaki-Syndrom und über den Schutz von Lehrkräften.
Kinder würden bei der Verbreitung des neuen Coronavirus keine entscheidende Rolle spielen, meinen manche Experten. Vier medizinische Fachgesellschaften fordern darum nun von Bund und Ländern, Kitas und Schulen trotz der Corona-Pandemie wieder vollständig zu öffnen. Aktuelle Auswertungen sprächen dafür, dass sich Kinder deutlich seltener infizieren und kaum andere Menschen anstecken, schreiben die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland in ihrer Stellungnahme, die Sie hier einsehen können.
Hans-Iko Huppertz, Generalsekretär der DAKJ, erklärt im Interview mit t-online.de, warum er eine Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten für ungefährlich hält.
t-online.de: Professor Huppertz, Sie fordern gemeinsam mit mehreren anderen Fachverbänden eine uneingeschränkte Wiedereröffnung von Kitas und Schulen. Warum?
Hans-Iko Huppertz: Die Situation in Deutschland war ja folgende: Die Pandemie ist auch über uns hereingebrochen, wir sind aber bisher recht gut da durchgekommen – nicht zuletzt auch wegen der sehr guten Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft. Die Pandemiepläne waren auf die Influenza, also Grippeviren ausgelegt. Darin stand, zu Recht, dass dieser Erreger von Kindern leicht verbreitet wird. Darum wäre es bei einer Influenza-Pandemie völlig richtig, Kindergärten und Schulen zu schließen, um die Pandemie einzudämmen.
Was das neue Coronavirus betrifft, wissen wir aber seit Kurzem, dass Kinder in der Verbreitung des Erregers gar keine wesentliche Rolle spielen, also für die Weiterverbreitung eher eine Sackgasse sind. Weil sich die wissenschaftliche Lage in diese Richtung geändert hat, denken wir, dass Kitas und Schulen jetzt ohne Sorge wieder öffnen können, wenn bestimmte Hygieneregeln beachtet werden.
Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz
ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Experte in den Fachbereichen Infektiologie und Rheumatologie. Huppertz war bis vor Kurzem Chefarzt der Prof.-Hess-Kinderklinik am Klinikum Bremen-Mitte. Er ist Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ).
Zur Infektiosität von Kindern gibt es aber noch widersprüchliche Studien. Christian Drosten von der Charité etwa meint, Kinder hätten die gleiche Virusmenge im Rachen und das Ansteckungsrisiko sei gegeben.
Die Arbeitsgruppe des Infektiologen Johannes Hübner vom Haunerschen Kinderspital in München hat kürzlich eine Studie im "Deutschen Ärzteblatt" veröffentlicht, die die Datenlage dazu zusammenfasst. Sie zeigt, dass die Infektionen in der Regel nicht von Kindern ausgehen. Länder wie Schweden oder Island, wo gar keine Schulen oder Kitas geschlossen wurden, bestätigen diese Ergebnisse.
Christian Drosten ist ein fantastischer Forscher und sicher der beste Kenner des Coronavirus in Deutschland. Und viele Länder hätten sicher gerne jemanden wie den Kollegen Christian Drosten, der die Regierung beraten kann. Wir stehen voll hinter Drosten. Aber so ist das eben in der Wissenschaft: Man kann bestimmte Daten unterschiedlich interpretieren. Wir kennen uns als pädiatrische Infektiologen mit Kindern gut aus.
Wieso sollte man Ihrer Meinung nach mit uneingeschränkten Öffnungen trotzdem nicht warten, bis die Studienlage eindeutiger ist?
Wir haben Empfehlungen ausgearbeitet, wie ein Kindergarten wieder gefahrlos für alle Kinder öffnen kann. Die andere Frage ist ja, wie ein monatelanger Verzicht auf Schule oder Kita auf die Kinder wirkt. Wir sagen: Kinder haben ein Anrecht auf Teilhabe und Bildung. Für Kinder ist diese Lage aber teilweise sehr schwer. Sie sind plötzlich mit ihren Eltern allein, die womöglich im Homeoffice arbeiten, vielleicht in sehr kleinen Wohnungen. Vielleicht fehlt die Möglichkeit, einen Computer für Fernunterricht zu nutzen. Dadurch öffnet sich die soziale Schere weiter. Und natürlich kommen auch Probleme des Kinderschutzes auf. Dadurch, dass alle Angebote für Kinder – soziale Dienste, Kinderarztbesuche und vieles mehr – größtenteils wegfallen, tauchen vermehrt schlimme Fälle von Kindesmisshandlung auf.
Was ist mit dem Kawasaki-ähnlichen Syndrom, das bei einigen Kindern im Zusammenhang mit Covid-19 auszubrechen scheint und lebensbedrohlich sein kann?
