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Corona-Krise in China | Virologe Kekulé: Infektionswelle außer Kontrolle


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Was passiert in China?
Kekulé: Infektionswelle ist schon außer Kontrolle


Aktualisiert am 30.11.2022Lesedauer: 4 Min.
Chinas No-Covid-Strategie: Kann sie überhaupt funktionieren?Vergrößern des Bildes
Chinas No-Covid-Strategie: Kann sie überhaupt funktionieren? (Quelle: IMAGO / Kyodo News)

China ordnet einen Lockdown nach dem anderen an. Über Millionen Menschen wird die Quarantäne-Verordnung verhängt. Was steckt dahinter?

Ungewöhnliche Bilder aus der Autokratie China: Menschen fordern ihr Recht auf Freiheit ein und begehren auf gegen die strikten Anti-Corona-Maßnahmen. Millionenstädte werden dort immer wieder in den Lockdown geschickt – teilweise über Monate. Nun wehren sich erstmals die Bürger. Was hat Peking falsch gemacht? t-online fragte den Virologen Alexander Kekulé.

t-online: Herr Kekulé, was sehen wir da in China? Das Land, in dem Covid-19 ausbrach?

Alexander Kekulé: Ein komplettes Versagen der Regierung und der Kommunikation. Zuerst mal muss man darüber sprechen, dass die chinesischen Impfstoffe bei Weitem nicht so gut sind wie die westlichen.

Sinovac und Sinopharm?

Ja, die Studien deuten darauf hin, dass deren Schutzwirkung schon bei früheren Varianten des Coronavirus deutlich schlechter war als die der mRNA-Vakzinen. Gegen Omikron können sie noch weniger ausrichten. Die Länder außerhalb Chinas, die zunächst mit diesen Impfstoffen geimpft haben, sind inzwischen auf die mRNA-Vakzine umgestiegen. Hinzu kommt, dass auch in China viele alte Menschen nicht geimpft sind.

Alexander Kekulé
Alexander Kekulé (Quelle: IMAGO / Revierfoto)

Alexander Kekulé ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In der Corona-Pandemie machten ihn zahlreiche TV-Auftritte sowie sein MDR-Podcast "Kekulés Corona-Kompass" bekannt.

China will die mRNA-Impfstoffe nicht importieren ...

Man hat dort wahrscheinlich lange geglaubt, die Rezepte kopieren zu können. Bei den hochkomplexen mRNA-Technologien funktioniert das aber nicht so schnell.

Aber warum sperren die Machthaber die Leute immer wieder in ihren Wohnungen ein? Ist das Virus tatsächlich immer noch so gefährlich?

Ja und nein. Das Virus ist tatsächlich harmloser geworden. Die Omikron-Variante befällt eher die oberen Atemwege, nicht mehr so stark die Lungen und das tiefere Gewebe. Dennoch trifft das Virus in China auf eine nahezu ungeschützte Bevölkerung. Daher ist die Angst der Menschen vor diesem Virus auch nachvollziehbar. Hinzu kommt die jahrelange Propaganda, die natürlich massiv Angst vor dem Erreger gemacht hat, um die harten Maßnahmen zu rechtfertigen.

Die jungen Leute, die ihre Freiheit einfordern, sind nicht repräsentativ?

Nein, aus meiner Sicht hat das Gros des Milliardenvolkes sehr große Angst vor diesem Virus. Das haben wir ja unter anderem gesehen, als die iPhone-Fabrik in Zhengzhou unter Quarantäne gestellt wurde. Die Menschen sind da nicht geflohen, um ihre Freiheit zurückzubekommen, sondern aus Angst, sich zu infizieren.

Berechtigt?

Nach meiner Beurteilung ist die Infektionswelle in China bereits jetzt außer Kontrolle. Das wird auch kein noch so massiver Lockdown aufhalten können. Das Land wird in kurzer Zeit nachholen, was der Rest der Welt in den letzten zwei Jahren durchgemacht hat. Auch wenn die Omikron-Variante weniger gefährlich ist, werden dort sehr viele Menschen sterben.

Weil man zu spät gehandelt hat?

Man hat, jedenfalls ab Mitte Januar 2020, schnell und konsequent gehandelt. Ich möchte nicht wissen, wie sich die Epidemie ohne den anfänglichen Lockdown in Wuhan entwickelt hätte. Auch dass China die Gensequenz des Virus schnell veröffentlicht hat, ist den dortigen Wissenschaftlern und der Gesundheitsbehörde hoch anzurechnen. Der Rest der Welt hat damit das Rezept für den PCR-Nachweis und die Basis für die Impfstoffentwicklung bekommen.

Dann kam die No-Covid-Strategie ...

Ja, damit wurde das Virus lange in Schach gehalten, auch wenn der soziale und wirtschaftliche Preis dafür enorm hoch war. Wahrscheinlich hat man in Peking gehofft, das so lange durchhalten zu können, bis hochwirksame Impfstoffe aus eigener Produktion zur Verfügung stehen. Aber da haben die Parteioberen zum einen ganz offensichtlich die Möglichkeiten der eigenen Pharmahersteller überschätzt. Zum anderen kam Anfang dieses Jahres Omikron, das sich wegen seiner hohen Ansteckungsfähigkeit selbst mit sehr harten No-Covid-Maßnahmen nicht wirksam eindämmen lässt.

Im Kern fällt dem Regime auf die Füße, dass sich niemand frei äußern darf?

Ja, es gibt dort keinen Fauci oder Drosten, die ihre Erkenntnisse frei teilen können. Der Regierung offen zu sagen, dass die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen länger als geplant dauert oder dass die von Staatschef Xi Jinping persönlich propagierte No-Covid-Strategie bei Omikron nicht mehr funktioniert, wäre kaum denkbar.

Das zentralistische und autoritäre System, das anfangs bei der Eindämmung der Virusausbreitung erfolgreicher war als die meisten westlichen Demokratien, zeigt jetzt seine Schwächen. Und wenn man ein Milliardenvolk zwei Jahre lang mit Propaganda auf einen Kurs gebracht hat, ist es extrem schwer, aus dieser kommunikativen Sackgasse wieder herauszukommen.

Was bedeutet es nun aber für den Rest der Welt, wenn in China die Durchseuchung im Grunde jetzt erst startet?

Das dürfte tatsächlich für uns alle ein Problem werden. Zum einen, weil unsere Wirtschaft ja existenziell darauf angewiesen ist, dass in China die Produktion läuft und auch die Absatzmärkte für unsere Produkte funktionieren.

Zum anderen werden sich in dieser massiven Welle wahrscheinlich neue Varianten bilden. Das Virus trifft dort ja auf eine Bevölkerung, die weniger immun ist als bei uns. Es muss sich deshalb nicht primär auf Immunflucht spezialisieren, wie dies außerhalb Chinas bei den Omikron-Untervarianten zuletzt der Fall war. Diese Entwicklung können wir nur im Auge behalten, wenn wir trotz der angespannten politischen Beziehungen mit der Volksrepublik einen Kommunikationsweg für wissenschaftliche Erkenntnisse aufrechterhalten, eine Art "Rotes Telefon" für die Pandemiebekämpfung.

Herr Kekulé, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Kekulé
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