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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte zur Corona-Strategie "Mobile Eingreifteams und lokale Corona-Maßnahmen"
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten entscheiden heute über neue Corona-Regeln. Wir haben mit einem Epidemiologen darüber gesprochen, was zur Bekämpfung des Coronavirus jetzt am wichtigsten ist.
Ob Pflichttests, Corona-Bußgelder oder Auflagen für Feiern und Veranstaltungen: Das föderalistische System macht die Bekämpfung des Coronavirus in Deutschland unübersichtlich. Jedes Bundesland entscheidet bislang selbst über die Regeln, mit denen es gegen die Pandemie vorgeht. Heute beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie.
Es geht nicht nur darum, ob die Corona-Regeln wegen der gestiegenen Infektionszahlen wieder verschärft werden müssen. Auf der Agenda steht auch die Frage, ob die Länder sich für den Herbst und Winter auf eine gemeinsame Strategie einigen können. Oder ob jedes Bundesland weiter nur regional geltende Regeln erlässt.
Was sagt ein Experte zu den aktuellen Corona-Maßnahmen in Deutschland? t-online.de hat mit dem Epidemiologen Professor Markus Scholz aus Leipzig gesprochen.
t-online.de: Herr Prof. Scholz, bei Teststrategien und Maskenpflicht geht fast jedes Bundesland einen anderen Weg. Wie schätzen Sie das epidemiologisch ein: Brauchen wir dringend eine einheitliche Corona-Strategie oder sind lokale Maßnahmen sinnvoller?
Prof. Markus Scholz: Lokale Maßnahmen sind meines Erachtens sinnvoller, da die Epidemie lokal unterschiedlich schwer verläuft. So sind stärkere Maßnahmen zum Beispiel bei lokalen Ausbrüchen erforderlich, die aber nicht landesweit notwendig sind. Umgekehrt kann in Kreisen, in denen zum Beispiel über Wochen keine Infektionen auftreten, weitgehend gelockert werden, sofern man Einträge von außen wie zum Beispiel durch Reiserückkehrer weitgehend unterbindet.
Eine lokale Strategie kann also eine höhere Effizienz (z. B. stärkerer Eingriff bei lokalen Ausbrüchen) bei gleichzeitig höherer Freiheit in anderen Regionen entwickeln. Diese Strategie sollte aber gut erklärt und durch einheitliche Richtlinien (z. B. Zielgrößen) für die Aktivierung und Lockerung von Maßnahmen ergänzt werden.
Zur Person
Prof. Markus Scholz
Prof. Markus Scholz leitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig eine Arbeitsgruppe zur Genetischen Statistik und Systembiologie. Er beschäftigt sich mit molekularen Ursachen von komplexen Erkrankungen sowie mit deren Modellierung. Seine Arbeitsgruppe betreibt seit 15 Jahren Infektionsforschung und untersucht aktuell auch die Corona-Pandemie.
Bei jedem lokalen Ausbruch (siehe Gütersloh oder Mamming) wird es hektisch und die Gesundheitsämter sind überlastet. Wie kann man das verhindern?
Ich hatte schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, mobile Eingreifteams zu etablieren, die bei Bedarf an den Ort eines Ausbruchs geschickt werden können, um mitzuhelfen. Diese Ausbrüche haben ja auch gezeigt, dass diese Mithilfe zeitlich überschaubar wäre.
Eine andere Möglichkeit wäre das Vorhalten eines Pools von ausgebildeten lokalen Helfern, die im Falle eines Ausbruchs aktiviert werden können.
Ein Blick in den Herbst: Wo sehen Sie die größte Herausforderung, wenn die Reisesaison zu Ende geht und wir uns wieder mehr drinnen aufhalten?
Es ist bekannt, dass Coronaviren allgemein eine hohe Saisonalität aufweisen. Es ist damit zu rechnen, dass dies auch für SARS-CoV-2 zutrifft. Eine Ursache ist die verstärkte Verlegung von Aktivitäten in Innenräume. Eine weitere Herausforderung sehe ich in der Öffnung der Schulen im Regelbetrieb. Durch internationale Studien ist bekannt, dass Kinder erheblich zu einer Weiterverbreitung beitragen können, auch wenn sie selbst nicht schwer erkranken. So wurde z. B. die heftige zweite Welle in Israel durch mehrere Super-Spreader-Ereignisse in Schulen ausgelöst. In Deutschland haben wir noch keine Super-Spreader-Ereignisse durch Schulen beobachtet, was daran liegt, dass es insgesamt bisher nur zu einem geringen Eintrag in dieses Alterssegment gekommen ist. Es ist aber keineswegs sicher, dass dies so bleibt. Es ist deshalb notwendig, die Entwicklung der Epidemie weiterhin genau zu beobachten und die Maßnahmen und Hygienekonzepte entsprechend anzupassen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Scholz.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.