Die Kawasaki-Erkrankung ist ein Syndrom unbekannter Ursache, vermutlich mit Viruserkrankungen verbunden und tritt in Deutschland sehr selten auf. Das bei einigen Kindern beobachtete und mit dem neuen Coronavirus verbundene Syndrom ähnelt dem Kawasaki-Syndrom und lässt sich als multilokuläres Inflammationssyndrom beschreiben. Das bedeutet, dass es an vielen Orten im Körper – etwa Haut, Schleimhäuten oder auch inneren Organen – zu Entzündungen kommen kann. Auch dieses Syndrom kommt sehr selten vor und noch ist unklar, ob es tatsächlich durch das neue Coronavirus ausgelöst werden kann.
Daten aus England – das ja deutlich mehr Corona-Fälle hat – zeigen, dass dieses Syndrom dort sehr selten auftritt und die Häufigkeit von Kawasaki-Erkrankungen insgesamt unter der erwarteten Rate liegt. Wir sollten nicht aus Angst davor die Schulen und Kitas geschlossen halten. Es gibt sehr viele Dinge wie Unfälle, Vergiftungen, die für Kinder viel gefährlicher sind als diese Erkrankung. Zudem ist sie gut behandelbar.
Es gab aber in einigen Ländern schon Todesfälle mit diesem Syndrom bei Kindern.
Die sehr seltene Kawasaki-Erkrankung kann in einzelnen Fällen zum Tode führen, aber vor allem, wenn die Erkrankung im ersten Lebensjahr auftritt und nicht erkannt wird. Man sollte nach mehreren Tagen Fieber bei unklarer Ursache zum Arzt gehen. Wird das Syndrom dann behandelt, kann man Komplikationen vermeiden und das Fieber und die Entzündung verschwinden in der Regel über Nacht.
Was würden Sie Eltern raten, die ihre Kinder aus Sorge noch nicht in Kita oder Schule geben möchten?
Noch mal: Nicht die Kinder stecken die Erwachsenen an, sondern umgekehrt. Eine Infektion durch Kitakinder gibt es kaum. Die Gefahr für Kinder geht von Erwachsenen aus, also von den Betreuern. Darum empfehlen wir auch, dass diese eine chirurgische Maske tragen, die verhindert, dass der möglicherweise mit dem neuen Coronavirus infizierte Pädagoge oder Erzieher andere infiziert. Und Eltern, die ihre Kinder abholen und bringen, müssen natürlich Abstand zueinander halten. Es muss geregelt werden, dass sich in Pausen die Gruppen nicht mischen. Das Bringen und Abholen der Kinder muss zeitlich und örtlich so getrennt organisiert werden, dass sich die Eltern nicht begegnen. Feste Gruppen müssen außerdem beieinanderbleiben. Das alles funktioniert nur, wenn das Gesundheitsamt die entsprechenden Pläne mit den Kitas und Schulen ausarbeitet und abspricht. Und wenn die Eltern mitmachen.
Beobachtungen im Alltag lassen aber vermuten, dass sich womöglich nicht alle Eltern daran halten werden. Immer mehr Menschen scheinen bereits recht sorglos mit der Lage umzugehen.
Eltern, die diese Regeln missachten, sollten ihre Kinder ganz einfach nicht mehr bringen können. Kranke Eltern und kranke Kinder müssen natürlich zu Hause bleiben und auf SARS-CoV-2 getestet werden. Ich bin aber sicher, dass der Großteil der Eltern darauf achten wird. Die große Mehrheit darf durch ganz wenige Abweichler nicht gefährdet werden.
Wie kann man Lehrer und Erzieher vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen?
Den Pädagogen sollte man die Angst nehmen, dass die Kinder gefährlich sind als Infektionsquelle. Das Lehrerzimmer ist vermutlich wesentlich gefährlicher als das Klassenzimmer. Wenn Sie einen älteren Mitarbeiter haben, vielleicht mit Vorerkrankungen, die einen schweren Verlauf wahrscheinlicher machen, dann gilt: In Absprache mit dem Betriebsarzt und dem Arbeitgeber braucht er vielleicht Schutz, der nicht nur andere vor einer Infektion bewahrt, sondern ihn selbst – also eine FFP2-Maske.
Aktuell können solche Pädagogen in Absprache mit dem Arbeitgeber zu Hause bleiben, wenn sie das wünschen.
Dass Lehrer mit bestimmten Vorerkrankungen zurzeit einfach zu Hause bleiben, lehnen wir ab. Diese Menschen sind die Freunde der Kinder, sie haben aus Liebe zu den Kindern den Beruf ergriffen und bekommen nun vielleicht Angst vor Kindern. Wir müssen und können ihnen die unbegründete Angst nehmen. Stellen Sie sich vor, Ärzte und Krankenpfleger würden alle aus Furcht vor einer Infektion zu Hause bleiben. Man kann sich vor einer Infektion gut schützen mit einer entsprechenden Maske, die richtig sitzt. Medizinisches Personal schützt sich ja auch so.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.